KOMMENTAR
Artisten in der Zirkusmanege: Das sichernde Trapez gehört dazu, wenn das nicht, dann ein sicherndes Seil um zu verhindern, dass die Artisten Opfer ihrer eigenen atemberaubenden Kunststückchen werden. Was aber treibt Menschen dazu, sich freiwillig vor einem Millionenpublikum, ohne Not gefährlichen Situationen auszusetzen wie in der jüngsten Ausgabe des ZDF-Show-Klassikers „Wetten,dass.…“ :
Dass ZDF-Entertainer Thomas Gottschalk seine Show „Wetten,dass..“ nach dem Unfall seines jungen Wettlkandidaten vorzeitig beendete, ehrt Gottschalk. Mit seiner Reaktion zeigt der 60-jährige mehr Stil als sein Arbeitgeber, das aus öffentlich-rechtlichen Gebührengeldern Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF). Gottschalk hatte am Sonnabend, 4. Dezember, entschieden, trotz aller angekündigten Höhepunkte, wie etwa die Präsentation des wieder neu zusammengefundenen Take-That-Quintetts mit Robbie Williams, die Show nicht fortzusetzen. Dafür heimste das ZDF noch ein Lob des Chef des Grimme-Instituts, Uwe Kammann ein. Unverständlich erscheint dagegen nun die neuerliche Reaktion des ZDF: Der Sender verteidigt das Show-Konzept.
Die Frage ist allerdings, wieso sich seit den Zeiten Roms anscheinend in der menschlichen Natur nichts geändert hat: Erschütterten Kriege und soziale Probleme das Imperium Romanum, waren die Ränge in den angesagten Arenen der Republik gefüllt. Ob sich nun nach allen Regeln der blutigen Kunst Gladiotoren Schwerter, Netz und Spieß um die Ohren schlugen oder Christen wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen wurden, ob vom Mittelalter bis in die Neuzeit Menschen von anderen Menschen wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Verbrechen, wegen politischen Andersdenkens oder anderer Religion zum Tode verurteilt und vorher gefoltert werden: die Masse sieht hin in erschauerndem Ergötzen.
Wie anders, als mit dem erschauernden Ergötzen am Unglück des anderen, lassen sich die Erfolge der privaten Fernsehsender erklären, die mit riskanten Show-Formaten eben jene scheinbar tiefsitzende Neigung zum Ergötzen am Schaden des anderen bedienen. Auch wenn, unter dem Eindruck des gerade erlebten Unglücks, die direkten Augenzeugen in der Regel doch ehrlich entsetzt und nicht vergnügt sind.
Es hat etwas von der Welt, die in der Krieg der Sterne beschrieben wird: Auf der einen Seite eine durch und durch technisierte Welt mit allen technischen Fortschritten, die man sich nur denken kann, auf der anderen Seite mittellalterlich-antikes Fühlen und Handeln.
Vielleicht ist es in der Tat an der Zeit, einen Weg zu finden, wie Menschen vor Menschen oder vor sich selbst geschützt werden können, davor durch Hang zu riskantem, die eigene Gesundheit schädigendem Verhalten, eben diese Gier nach noch mehr Sensationen zu befriedigen oder zu fördern.
Vielleicht hätte die Skepsis des jungen Mannes, der nun vor einem Millionenpublikum verunglückte und nun auf der Intensivstation behandelt wird, ernst genommen werden sollen. Am Ende ein rhetorisch gemeintes „Vielleicht“: Vielleicht sollte sich ein Gebühren zahlendes Publikum selber an die Nase packen und fragen, was es da eigentlich von den fordert, die sich Gedanken über erfolgreiche Programmplanung machen: Noch mehr heimliche Sensationsgier, die durch reales Geschehen bedient wird, oder die Rückkehr zu intelligenten Sensationen, bei denen eher die kleinen, grauen Zellen gefordert sind: Im Land der Dichter und Denker täte dies vielleicht einmal Not ‑aber das ist nun eine ganz neue Geschichte.
ulf_der_freak meint
Ich finde Gottschalk und seine Sendung zwar furchtbar und habe sie über 10 Jahre nicht mehr verfolgt deswegen, aber der Abbruch war das einzig anständige und daher mögliche. Daß das ZDF in bester RTL-2-Manier weitergemacht hätte, wundert mich nicht. Von wegebn Bildungsauftrag.
Christoph von Gallera meint
Lieber Ulf,
danke für Deinen Kommentar.
Gottschalk hat Format bewiesen, sein Arbeitgeber im Nachgang nicht. Dem jungen Mann ist zu wünschen, dass er seinen Wagemut ohne bleibende Schäden übersteht, Gottschalk, dass er sein eigenes Gleichgewicht wieder findet. Interessant dürfte die Frage indes sein, wer die rechtliche Verantwortung übernimmt und wie der Unfall am Ende rechtlich gewertet werden wird. Die zentrale Frage lautet: Wäre er zu vermeiden gewesen: Wenn ja, dann wäre es kein Unglückfall mehr, sondern eine zumindest billigend in Kauf genommene Körperverletzung.