Liebe Mittelhessenblogleser: Die gegenwärtige Diskussion um die Reaktion auf die mögliche Gefährdung der inneren Sicherheit Deutschlands durch islamistische Gewalttäter hat mit der jüngsten Forderung Siegfried Kauders (CDU) nach Einschränkung der Pressefreiheit skurril wirkende Formen angenommen und für prompten Gegenwind des Koalitionspartners FDP, der Opposition und des Deutschen Journalistenverbands gesorgt.
Die Notstandsgesetzgebung, die 1968 von der damaligen Großen Koalition eingeführt wurde, sieht allerdings für gewisse Fälle die zeitweilige Aufhebung der grundgesetzlich garantierten Rechte vor. Für das Mittelhessenblog Anlass für eine offene Anfrage an den Bundesminister des Inneren der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Thomas de Maizière, welchen Kurs Deutschland einschlagen wird. Die Anfrage wird ebenso wie die Reaktionen des BMI auf diese im Zuge des Transparenzgedankens der offenen Recherche im Mittelhessenblog dokumentiert. Grundlage der Fragen sind der Grundrechtekatalog des Grundgesetzes wie er auf den Seiten des Deutschen Bundestags im Internet dokumentiert ist sowie die Archive des Deutschen Bundestags zu Historischen Debatten um Parlamentsbeschlüsse.
Sehr geehrter Herr Bundesminister des Inneren,
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland werden zentrale bürgerliche Rechte garantiert. Artikel 1 Absatz 2 und 3 geben dabei die direkte Linie vor, der ja explizit nicht nur das deutsche Wahlvolk sondern die Gesamtheit aller im Geltungsbereich des deutschen Rechts wohnenden Bürger und Bürgerinnen unterworfen ist, mithin auf die Mitglieder der vollstreckenden, gesetzgebenden und rechtsprechenden Gewalt. Die aktuelle Politik, so erscheint es zumindest in weiten Teilen der Bevölkerung, scheint sich aber derzeit von diesen normal gültigen Grundrechten entfernen zu wollen. Dieser Eindruck ergibt sich zumindest aus den in letzter Zeit auf den Weg gebrachten Praktiken von Körperscannern über den geplanten Ausbau polizeilicher Befugnisse bis hin zum jüngsten Vorschlag, die Pressefreiheit einschränken zu wollen.
Gründe für diese Annahme:
In Artikel 5 Absatz 1 heißt es wortwörtlich „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Das Verhalten Siegfried Kauders ist dem genau entgegen gerichtet.
Die 1968 verabschiedete Notstandsgesetzgebung sieht die Ablösung der geltenden Verfassung durch eine Notstandsverfassung vor. In den Archiven des Deutschen Bundestags heißt es hierzu :
Zitat aus: Historische Debatten (5) Notstandsgesetze
Dem Verfassungstext wurde somit eine Notstandsverfassung beigefügt, um die Handlungsspielräume der Staatsorgane in einer Krisensituation zu erweitern – aber auch um die Grundrechte einzuschränken. Im Fall eines inneren oder äußeren Notstands kann seither ein „Notparlament“ als Ersatz für Bundestag und Bundesrat zusammentreten.
Seit mehr als 40 Jahren in Kraft
Die Bundeswehr darf außerdem zur „Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer“ – also auch gegen die eigene Bevölkerung – eingesetzt werden. Darüber hinaus können die Grundrechte jedes Einzelnen bei einem Ausnahmezustand beschnitten werden: Insbesondere das in Artikel 10 des Grundgesetzes garantierte Post- und Fernmeldegeheimnis ist davon betroffen.
Die Notstandsgesetze sind seit dem 28. Juni 1968 in Kraft – und damit nun seit mehr als 40 Jahren gültig. Angewendet werden mussten sie zum Glück jedoch noch nie.
Zitatende aus : Historische Debatten (5) Notstandsgesetze
Artikel 20 GG wiederum umreißt in klaren Regeln die Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland, die Regelung der vom Volk ausgehenden Staatsgewalt, das Verhältnis der drei Gewalten zueinander sowie die Voraussetzung für ein Widerstandsrecht gegen diejenigen, die die Ordnung der Bundesrepublik gefährden.
Von verschiedenen Staatsrechtslehrern wird zum Widerstandsrecht hier auch das Recht zum so genannten Tyrannenmord abgeleitet, wenn Gefahr für die freiheitliche und demokratische Grundordnung Deutschlands bestehen sollte.
Vor den angeführten Rechtsregeln deswegen diese Fragen:
Wenn die Gefährdungslage so konkret ist, wie es in den vergangenen Tagen und Wochen hieß, begründet dies dann Schritte, wie sie sich aus den Vorschriften der Notstandsgesetzgebung ergeben? Etwa erwähnte Einschränkung der Pressefreiheit, Einschränkung der Bürgerrechte, Einsatz der Bundeswehr im Inneren, um einige zu nennen.
Wenn dem tatsächlich so sein sollte, ist dazu ein Beschluss des Parlaments notwendig. Dieser fand, soweit bekannt, nicht statt.
Wenn es nicht so sein sollte, auf welcher vom Grundgesetz abgedeckten Rechtsgrundlage beruhen dann einschränkende Anordnungen?
Wenn, wie es in inzwischen in weiten Bevölkerungsteilen, also letztlich dem Wähler als Souverän, angenommen wird, dass das politische Handeln der gewählten Volksvertreter den Regeln der laut Grundgesetz definierten Grundlage unserer gesellschaftlichen Ordnung zuwider läuft – ab wann ergibt sich dann das Recht des Souveräns, durch aktives Handeln (ziviler Ungehorsam, ziviler Widerstand etc.) dafür zu sorgen, dass die ehemals gewählten Volksvertreter durch eine andere Aktion als die einer neuerlichen Wahl abgelöst werden?
Weiterführende Links zur Hintergrundinformation:
Website des Bundesinnenministeriums
Grundgesetzdokumentation des Deutschen Bundestags Artikel 1 bis 19
Grundgesetzdokumentation des Deutschen Bundestags Artikel 20 bis 37
Schreibe einen Kommentar