Liebe Mittelhessenblogleser: Lebenserfahrung macht offensichtlich klug und weise: Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler war schon längst vor seiner Schiedsrichterrolle in der Stuttgart-21-Frage für Überraschungen gut, etwa mit seiner Sympathie für attac. Dass Grüne im Grunde auch überraschen können, machte bereits die Grünen-Ikone Joschka Fischer vor: Vom Turnschuh-Minister in Hessen zum staatstragenden Außenminister- und Vizekanzler im Kabinett des ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröder. Sorgten Geißler und Fischer indes mitunter polternd für Überraschung, so ist der Grüne Tom Koenigs eher ein Mann, dessen Überraschungseffekte eher subtiler Art sind.
Im Vorzeichen des hessischen Kommunalwahlkampfes ist der Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe derzeit unterwegs im Hessenland. Auf einer seiner Stationen, in Krumbach, einem Ortsteil der mittelhessischen Naturwaldgemeinde Biebertal, bekannte sich Koenigs offen zu Schnittmengen mit Teilen des heutigen Kabinetts Merkel. Das einzige Hindernis, das Koenigs sieht, ist die unnachgiebige Haltung, wenn es um das neue alte Festhalten der CDU an der Kernkraft als Energieträger geht.
„Sicher gibt es da einige, mit denen wir könnten. Etwa Minister zu Guttenberg. Mit seiner Reduzierung der Bundeswehr hat er klassische grüne Politikstandpunkte aufgegriffen. Oder etwa der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Der ist sogar ein echter Menschenrechtsaktivist“, berichtete Koenigs aus seiner Arbeit im Menschenrechtsausschuss des Bundestags. So habe Koenigs Gröhe gewissermaßen instrumentalisiert als es darum gegangen sei, die wiedergewählte Vertriebenen-Vorsitzende Erika Steinbach zur Raison zu bringen. Da sie auf ihn, Koenigs, nicht reagiere, noch nicht einmal bereit sei, Anträge gemeinsam abzustimmen („Mit Ihnen (den Grünen, redaktionelle Anmerkung) geht das nicht“) habe er Gröhe um Hilfe gebeten. So habe dieser ihm zugesagt, sozusagen hinter den Kulissen der großen Politik, mit Steinbach ein ernstes Wort zu reden.
Ob es denn auch bei den Grünen „Knallköppe“ gäbe, wollte sein Publikum in Anspielung auf seine Zeit als Magistrat der Stadt Frankfurt wissen. „Sicher auch da gab es den einen oder die andere“, war Koenigs ehrlich.
Zum Thema Atomkraft skizziert Koenigs einen unverrückbaren Markstein: „Das Risiko ist nicht beherrschbar. Außerdem redet man von 100000 Jahren bei der Endlagerung. Zum Vergleich: Die Menschen sind vielleicht erst vor rund 50000 Jahren in Erscheinung getreten“. Koenigs weist auf Begriffe hin wie Sellafield, Harrisburg oder das in der negativen Wortbedeutung tatsächlich alle bis dahin aufgetretenen zivile Nuklearkatastrophen überstrahlende Reaktorunglück von Tschernobyl.
Er wisse letztlich nicht, was Merkel dazu treibe, eine Politik zu gestalten, die sich gegen den Widerstand des größten Teils der Bevölkerung richte, auch gegen die Überzeugung der Mitglieder in den eigenen Parteireihen und den bisher eher CDU-orientierten Mittelstand. Die Trendwende in der Atompolitik schade gerade der wirtschaftlichen Entwicklung der vielen Mittelstandsunternehmen und Stadtwerken, die im Vertrauen auf einen gesellschaftlich gewollten Ausstieg aus der Atomkraft und Orientierung hin zu erneuerbaren Energien in diese investiert und Arbeitsplätze geschaffen hätten.
Koenigs räumt ein, dass ein sofortiger Wechsel hin zu den Erneuerbaren jetzt nicht zu schaffen wäre. Dort, wo die Union neuerdings wieder auf Atomkraft als Brückentechnologie setze, sähen die Grünen Erdgas als Brückentechnologie. Er sagt allerdings auch, in Sachen Energie gäbe es unter den Grünen weitaus mehr berufene Experten, was dieses Thema betrifft.
Seine Stärke sieht der studierte Betriebswirt und Abiturient eines humanistischen Internatsgymnasium eher in der Volkswirtschaft und den Menschenrechten. Auf den Tourtagen an der Basis wollen die Leute aber eines wissen: „Wo steht Ihr, wenns um die Atomkraft geht?“ In Krumbach bringt es ein Besucher im Gespräch mit seinem Tischnachbarn auf den Punkt: „Wenn die Grünen in der Atomfrage einknicken, können sie den Laden dichtmachen. Das wäre ihr Ende.“ Am Podiumstisch zementiert Koenigs trotz aller Sympathien für einzelne CDU- und CSU-Politiker noch einmal: „Bei der Atomfrage gibt es mit uns keinen Kompromiss. Grün und AKW, das schließt sich aus.“ Punkt. Sagt es und schlägt die Brücke zu den Menschenrechten: „Es ist eigentlich unglaublich, unter welchen Bedingungen das Uran abgebaut wird, mal ganz abgesehen von den ökologischen Folgen. Den Leuten wird gar nicht gesagt, mit welcher Gefahr sie es zu tun haben.“
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