UMWELT/POLITIK und WIRTSCHAFT
„Rin in die Kartoffeln – raus aus die Kartoffeln“. Strategisch günstig war die Meldung schon gekommen: Im Laufe des Fronleichnam, der in Hessen Feiertag ist, brachte der Hessische Rundfunk die Meldung, dass Hessenenergie nun einen Prüfbericht zum heruntergefallenen Windrad in der Gemarkung Kirtorfs vorgelegt habe. Kirtorf ist eine kleine Landstadt im nordwestlichen Vogelsbergkreis. Diese Meldung brachte der Hessische Rundfunk am 23. Juni. Sowohl über Funk wie auch auf seiner Website. Auf der Betreiber-Website von Hessenenergie tauchte der Prüfbericht nicht auf. Dafür eine im Wortlaut dokumentierte Stellungnahme bei den Kollegen von osthessen-news.de
Aufgetaucht sind allerdings auch zwei andere Dinge : Stellungnahmen des Regierungspräsidiums in Gießen und des Vogelsbergkreises gegenüber dem Mittelhessenblog. Während das Regierungspräsidium klar sagt, der Kreis sei für die technische und bauliche Überwachung zuständig, spielt der Kreis den Ball zurück und kritisiert generell eine bislang fehlende Regelung in Hessen.
Vor dem Hintergrund, dass zum einen gegenüber dem Mittelhessenblog aus Branchenkreisen erklärt wurde, die Schrauben seien das zentrale Verbindungselement in der Windradtechnik, zum anderen sei Technik an und für sich sicher, wenn die Wartungszyklen eingehalten würden und vor dem Hintergrund, dass das RP Gießen wiederholt bestätigte, der Kreis sei in letzter Linie für die Überprüfung der Betriebssicherheit zuständig, hatte das Mittelhessenblog den Vogelsbergkreis am 22. Juni 2011 um eine Stellungnahme gebeten. Darin ging einerseits um die Zuständigkeit als verantwortliche Behörde und zum anderen um Einsichtnahme in Wartungsprotokolle.
Vom RP Gießen kam am gleichen Tag schriftlich die Bestätigung der vorher mündlich gegebenen Antwort: .…
Das RP ist Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde für Windkraftanlagen. Für die Überwachung der Anlagen im Hinblick auf deren Standsicherheit und sonstige bauordnungsrechtlichen Anforderungen ist nach geltender Rechtslage der Kreis zuständig.
Am 23. Juni teilte HessenEnergie schließlich mit, dass das Bremsprogramm wegen eines mechanischen Versagens außer Kontrolle geraten sei. Möglich sei, dass ein Unfall aus dem Jahr 2002 (ein Jahr nach Inbetriebnahme. redaktionelle Anmerkung) mit der Gondelhaube des Windrades auch eine Ursache sein könnte. Diese Kernaussage verbreitete HessenEnergie sowohl den vom Hessischen Rundfunk zitierten Prüfbericht wie auch über die Stellungnahme, die im Wortlaut auf osthessen-news.de veröffentlicht wurde.
Gegenüber dem Mittelhessenblog wiederum versicherte ein intimer Kenner der Windenergie-Branche, dass es zwar die Verpflichtung für Wartungsmaßnahme gäben, mindestens im Zwei-Jahres-Rhythmus, je nach Baugruppen auch in kürzeren Abständen, dass aber gleichzeitig es mitunter mit den Überprüfungen nicht „ganz so genau“ genommen werde. Aus Niedersachsen etwa sei bekannt, dass die Pflicht zur technischen und baulichen Überprüfung beim Kreis liege. Genau diese Aussage hatte auch Gabriele Fischer, Pressesprecherin des Regierungspräsidiums in Gießen, zuerst mündlich und später schriftlich bestätigt. Zum geäußerten Verdacht, dass bei Wartungsarbeiten nachlässig gearbeitet werde, ging sie allerdings auf Distanz. Das halte sie nicht für möglich.
Das Mittelhessenblog hatte am 21. Juni in seinem Artikel gefragt, ob möglicherweise die Schrauben die Schwachstelle gewesen sein könnten. Diese Möglichkeit war von Branchenkennern aufgrund der hohen Herstellungsansprüche und Untersuchungen vor einem Verkauf entsprechend geeigneter Schrauben allerdings ausgeschlossen worden. Mögliche Fehler hätten aber bei regelmäßigen Wartungen schon früh festgestellt werden können. Deswegen wollte die Mittelhessenblog-Redaktion wissen, ob es bekannte Fehlerprotokolle und Protokolle über behobene Fehler gab. Die Frage ging am 22. Juni an den Pressesprecher des Vogelsbergkreises
Der zuständige Amtsleiter des Vogelsbergkreises gab am 24. Juni im Wortlaut gegenüber der Mittelhessenblog-Redaktion diese Stellungnahme ab, die der Vollständigkeit wegen im Wortlaut gebracht wird. Kernaussage ist, dass der Amtsleiter beklagt, dass es in Hessen bisher keine klare Zuständigkeitsregelung gebe
Wortlaut der Stellungnahme des Vogelsbergkreises vom 24. Juni 2011
Sehr geehrter Herr von Gallera, die Beantwortung Ihrer Fragestellungen an die Pressestelle des Vogelsbergkreises vom 22.06.2011 ist so einfach nicht möglich, da der Sachverhalt sehr komplex und umfangreich ist. Dies ist u. a. dadurch bedingt, dass Windkraftanlagen keine reine bauliche Anlage sind sondern ein Mix aus baulicher und technischer Anlage.
A) Zuständigkeiten Grundsätzlich bedürften alle Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe über 50 m einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, sog. Kleinwindkraftanlagen unter 50 m werden von der Unteren Bauaufsichtsbehörde genehmigt. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung wird beim Regierungspräsidium Gießen, Abteilung Umwelt auf Grundlage verschiedener Stellungnahmen, u.a. auch der Unteren Bauaufsichtsbehörde, erteilt. Zuständige Überwachungsbehörde für den Betrieb der Anlage ist die Untere Bauaufsichtsbehörde für ihre in der Immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aufgeführten Nebenbestimmungen. Vollzugsbehörde, d. h. zuständige Behörde für z. B. eine Stilllegung der Anlagen ist das Regierungspräsidium, Abteilung Umwelt.
Als am 19.06.2011 eine Windkraftanlage in Kirtorf havarierte wurde die Untere Bauaufsichtsbehörde von dem Betreiber HessenEnergie per E‑Mail informiert. Diese E‑Mail wurde nach einem Telefonat umgehend an das Regierungspräsidium, Abteilung Umwelt weitergeleitet, das über den Unfall bereits anderweitig informiert war. Den Unfallort beging daraufhin am 20.06.2011 das Regierungspräsidium ohne den Vogelsbergkreis hierbei als Überwachungsbehörde zu beteiligen. Auch die Einsicht in die Servicebücher der havarierten Anlage erfolgte durch das Regierungspräsidium und nicht durch den Vogelsbergkreis. Leider gibt es in Hessen (bislang) keinen Erlass, der die behördliche Genehmigung und Überwachung sowie behördliches Einschreiten bei Havarien klar und einheitlich regelt.
Herr Landrat Marx hat daher auch nicht die Stillegung aller Windkraftanlagen gleichen Anlagentyps (DeWind D6) angeordnet, sondern an das Regierungspräsidium als zuständige Vollzugsbehörde appelliert dieses zu tun.
B) Wartungsdokumentation der WKA
Sie sind richtig informiert. Es ist üblich (bei) WKA alle zwei Jahre ab Inbetriebnahme die Windenergieanlagen zu überprüfen. Erforderliche Wartungsintervalle ergeben sich aus dem Genehmigungsbescheid. Weiterhin sind auch die Durchführung so genannter Wiederkehrender Prüfungen durch einen Sachverständigen mit angeordnet. Die wiederkehrende Prüfung erfolgt als Betreiberpflicht nach den „Grundsätzen für die Prüfung von Windenergieanlagen im Rahmen der Wiederkehrenden Prüfung“ (ist als Anlage beigefügt). Weitere z. B. engere (z. B. halbjährliche) Wartungsintervalle ergeben sich aus dem Wartungspflichtenheft. Der Betreiber HessenEnergie sowie ein weiterer betroffener Betreiber haben gegenüber dem Vogelsbergkreis schriftlich erklärt, sämtliche Windenergieanlagen gleichen Anlagentyps umgehend einem Sicherheitscheck zu überprüfen. Dieser Vorgehensweise wurde nach Rücksprache mit der Oberen Bauaufsichtsbehörde beim Regierungspräsidium zugestimmt.
Würde die Sicherheitsüberprüfung nicht freiwillig erfolgen, hätte die Untere Bauaufsichtsbehörde diese als Überwachungsbehörde ordnungsbehördlich angeordnet. Die Gutachten werden dann der Unteren Bauaufsichtsbehörde vorgelegt und dem Regierungspräsidium zur ggf. weiteren Veranlassung weitergeleitet. Abschließend ist anzumerken, dass sowohl das Regierungspräsidium als auch der Vogelsbergkreis umgehend und sachgerecht gehandelt haben. Ich hoffe, Ihnen mit dieser Beantwortung weiter geholfen zu haben. Bei Rückfragen können Sie sich gerne an mich wenden. Mit freundlichen Grüßen im Auftrag Bernhard Hofmann Amtsleiter
Nun liegen dem Mittelhessenblog Einschätzungen vor, wonach ein Teil der Schrauben zumindest Schad- und Verwitterungsspuren aufweisen. Diese Schäden hätten bei einer Inspektion festgestellt werden können. Insofern wird die Stichhaltigkeit des von HessenEnergie vorgestellten Prüfberichts angezweifelt. Die Frage taucht auf, ob möglicherweise leichtfertig die Unsicherheit der Windkraftanlagen aus Kostengründen in Kauf genommen wurde. Die aktuell vorliegenden Einschätzungen decken sich mit den Feststellungen, die bereits am 21. Juni der Redaktion gegenüber von einem Branchenkenner geäußert wurden. Die Seriosität der Quellen war vorher von der Mittelhessenblog-Redaktion geprüft worden.
Link zu Osthessen-News , Link zum Hessischen Rundfunk
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