„Wir bauen zwar, aber die Geschäftswelt muss sehen, wie sie mit den Folgen klar kommt“ – auf den Nenner lässt sich verkürzt die Reaktion der Stadt Gießen zusammenfassen, wenn es um baustellenbedingte finanzielle Einbußen geht. Jüngstes Beispiel für diese Einstellung ist eine Reaktion auf den Umgang mit Klagen von Geschäftsleuten im Einzugsbereich des Gießener Bahnhofs.
Die Umgestaltung des Selterswegs war einer der größeren Eingriffe in den vergangenen Jahren, der Umbau des unteren Teils der Bahnhofstraße, jetzt die Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes, den die Deutsche Bahn 2006 an die Stadt Gießen verkauft hatte. Seit Juni 2013 spätestens geht nun auf dem Gelände vor dem Bahnhof gar nichts mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen für Fahrgäste, die mit dem Auto kommen wollen oder eben für „Nur-So“-Besucher, die in eines der Geschäfte am und im Bahnhof wollen.
Stellenweise seien die Folgen so drastisch, dass es schon an die Existenz gehe und es sich, wenn denn die baustellenbedingte Abschottung ein Ende finde, dann im Grunde um einen Wiederaufbau der beruflichen Existenz handele. Die Stimmung ist, je nach Größe der Geschäft, ob lokaler Einzelhändler oder Filialist unterschiedlich. Der Frust allerdings verbindet. Und das Hoffen auf ein baldiges Ende der Bauarbeiten. „Das soll pünklich kommen. Von Mitte Dezember ist die Rede“, weiß eine Geschäftsfrau. Ein Bauarbeiter habe ihr das erzählt „. Ende Januar oder Februar berichten Mitarbeiter eines Filialisten. Ein Polizist spricht wie die Geschäftsfrau vom Dezember.
Die Nachfrage bei der Stadt gibt Gewissheit:
Pressesprecherin Claudia Boje sagt: “ Der Bahnhofsvorplatz kann nach heutigem Stand wie geplant zum Fahrplanwechsel am 15.12.2013 in Betrieb genommen werden.“ Die Bauarbeiten für die „dynamische Fahrgastinformation, also die Anzeigetafeln sollen dagegen noch bis ins Frühjahr dauern. Aber nicht den Betrieb des Bahnhofsvorplatzes beeinträchtigen. In einer Pressemitteilung, die am gleichen Tag bereits früher versandt wurde, hieß es allerdings, mit witterungsbedingten Verzögerungen müsse gerechnet werden.
Weil es nun in der Vergangenheit ja schon Klagen von Geschäftsleuten im unteren Teil der Bahnhofstraße gegeben hatte, es ebenso Proteste im Zusammenhang mit der Großbaustelle Seltersweg gab, wollte das Mittelhessenblog wissen, ob die Stadt denn vor dem Beginn der Bauarbeiten am Bahnhofsvorplatz sich Gedanken über potentielle wirtschaftliche Folgen der ansässigen Unternehmen gemacht habe und möglicherweise baustellenbedingte Verluste abzupuffern. Schließlich geht es im äußersten Fall um Arbeitsplätze, Existenzen, die in Gefahr geraten können.
Dazu teilt Claudia Boje die Einschätzung der Stadt mit:
„Gemeinsam mit den bauausführenden Unternehmen ist es gelungen, die Bauarbeiten unter weitgehender Aufrechterhaltung der Erreichbarkeit der Grundstücke / Geschäfte durchzuführen. Alternativ hätte nur die Möglichkeit bestanden, die Bauarbeiten unter Vollsperrung durchzuführen. Dies hätte die Bauzeit zwar etwas verkürzt, die Folgen für die Geschäfte wären jedoch erheblich schwererwiegend gewesen.“
Wie Boje weiter sagt, hätte die Einschätzung der potentiellen wirtschaftlichen Folgen einer Baustelle zu keiner anderen Situation geführt. Falls diese sich überhaupt vorher ermitteln lasse.
Wie sieht es mit der Unterstützung von Geschäften aus, die baustellenbedingt ins Straucheln geraten? Immerhin wäre dies ein Zeichen praktizierter direkter Wirtschaftsförderung für den Erhalt von Arbeitsplätzen.
Auch hier ist die Position der Stadt Gießen glasklar: Mit Unterstützung darf nach dem aktuellen Stand der Dinge keiner rechnen: Nein. Auch bei anderen Straßenbauarbeiten war (vgl. z. B. Neugestaltung Seltersweg) und ist dies nicht der Fall.
Das sagen andere zur Entschädigung baustellenbedingter Verluste
Die Frage, ob Unternehmen, die baustellenbedingte Verluste erleiden, entschädigt werden sollen, beschäftigt auch Internetforen und Gerichte. So taucht die Frage etwa im Forum gutefrage.net mehrfach auf, hier und hier. Der Tenor ist immer wieder der gleiche: Die betroffenen Geschäftsleute empfinden es als Ungerechtigkeit, dass sie für nichtverschuldete Einbußen, die existenzgefährdend werden können, den Kopf hinhalten sollen. Zwar denken sie im Einzelfall über Umzug oder Verkleinerung für einen Neuanfang nach, sind aber der Ansicht, dass sie diese Folgen nicht allein tragen sollten. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte zum Falle einer Apothekerin dazu dies entschieden: Entschädigung und Überbrückung ja, aber nur, wenn die Existenz bedroht ist. Das berichtete die Pharmazeutische Zeitung . In der Schweiz beschäftigt die Frage die Kommunalpolitik. Dort fordert etwa im Sommer der SVP-Landrat Georges Thüring, dass sich die Juristen seines Kantons etwas einfallen lassen sollten, um baustellenbedingte existenzbedrohende Situationen für betroffene Geschäftsleute abzupuffern. Mit dem Thema, wie Unternehmen Baustellen ohne finanzielle Verluste meistern können, hatte sich ebenfalls die IHK Gießen-Friedberg befasst und dafür 2010 einen Baustellenleitfaden herausgegeben. Laut einer Mitteilung der Organisation ein bundesweit bisher einzigartiger Leitfaden.
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