„Europa ist weit und die verstehen doch eh nicht, was wir wollen“. Diese
Einschätzung, wenn es um Politik, die in Brüssel und Straßburg gemacht
wird, ist nicht nur im Gießener Land häufiger zu hören. Dass die EU
indes Verbraucherrechte ernst nimmt, merkten rund 260 mittelhessische
Direktvermarkter und Schlachtbetriebe, die rund ein Jahr Zeit hatten,
sich auf die schärferen Vorschriften einzustellen. Drei von ihnen sind
durch das Raster gefallen. Eine, die es geschafft hat, ist die
Hattenröder Landwirtin Silvia Langsdorf, die sich auf die Schafzucht und
Vermarktung des daraus gewonnenen Fleisches spezialisiert hat. Wäre die
Zulassung nicht gekommen, hätte sie sich allerdings „sehr überlegt“ ob
sie weitermachen würde. Dass die kleinen Schlachtbetriebe auf dem Land
immer weniger werden, liegt nach einer Einschätzung des Gießener
Regierungspräsidiums allerdings weniger an den schärfer gewordenen
Hygienebestimmungen.
„Ich habe die Zulassung erhalten“ zeigt Silvia Langsdorf auf die
Stempel, die auf den Schlachthälften der an diesem Tag geschlachteten
Schafe zu sehen sind: DE HE 20216 EG steht dort in einem Oval. Den
Prüfstempel des Lebensmittelkontrolleurs hätte es ohne die Zulassung
nicht gegeben. Dass die Landwirtin und Direktvermarkterin aus dem
Reiskirchener Ortsteil Hattenrod ihre Zulassung bekommen hatte, war
indes nicht so einfach. Denn nach den neuen EG-Hygienevorschriften wird
grundsätzlich auch vom kleinsten fleischverarbeitenden Betrieb verlangt,
dass eine Personaltoilette vorhanden ist, nach Möglichkeit
Desinfektionsschleusen vorhanden , dass Schlacht- und Zerlegeraum
voneinander getrennt sind. Außerdem muss jeder Schritt genauestens
dokumentiert werden. Bereits vor Jahresfrist hatte Langsdorf mit der
Anerkennung zu kämpfen, die ihr noch zu Zeiten, als das Veterinäramt als
eigenständige Behörde und nicht als zugeordneter Fachdienst der
Kreisverwaltung in Erscheinung trat, anstandslos erteilt worden war.
Genauso vor Jahresfrist hatte der zuständige Fachdienstleiter Dr. Bruno
Scherm allerdings auch gesagt, die Auslegung der EU-Richtlinie sei
Ermessenssache. Vor kurzem berichtete das Gießener Regierungspräsidium,
dass nach einer rund einjährigen Übergangsfrist im mittelhessischen Raum
260 überwiegend handwerklich organisierte Betriebe ihre Zulassung
bekommen hätten. Drei von ihnen allerdings nicht. „Mit etwas guten
Willen geht das schon“, meint Silvia Langsdorf, die rund 600 Euro
ausgegeben hat, um die Anforderungen an die neuen
EU-Hygiene-Vorschriften zu erfülllen. Wäre die Zulassung nicht gekommen,
was dann? „Dann hätte ich es vermutlich schweren Herzens aufgegeben,
meinen Ackerbetrieb noch weitergeführt und ansonsten gesehen, dass ich
mit meinem Wissen noch unterkomme.“ Mit dem Prüfstempel hadert sie dennoch:
Anders als beim bisherigen Stempel könnten die Verbraucher nun nicht
mehr sehen, dass ihr Fleisch tatsächlich auch aus der heimischen Region
kommt. Auf dem alten Stempel habe noch „GI“ als Kürzel gestanden.
Allerdings ist es nicht nur sie, die sich dennoch sorgt, dass das
stille Sterben kleiner und kleinster Schlachtereien auf dem Land um sich
greift und damit eine Entwicklung, die gegen die immer wieder
beschworene Versorgung der Bevölkerung aus der Region läuft. Mit dieser
Sorge konfrontiert, heißt es aus dem Gießener Regierungspräsidium dazu,
dass die Hygienevorschriften nicht der Hauptgrund seien, wieso immer mehr
kleine Schlachtereien und Fleischereien von der Bildfläche verschwinden.
Zum einen sei es oftmals eine schlechte innere Organisation, so sei
festgestellt worden, dass oft teure Gwürze eingekauft werden, die dann
verkommen, weil sie nicht gebraucht würden. Weiter fehle es oft am
Know-How. Ein guter Fleischerbetrieb, der die Zeichen der Zeit erkenne,
habe durchaus Chancen, sich gegen industrielle Fleischverarbeiter
durchzusetzen, hebt das RP hervor. Und schließlich sei es die oft
fehlende Betriebsnachfolge. Kaum jemand habe noch Lust, so früh
aufzustehen und die vergleichsweise harte Arbeit zu leisten. Beim RP
heiißt es auch, man wisse, dass gerade kleine Direktvermarkter mit der
Erfüllung der Auflagen zu kämpfen hätten. Aber der Verbraucher habe auch
bei einem alteingesessen Betrieb das Recht auf die entsprechende
Hygiene. Vom hessischen Direktvermarkterverband, der ebenfalls mit
dieser Frage konfrontiert wurde, liegt bisher keine Stellungnahme vor.
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