KULTUR/TOURISMUS/POLITIK und WIRTSCHAFT/KELTEN und RÖMER
Ob es tatsächlich so war, dass ein keltischer Fürst sich in eine Frau aus der römischen Oberschicht verliebte, mitten im heutigen Deutschland? Vielleicht in einem Roman, der noch geschrieben werden muss. Tatsache ist aber, dass im mittelhessischen Waldgirmes zu Lebzeiten Kaiser Augustus eine Römerstadt existiert hat, die sicherlich eines nicht war: Eine hauptsächlich militärischen Zwecken dienende Einrichtung wie die Saalburg im Taunus bei Bad Homburg oder die entlang des durch den Südkreis Gießen laufenden Limes angelegten Kastelle. Der Handel bestimmte das Leben der Römer und ihrer Nachbarn im Norden, keltischen und zu germanischen Volksstämmen gehörenden Siedlern, mitten in der Herrschaftszeit des Augustus, Dieser hatte von 63 bis 14 nach Jesus Christus gelebt. Ein Symbol seiner Macht waren Reiterstandbilder in römischen Städten, dem Kaiser nachempfunden. Vom Glanz dieser einzigartig keltisch-römischen, konzentriert an jener Stelle mitten in Deutschland, wollen heute mindestens zwei mittelhessische landkreise profitieren.
So auch in Waldgirmes. Das wurde aber erst durch einen Grabungsfund 2009 bekannt. Am 10. August 2009. 1993 hatten die Ausgrabungen in dem in unmittelbarer Nähe der Lahn gelegenen Ortsteil der Gemeinde Lahnau begonnen. Der Fund eines lebensgroß nachgebildeten vergoldeten Pferdekopfes sollte aber die Fachwelt nicht nur in Deutschland elektrisieren. 2009 überschlugen sich Zeitungen, Magazine und Zeitungen darin, die Meldung vom „Sensationsfund“ unters Volk zu bringen. Offen bleibt, ob diese Begeisterung über die Fachwelt hinaus gewesen wäre, wenn 9 nach Christus nicht die Niederlage des römischen Feldherrn Varus vor einer erdrückenden Übermacht des Cheruskers Arminius stattgefunden hätte. So aber diente das Massaker von Kalkriese, die blutige Varusschlacht 2000 Jahre später wohl als medialer Zündsatz für die sich in Windeseile verbreitende Nachricht vom lebensgroßen augusteischen Pferdekopffund, weltweit dem einzigen dieser Art.
Wie der Ort, der 770 nach Christus zum ersten Mal als Waldgirmes urkundlich erwähnt wird, zu Römerzeiten geheißen hat, ist nicht bekannt. Auf ihrer Internetseite erklärt die Gemeinde aber ein Detail zur Herkunft des Namens Waldgirmes. Danach ist „Wald“ germanischen Ursprung, laut der Ethymologie bei Wahrig indogermanischen Ursprungs. Die Silbe „germizer“ sei keltischen UrsprungsRund 1000 Jahre vor Augustus hatte aber eine andere Volksgruppe schon die Vorzüge des heutigen mittelhessischen Kernlands entdeckt: Die Kelten. Sie entdeckten den strategisch günstig gelegenen knapp 500 Meter hohen Dünsberg als Standort für sich und sollten erst im 1. Jahrhundert nach Christus wieder aus dem mittelhessischen Raum verschwinden. .
Kelten und Römer: Salopp könnte man sagen: Mysterium und Ratio, wabernde Wunderwelt und messerscharfe Verstandeswelt trafen aufeinander. Denn so sehr die Römer durch reichliches Schrifttum abgesehen von ihren vielfältigen architektonischen und militärischen Leistungen dafür gesorgt haben, dass die Nachwelt selbst 2000 Jahre später mindestens in den Grundzügen um ihre Geschichte und Bedeutung auch für die moderne europäische Kultur weiß, so sehr gaben die Kelten späteren Generation lediglich mittelbar Erklärungen über ihr Leben mit, dank ihres Verzichts, auf schriftliche Nachrichten. Zahlreiche Funde von den Britischen Inseln über West-und Mitteleuropa bis in den anatolischen Raum lieferten Beweise für ihre Kunstfertigkeit, Sprachrelikte, die wie in Waldgirmes bis in die heutige Zeit überdauern, kennzeichnen für das Festland, wo früher keltische Menschen gelebt haben. Dass der rund 500 Meter hohe Dünsberg zwischen Gießen, Wetzlar und Marburg in der Gemarkung der Naturwaldgemeinde Biebertal schon rund 1000 Jahre vor der Herrschaft des römischen Kaisers Augustus eine Rolle bei den Kelten gespielt hat, ist durch Funde belegt.
Die Ausgrabungen, die seit 1999 Menschen verschiedenster Nationen in einem Archäologenteam am Dünsberg zusammengeführt haben, haben nach Archäologen- und Historikeransicht ein neues Bild geliefert. So wird angenommen, dass die Kelten, die auf dem Dünsberg ein großes Oppidum bewohnt haben, Pfeilspitzen, Schwertklingen und anderes Eisenwaren in Serie hergestellt haben.
Im Forum für Geschichte befasst sich ein Thread „wie weit sind die Kelten nach Norden vorgestoßen“ stärker mit der aktuellen historischen Diskussion. Hintergrund der Diskussion ist die Frage, wie sich die zeitweise rund 4800 Menschen auf dem Dünsberg ernährt haben könnten. Eine These nimmt an, dass sich der Dünsberg als guter Umschlagplatz für Metallwaren geeignet haben könnte. Die Kelten seien als „Meister der Metallverarbeitung“ berühmt gewesen, schreibt Frank Westenfelder im E‑Zine „Kriegsreisende“, das sich mit der Sozialgeschichte von „Söldnern und Abenteuern“ befasst: „….die keltischen Schmiede produzierten eiserne Schwerter, Helme und Panzerhemden, die allerdings nur von Häuptlingen getragen wurden.“
Arnold Czarski, Geschäftsführer des Vereins „Archäologie im Gleiberger Land“ sagt aufgrund der Grabungen, die sein Verein rund um den Dünsberg geleistet hat, zumindest dies: „Die Eisenverarbeitung muss in der Nähe stattgefunden haben, wo, können wir bislang aber noch nicht sagen“. Die Vermutung, dass die Keltensiedlung zu Zeiten der Römerstadt im heutigen Waldgirmes noch eine bedeutende Rolle gespielt haben dürfte, weist Czarski zurück. Die Tatsache, dass im Dunstkreis der Römerstadt auch keltische Artefakte gefunden wurden, erklärt Czarski mit frühkeltischer Besiedlung.
Dem Mythos, der mit der Faszination der keltischen Welt verbunden ist, dürften diese Erkenntnisse aber keinen Abbruch tun,
So sehr der Dünsberg im Brennpunkt internationaler ehrenamtlicher und professioneller Archäologen und Historiker steht, so sehr spielen der Limes und eben jener Fund aus Waldgirmes eine Rolle, von der letztlich auch der Tourismus im Grenzbereich der beiden mittelhessischen Landkreise Gießen und Lahn-Dill profitieren dürfte. 2006, vor dem Fund in Waldgirmes, beschäftigte sich eine Tagung in Marburg mit dem Zusammentreffen der römischen, der keltischen und der germanischen Kultur an der Lahn. Während der Vorstellung des daraus entstandenen Buches „Kontaktzone Lahn“ herausgegeben von den Waldgirmeser Ausgrabungsleitern Dr. Armin Becker und Dr. Gabriele Rasbach und Professor Kai Ruffing stellte der Trierer Wissenschaftler Professor Christoph Schäfer fest: „Manchmal sehen wir doch neidisch nach Waldgirmes.“
Um künftig Touristen und Wanderer, die gezielt in die mittelhessische Kernregion kommen, auf die in dieser Weise einzigartig dicht nebeneinander liegenden kulturellen Zeugnisse römischer und keltischer Vergangenheit aufmerksam zu machen, haben sich der Landkreis Gießen, der heimische Hotel- und Gaststättenverband Gießen Gleiberger Land, die Gemeinde Biebertal und der Dünsbergverein zusammengetan, um mit Hinweistafeln und Informationsblättern Touristen nicht ratlos am nachgebauten Keltentor und Keltengehöft am Dünsberg stehen zu lassen. Neben den diversen Sehenswürdigkeiten (archäologischer Rundwanderweg auf den Ringwällen des Dünsberg, Römerstadt in Waldgirmes, diverse Kastelle entlang des Limes im Südkreis Gießen und der Wetterau) warten insbesondere die Gastronomie und Partnerbetriebe aus dem Fleischer- und Bäckerhandwerk entlang dieser Nahtstelle zwischen römischer und keltischer Kultur mit speziellen Menüangeboten und eigenen, römischer und keltischer Küche nachempfundenen Waren auf. Auch damit, so wird dies von der Wirtschaftsförderung des Landkreis Gießen und dem Lahntal-Tourismusverband erklärt, bewege sich diese spezielle Region auf bisher einzigartigen Pfaden. Auf der bislang führenden überregionalen hessischen Verbraucherschau, die im November in Gießen stattgefunden hatte, der „Leben und Genießen“, bestätigten diverse Stichprobenbesuche der Mittelhessenblog-Redaktion an den Ständen der Organisationen, die mit der Vermarktung des Kelten- und Römerphänomens befasst sind, diese Angaben.
Weiterführende Informationen rund ums Thema Kelten, Römer und deren moderne Vermarktung gibt es hier:
Geschichtsforum, Kriegsreisende, Römerforum Lahnau, Das Lahntal, Verein Hassia-Celtica
Im Mittelhessenblog hierzu auch:
Übersichtsseite Projekt Kelten und Römer
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