Ist es die Wucht der Bilder, die darüber entscheidet, was in den Nachrichtenstrom gelangt? Brennende Autos, fliegende Steine, sie scheinen mehr herzumachen, als zwei Kinder und ihre Mutter, die in einem Ladengeschäft plötzlich angegangen werden: „Verschwindet von hier, dreckige Neger“ – Diese Worte bekam Katell Pouliquen zu hören. Zufällig geriet der Mann, der ihr diese Worte an den Kopf warf, damit an die Falsche. Sie ist Chefredakteurin der Elle.
Pouliquen duckt sich nicht weg, sondern macht ihrem Ärger Luft. Darüber, dass 70 Tage vor den französischen Präsidentschaftswahlen solche Worte möglich sind, dass sie überhaupt möglich sind. Warum diese Geschichte im Mittelhessenblog steht? Weil wir auch in Mittelhessen, insbesondere in Gießen, rund 140 Nationen haben, die miteinander leben, miteinander auskommen müssen. Dass jeder sich an Regeln halten muss, ist eine Selbstverständlichkeit. Beleidigen ist ein Regelbruch. Beleidigungen wegen der Hautfarbe erst recht. Egal,wer das macht.
Wir bringen hier ihren auszugsweisen übersetzten und mit redaktionellen Ergänzungen versehenen Eintrag aus ihrem Facebook-Profil,wie er bei Elle erschienen ist und inzwischen auch von englischsprachigen Medien zitiert wird.…An dieser Stelle Dank an Peter Jebsen für entscheidende Hinweise auf englischsprachige Medien.
„Meine farbigen Kinder sind mein Glück und mein Stolz“ beginnt Katell Pouliquen ihre Notiz auf ihrem Facebook-Profil. Wenn ihre Kinder sie fragen, würde sie ihnen sagen, dass sie nicht 50 Prozent der einen Kultur und 50 Prozent der anderen Kultur in sich trügen, sondern 100 Prozent die eine, zu 100 Prozent die andere. Sie also doppelt reich sind. Stärker, schöner. Sie liebe ihre Haut, ihre Haare, ihre Augen, ihr Lachen. Sie sei ihre Mutter.
Sie bemühe sich, dass ihre Kinder ohne Angst und Gefahr aufwüchsen („Je les éveille au monde sans les effrayer.“) . Von Martin Luther King erzähle sie, sie hätte ihren Kindern eine kindgerechte Version seiner Autobiographie geschenkt. Genauso die Geschichtensammlung „Meine schwarzen Sterne“ mit unbekannten Schicksalen,zusammengetragen von Lilian Thuram. (Thuram ist Rekordspieler der französischen Fußballnationalmannschaft, inzwischen im Ruhestand). Er hat das Buch ihrem ältesten Sohn gewidmet. Der Marcus heiße wie sein eigener. Marcus wie Marcus Miller oder Marcus Aurelius (römischer Kaiser und Philosoph) .
Sie beschreibt ihr Leben in Paris. Wohin sie nach ihrem Abitur in Saint Brieuc zum Studium der Politikwissenschaften gekommen sei. In dem Viertel, in dem sie lebe, gehe es multikulturell zu. Keiner störe sich am anderen. Sie habe herausgewollt, um der Enge zu entfliehen. Dennoch kehre sie immer wieder gerne nach Saint Brieuc zurück. Um bei „Leclerc“ einzukaufen, wenn sie ihre Mutter besuchen. Und die Jungens würden den „Leclerc“ lieben. Es gebe einen großen Spielplatz. Und dann der Schlag ins Gesicht. Ausgesprochen von einem knapp 60jährigen Mann, in Gegenwart seiner schweigenden Frau: „Verschwindet, dreckige Neger“.….Das alles ist am 10. Februar geschehen. In der gleichen Woche, als in Aulnay-Sous-Bois ein junger Schwarzer,Theo, von einem Polizisten misshandelt wurde, als Luc Poignant von der französischen Polizeigewerkschaft SGP-FO dazu feststellte, das Wort Bamboula sei immer noch zutreffend, wenn auch nicht erwünscht (als „Affe“ bzw Synonym für Schwarze) . Mit dieser Bemerkung sorgte Poignant für Aufregung. In Deutschland berichtete darüber unter anderem die FNP am 14. Februar näher. Schließlich twitterte am gleichen Tag Ehrenrichter Philippe Bilger:
Bilger bedauert darin die radikale, rassistisch aufgeladene Umdeutung des Wortes, das zu seinen Studienzeiten eher ein Synonym für einen gemütlichen Kneipenbummel mit Freunden war. In Deutschland ist das ähnlich klingende Wort Bambule eher mit Protestkultur aus der linken und linksradikalen Szene in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts aufgeladen worden. Im Ursprung stammt es aus der Gaunersprache.
Schließlich macht Pouliquen noch auf einen Aufruf von Alain Avello auf dessen Facebook-Profil aufmerksam. Avello ist Mitglied der Strategiekommission von Marine Le Pen. In seinem Profil, so schreibt Elle-Chefin Pouliquen, habe der FN-Politiker zur „Zoophilie“ mit Christiane Tsaubira „eingeladen“. Tsaubira war bis zum 27. Januar 2016 französische Justizministerin, gebürtig aus Cayenne, Französisch-Guyana. Sie war an Reformentwürfen für das franzöische Justizwesen beteiligt und war unter anderem deswegen zurückgetreten, weil sie sich auch nach den Anschlägen des 13. November 2015 sich der Forderung widersetzte. wegen Terrorismus verurteilten Straftätern die französische Staatsangehörigkeit zu entziehen.
In ihrem Facebook-Eintrag erinnert sie schließlich an einen Brief, den der US-Schrifsteller Ta-Nehisi Coates aus Baltimore an seinen Sohn geschrieben habe. Er schreibt von der Angst, die nur von der anderen Hautfarbe herrührt..Er richtet seinen sorgenvollen Brief an seinen Sohn. Veröffentlichte ihn 2016. Pouliquen fragt nun, 70 Tage vor den Präsidentschaftswahlen, welchen Brief sie ihren Söhnen schreiben solle. Sie sei wütend. Sehr wütend.….
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