Rein statistisch kommen in Deutschland rund 20 Wirbelstürme (Tornados) vor. Und meistens der schwächeren Art. Darüber berichtete 2006 Prof Dr.Dieter Etling im Physikjournal 2005. Ob der Sturm, der das 74-Einwohner-Dorf Otterbach im Vogelsbergkreis in Mittelhessen überraschte, einer war, wird zumindest von den einschlägigen Unwetterexperten angezweifelt. Etwa bei Skywarn und bei der Europäischen Unwetterdatenbank.
Während allerdings die Eingruppierung ob Tornado oder Fallböe in erster Linie für Wetterfans eine olle spielen dürfte, sind die Auswirkungen eines solchen starken Windes letztlich vergleichbar: Umgeknickte Bäume, zerstörte Dächer, stellenweise der Ausfall von Strom und Wasser. „Obwohl das auf der geschützten Seite war, hat es unseren Carport zerlegt. Hier sehen Sie noch die Fläche. Sechs auf sechs Meter. Das können wir jetzt wieder aufbauen“, sagt Michael Giesen, der mit Freunden und seiner Familie die Trümmer beseitigte, die der jähe Wind übrig gelassen hatte.
Andere im Dorf hatte es schlimmer getroffen, materiell. So wurden insgesamt 16 Dächer abgedeckt, wenigstens eines davon gerade erst 2014 neu eingedeckt. Das Dorfgemeinnschaftshaus hatte von allen Seiten die Wucht des Windes zu spüren bekommen. Das Feuerwehrhaus hatte auch etwas abbekommen. Und quer durch den Ort, entlang des Baches, zieht sich die Spur des Windes. An der Art und Weise, wie die Bäume geknickt seien, hätten die Experten dies als Fallböe und nicht als Tornado eingestuft, sagte am Mittwoch Markus Jonas vom Deutschen Wetterdienst. „Bei einem Wirbelsturm sähe die Spur anders aus“, so der Meteorologe. Direkt an Ort und Stelle hatten die Einwohner zunächst einen anderen Eindruck gehabt. Auf einer Karte, die sich auf eigene Beobachtungen und auf die Angaben der Otterbacher stützt, hat das Mittelhessenblog die Spur des Sturmwindes dieser Nacht nachgezogen.*
Neben den abgedeckten Dächern markieren wie Spielzeugbälle umgestoßene Heuballen der Domäne Otterbacher Hof und die quer über das Dorf getriebene Folie, in die die Heuballen eingewickelt waren, die Wucht und die Richtung des Windes. Die Folien wurden dabei zum Teil über eine Distanz von knapp 400 Meter über das größtenteils im Tal liegende Dorf getrieben und blieben nördlich des Otterbachtals im Buschwerk am gegenüberliegenden Berghang hängen.
Für Erich Müller, Pächter des Otterbacher Hofs, kam der Sturm mehrfach ungelegen. Zum einen musste er nun angesichts des schnell wieder umschlagenden Wetters zusehen, seine Heuballen buchstäblich ins Trockene zu holen, zum anderen ärgere ihn persönlich die „Unordnung, die der Sturm hier herein gebracht hat. Sonst ist hier alles aufgeräumt, jetzt hat der Sturm nahezu alle Ballen abgedeckt und viele einfach durch die Gegend geschleudert. So wie das hier jetzt aussieht, sieht es sonst nicht aus“, sagt der Landwirt. Der, so wie einige andere im Dorf nie mit einem solchen Sturmereignis gerechnet hatte und deswegen jetzt vermutlich erst einmal auf den Kosten sitzen bleiben wird, wenn sich keine andere Lösung findet.
„Sie müssen überprüfen, ob Sie in Ihrer Versicherungspolice die entsprechende Klausel über die Versicherung von Sturmschäden angekreuzt haben. Darauf müssen Sie bei Abschluss eigentlich hingewiesen worden sein, dies zu anzukreuzen und zu unterschreiben“, sagt der unabhängige Versicherungsmakler Hans-Jürgen Stieler aus Rockenberg.
Nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes sind solche Sturmereignisse, wie jetzt eines die Otterbacher überfallen hat, sicherlich nicht auf die Klimaveränderung zurückzuführen. Allerdings sei es doch ungewöhnlich, dass so ein Sturm im Frühjahr und nicht im Sommer auftritt. Nach Grafiken des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hatten die Otterbacher bei einem Blick auf die langjährigen Auswirkungen und das Auftreten von Sturm und Hagelschäden in dem Sinn allerdings doppeltes Pech.
Denn einerseits treten solche punktuellen Ereignisse eher in Süddeutschland auf oder im Nordosten, nicht aber in der Mitte. Und zu anderen ist da die seltsame Wetterlage, die eigentlich einen solchen Sturm eher im Sommer vermuten lässt. Ein Blick auf die Statistiken des GDV verrät, dass es lediglich Kyrill war, der das normale Sturmverhalten im Winter durchbrochen hatte. Kyrill hatte deutschlandweit im Januar 2007 zugeschlagen, in der erste Märznacht 2008 war es Emma, schließlich März 2010, das Sturmtief Xynthia. Emma und Xynthia richteten vergleichsweise weniger Schaden an. Mittelhessen lag während dieser Stürme in einem mittleren Gefahrenbereich, zumindest aus Sicht der Versicherer.
Den wetterbedingten Schicksalsschlag nahm die Dorfbevölkerung dennoch relativ gelassen hin: „Heute morgen sah es noch sehr wüst aus. Aber dank der Hilfe der Leute vom Bauhof, der Nachbarschaft und der ortsansässigen Dachdeckerei wurden die Schäden doch rasch behoben, stellte der Gemündener Bürgermeister Lothar Bott fest.
Gelassenheit – trifft letztlich auch auf Thomas Gompf zu, der seine Erlebnisse im Video schildert. Ihn hatte der Sturm kurzzeitig vom Telefonkabel getrennt, so wie einige andere Otterbacher auch vom Strom abgeschnitten, weswegen auch die Alarmierung der Feuerwehr auf Zuruf organisiert werden musste: Der Sturm hatte auch die Sirene lahmgelegt.
*Bilderseite: Der Morgen danach: Sturmnacht Otterbach 2. März 2015 Bilder:Kipper/v.Gallera Mittelhessenblog.de
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