Liebe Mittelhessenblogleser: 400 sagen die einen, geschätzte 350 die anderen: Gemeint ist der Süddeutsche Journalistentag, der dieses Jahr in Mainz stattfand. Für einen mittelhessischen Journalisten also leichter erreichbar als München, wo dieser Tag vor einem Jahr stattfand. Ort des Geschehens war das ZDF-Sendezentrum auf dem Mainzer Lerchenberg. Vor einem Jahr hatte am gleichen Ort mit dem Onlinejournalistenkongress eine andere Veranstaltung des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) stattgefunden, wo einer mit seinem Start ins deutsche Blogjournalismuszeitalter eine deutliche Duftmarke setzen sollte: Hardy Prothmann. Genau jener, der mit seinem Heddesheimblog die Region um Mannheim „aufmischte“, um im Tonfall der ZDF-Kollegen bei der Berichterstattung über das „Wir-in-NRW-Blog“ zu bleiben. Exakt jener Hardy Prothmann fehlte.
( Red. Anmerkung: Weitere Impressionen über diesen Tag bringt das Mittelhessenblog in einem Folgeartikel.)
Eigentlich habe man ihn ja gerne dabei gehabt, hieß es von der betreuenden Agentur der Veranstaltung, für die der hessische, der saarländische, der bayerische, der rheinland-pfälzische und der thüringische DJV-Landesverband verantwortlich zeichnen. Aufgrund seines Verhaltens gegenüber einer Redakteurin des Mannheimer Morgens, das gegen den Pressekodex verstoßen habe, sei er aber dann wieder ausgeladen worden, wurde dann direkt von Verbandsvertretern erläutert. Er habe Gelegenheit gehabt, sich zu entschuldigen, habe das aber nicht getan. Prothmann selber hatte über den Streit zwischen ihm und der Redakteurin des Mannheimer Morgens berichtet, der die Folge einer Veröffentlichung im Februar war. Den sich darüber entwickelten Streit hatte Prothmann in seinem Blog, das als zweites Medienorgan neben dem Mannheimer Morgen für eine lokale Nachrichtenalternative sorgt, dokumentiert. Insofern ist der Ausdruck, um den es geht, kein Geheimnis. In seiner Berichterstattung über die Arbeitsweise seiner Berufskollegin verwendete er den Ausdruck „journalistischer Blowjob“, ergänzte dies mit der Beschreibung der äußerlichen Attribute der MM-Redakteurin. Genau diese Herangehensweise brachte ihm den Ärger mit den DJV-Verbänden ein, die ihn darauf als geladenen Referenten für den Süddeutschen Journalistentag 2010 ausluden. So erklärte es unter anderem der hessische DJV-Vorsitzende Heuser. Unter anderem wurde auf die Regeln verwiesen, die die deutsche Presse sich mit dem Pressekodex gegeben hat. Prothmann erklärt den Ausdruck als Fachjargon, mit dem eine interessengeleitete oder kritiklose Darstellung von Ereignissen umschrieben wird. Dank des Internets und einiger auf semantische Suchtechniken aufbauenden Suchmaschinen ist es möglich, diese Wortkombination in Zusammenhang mit journalistischen Texten zu ermitteln. [Anmerkung: Semantische Suche bedeutet die Suche auf Grundlage von Worten und Sätzen].
Dabei stößt man auf die kritisierte Prothmannsche Wortwahl auch in einem Artikel des Schweizer Journalisten Matthias Schüssler in seiner Kritik an einem Bericht des Schweizer Senders DRS3 über den Tennisspieler Roger Federer. Diese gleiche einem „journalistischen Blowjob“. Schüssler selber ist Redakteur des Zürcher Tagesanzeigers, hatte diesen Ausdruck allerdings in seinem semiprofessionellen Blog Clickomania verwendet. Die Grundsätze, nach denen Journalisten in der Schweiz arbeiten sollen, gleichen denen, nach denen auch die deutschen Journalisten arbeiten sollen.
Folgende Fragen stellen sich: Wurde vor dem Ausladen Prothmanns die gleiche Recherche angestellt, derer sich nun das Mittelhessenblog bedient, bevor ihm das Argument genannt wurde? Tatsache ist, dass der deutsche Presserat in seinen Leitlinien stehen hat, dass nach Ziffer 12 niemand aufgrund seines Geschlechts diskriminiert werden darf. Etwas weiter vorher heißt es unter Ziffer 9 (Schutz der Ehre), dass niemand durch unangemessene journalistische Berichterstattung in Wort und Bild in seiner Ehre verletzt werden darf. In Artikel 5 Grundgesetz schließlich regeln Absatz 1und 2 die Übergänge zwischen der jedermann zugestandenen freien Meinungsäußerung und dem Schutz der persönlichen Ehre.
Die Tatsache, dass der bewusste Ausdruck in der Berichterstattung Prothmanns als Sexismus gewertet wird, bedarf angesichts der gleichen Verwendung durch einen anderen Kollegen in einem anderen Land zu einem vollkommen anderen Sachverhalt möglicherweise einer neuen Betrachtung.
Dass Prothmann als eine der aktuellen zentralen Figuren in dem erst jungen, berufsmäßig geführten Blogjournalismus vom Süddeutschen Journalistentag 2010 ausgeladen wurde, sorgte zumindest beim „Fußvolk“ zum Teil für Verwunderung. In Twitterkommentaren zu der Veranstaltung wurde Prothmann jedenfalls entsprechend gewürdigt.
Wer nun wissen will, was Prothmann aus seinem Blogpraxisalltag zu berichten hat, wird dies nun nur gegen eine Teilnahmegebühr von 80 Euro erfahren können. Denn soviel kostet die Teilnahme am Frankfurter Tag des Online-Journalismus 2010, den der Hessische Rundfunk gemeinsam mit dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizisktik und dem Medienbeauftragten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am 17. Juni veranstaltet. Dort ist Prothmann als Referent gebucht.
Hardy Prothmann meint
Guten Tag!
Vorbemerkung: Christoph von Gallera und ich sind keine Buddies, gehören zu keinem bestimmten Netzwerk, kennen uns aber flüchtig über Veranstaltungen und Internet-Netzwerke und haben, glaube ich, einmal telefoniert – dabei wollte Christoph von mir Tipps zum Einrichten eines blogs, die ich, soweit möglich, gegeben habe.
Zum Text.
Vielen Dank für die Recherche. Ich hatte das Thema schon abgehakt, weil ich mich mit wichtigeren Sachen beschäftige – dem Aufbau eines neuen journalistischen Netzwerks im Rhein-Neckar-Kreis.
Du schreibst:
„So erklärte es unter anderem der hessische DJV-Vorsitzende Heuser. Unter anderem wurde auf die Regeln verwiesen, die die deutsche Presse sich mit dem Pressekodex gegeben hat.“
Stop. Wie bitte? Ich bin nicht die deutsche Presse und habe mir schon gar keine Regeln mit dem Pressekodex gegeben. Der Pressekodex hat für mich folgerichtig keine Verbindlichkeit.
Und wenn man beim DJV schon diese Fahne vor sich herträgt, dann frage ich mich, wie jemand von bild.de es aufs Podium geschafft hat.
Tatsache ist, dass der DJV auf „einige meiner Beiträge hingewiesen“ wurde, von wem, ist nicht bekannt.
Tatsache ist, dass nur ein einziger Text als Beleg für meine „Ausfälle“ benannt wurde.
Tatsache ist, dass der DJV keine Rücksprache gehalten hat, sondern mich einfach ausgeladen hat – ich habe das verschmerzt, es hätte eh kein Honorar gegeben (die Debatte, dass ein Verband schlechte Honorare annahmt und selbst KEINE zahlt, kann man an anderer Stelle führen).
Du schreibst:
„Eigentlich habe man ihn ja gerne dabei gehabt, hieß es von der betreuenden Agentur der Veranstaltung, … Aufgrund seines Verhaltens gegenüber einer Redakteurin des Mannheimer Morgens, das gegen den Pressekodex verstoßen habe, sei er aber dann wieder ausgeladen worden, … Er habe Gelegenheit gehabt, sich zu entschuldigen, habe das aber nicht getan.“
Das ist herzig. Hätte ich mich entschuldigt, wäre ich dann wieder eingeladen worden? Wohl kaum.
Tatsächlich habe ich transparent zu dem Vorgang Stellung genommen und den Vorwurf, mir ginge es um die Schmähung einzelner Personen zurückgewiesen.
Tatsächlich ist das, was der DJV hier abgezogen hat, ein Kasperletheater.
Ende 2006 habe ich mit einer Reihe von Artikeln in verschiedenen Medien die unhaltbaren Zustände in Sachen interner Verbandspolitik des DJV aufgezeigt und kritisiert.
Damals hat der DJV-Bundesvorstand Michael Konken eine sehr unrühmliche Rolle gespielt und auch sein Pressesprecher Hendrik Zörner musste ein wenig die „eigenen Spielregeln“ überdenken.
Geschenkt. Damals ist für mich damals – aber vielleicht gibt es hier ja noch ein paar offene Wunden…
Zurück zum Kodex und zum Recht.
Die Grundlage für jeden Journalismus ist weder der Pressekodex des „Presserats“ noch der Medienkodex des „netzwerks recherche“, den ich auch nicht unterschrieben habe (obwohl ich zu den Gründungsmitgliedern des Vereins gehöre).
Für mich gilt Artikel 5 Grundgesetz. Und für mich wie für jeden anderen Bürger der Bundesrepublik Deutschland gelten auch andere Gesetze im Zusammenhang mit einer publizistischen Tätigkeit.
Wer sich durch publizistische Informationen in seinen Rechten verletzt fühlt, kann versuchen, seine Rechte durchzusetzen. Dazu hat jeder das Recht.
Und ich habe auch das Recht, gegen Rechte zu verstoßen, wenn ich denke, dass ein anderes Recht dies rechtfertigt.
Mein Text über das „Drama der journalistischen Prostitution“ scheint manchen ins Mark getroffen zu haben, weil man sich selbst erkannt hat und das ist gut so.
Genau das sollte der Text bewirken – als eine Art „ziviler Ungehorsam“.
Ich habe mich nicht entschuldigt und werde das auch nicht tun.
Ich habe aber deutlich gemacht, dass es mir überhaupt nicht um die Verunglimpfung einer einzelnen Person geht. Das ist völlig abwegig.
Es ist viel erschüttender: Es geht um tägliche Verfehlungen einer ganzen Branche und deren täglicher Prostitution um Märkte und Marktanteile und Meinungsführerschaften und Eitelkeiten. Es geht um undemokratische Verhaltensweisen von Menschen, die die Macht zum Wohl ihrer Mitbürger nur geliehen bekommen haben und das nicht mehr wissen (wollen).
Das wurde auch entsprechend verstanden.
Der DJV hatte die Gelegenheit, mich zur Rede zu stellen, hat sich aber entschieden, lieber fadenscheinig einen auf „moralisch“ zu machen und keine Fragen zu stellen.
Das ist für mich ein eklatanter Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. Wer eine Meinung haben will, muss fragen. Wer nur eine Meinung hat, beraubt sich dieser Freiheit.
Ich biete dem DJV und jedem anderen jederzeit einen transparenten Austausch von Meinungen und Fakten an.
Das Problem dabei: Ich habe nichts zu verbergen und bin sehr gut vorbereitet und willens, Ross und Reiter zu nennen.
Denn ich stelle Fragen, recherchiere Fakten und habe eine Meinung, veröffentliche diese und stehe dafür ein.
Einen schönen Tag wünscht
Hardy Prothmann
Karl-Josef Schäfer meint
Liebe Kollegen, was machen wir hier eigentlich?
Vorab: Auch mir ist die Sprachwahl von Hardy Prothmann seinerzeit aufgefallen. In einer Twitter-Direct-Message habe ich so etwas wie „Harter Tobak, muss das sein?“ geschrieben (den genauen Wortlaut weiss ich nicht mehr) und erhielt die Antwort: „@weilburger Lesen Sie den Artikel, dann brauchen Sie nicht zu fragen.“ (das war jetzt zitiert). Und Recht hatte er, so zu antworten.
Was machen wir hier eigentlich? Wir bieten unseren Lesern ein lokal‑, bzw. regionaljournalistisches Angebot. Wir arbeiten, wie Sie Herr Prothmann an irgendeiner Stelle geschrieben haben, für unsere Leser, weil wir den Artikel 5 GG Ernst nehmen und unsere „Leser lieben“ (O‑Ton Prothmann). Wir kennen unsere Leser, wir wissen, in welchem Stil wir unsere Leser informieren, ansprechen, animieren, motivieren und provozieren können. Und wir alle lernen noch. Wir schauen links und rechts, lesen bei den Kollegen mit, schauen uns das eine oder andere ab.
Nur, Herr von Gallera, was hat ein Artikel über den Süddeutschen Journalistentag und die Ein- und Ausladung von Herrn Prothmann mit der Region Mittelhessen zu tun? Welcher Ihrer und meiner Leser weiss etwas mit Journalistentag, DJV, heddesheimblog und allem drumherum anzufangen? Für Weilburg kann ich die Antwort geben: es ist eine Handvoll in den mitlesenden Redaktionen.
Herr Prothmann selbst hat im http://www.heddesheimblog.de schon Stellung dazu bezogen. Auch hier macht er es noch einmal deutlich.
Ich für meinen Teil, also für „meine“ 14.000 Weilburger plus Umgebung, kann sagen, dass ich sehr genau aufpassen muss, welche überregionalen Themen ich ansprechen kann. Google Analytics zeigt sehr deutlich, welche Beiträge angenommen und welche völlig ignoriert werden. Ich muss aufpassen, mit den Weilburger Nachrichten nicht zu einem der vielen tausend meinungsorientierten Blogs zu werden.
Und um die Eingangsfrage was wir hier eigentlich machen, zu beantworten: Wir machen Lokaljournalismus und berichten nicht über die große Politik in Berlin, Brüssel oder Washington. Bei uns zu Hause liegen die Themen auf der Straße, wir brauchen sie nur aufzuheben. Die Windräder am Knoten, der Sauerbronn in Probbach, die Betonschwellen am Feldweg. Und wie wir es machen, das sollte doch bitteschön uns selber überlassen bleiben.
Und viel interessanter finde ich das kurz gestreifte Rhein-Neckar-Journalistennetzwerk 🙂
Just my two cents, Ihr Ka-Jo Schäfer
Christoph von Gallera meint
Liebe Mittelhessenblogleser, liebe Kollegen,
was Blogs wie das Heddesheimblog, die Weilburger Nachrichten, das Mittelhessenblog und andere existierende journalistisch geführte Blogs machen: Je nach personeller und finanzieller Stärke und Ausstattung regionale Meinungsplattformen im Internet biiden, die je nach Ausrichtung entweder einem streng lokaljournalistischen Ansatz folgen oder eher einen großräumigeren Regionalansatz haben.
Mitunter wirken die Beben der großen Politik auch in die Region hinein, je mehr die Region miteinander verflochten sind, umsomehr wenn von fernen Zentralen wie Straßburg oder Brüssel über Bundestag, Bundesrat über die Länderparlamente und Länderministerien über Kreise bis in die Kommunen regiert wird. Ein Beispiel mag die Mittelhessenblog-Geschichte über die sterbenden Landschlachtereien sein. Dies auf die Frage, wieso das Mittelhessenblog auch große überregionale Themen berücksichtigt.
Zum zweiten: Artikel 5 Grundgesetz ist die zentrale Basis der journalistischen Arbeit in Deutschland. Wenn nun einem Kollegen Vorwürfe gemacht werden, die dessen Integrität als Journalist in Frage stellen, dieser für jeder Mann und jede Frau nachvollziehbar berichtet und er infolge dessen aus einer zentralen Veranstaltung einer der vier zentralen deutschen Journalistenorganisationen als Referent ausgeladen wird, ist das ein Thema, das sicherlich auch für die Leser in der mittelhessischen Region interessant sen kann, geht es doch um prinzipielle Anwendung fundamentaler Werte unserer demokratisch organisierten Gesellschaft.
Das Mittelhessenblog verfolgt mit seiner Ausrichtung sowohl den Blick auf das was in den fünf mittelhessischen Landkreisen geschieht, genauso aber auch diejenigen Dinge, die außerhalb der Grenzen des Regierungspräsidiums Gießen/Mittelhessen passieren. Auch von diesem Ansatz her gehört die Beobachtung von Vorgängen rund um journalistische Veranstaltung mit ins Konzept. Die nächsten auf der Tagesordnung stehenden Punkte sind die Mitgliederversammlung des DJV-Ortsverbandes Gießen am 19. Mai sowie der hessische DJV-Landesverbandstag und der Frankfurter Tag des Online-Journalismus, die beide im Juni stattfinden werden.
Einen schönen Restsonntag wünscht
Christoph von Gallera
Freier Journalist – Mittelhessenblogger
Karl-Josef Schäfer meint
gut gebrüllt, chapeau!
mh meint
Thema DJV: Hier wurde mir ja ein Beitritt nahegelegt.
Ich hatte im Hinterkopf, dazu was gelesen zu haben. Jetzt habe ich es wieder rausgesucht.
Kennen Sie Thomas Knüwer? Ehemals Handelsblatt. Der schrieb 2009 in seinem Blog, warum er aus dem DJV ausgetreten ist: http://blog.handelsblatt.com/indiskretion/2009/07/22/warum-ich-aus-dem-djv-austrete-und-mich-frage-ob-man-nicht-etwas-tun-musste/
Spannend sind auch die über 70 Kommentare darunter… viel Spaß beim Lesen. Und ich bin gespannt, was es noch für Meinungen der hier anwesenden (Blog-)Schreiber dazu gibt.
Christoph von Gallera meint
Kritiker gibt es immer. Und letzlich ist diese Kritik für eine Kurskorrektur auch wichtig. Dennoch erfüllt der DJV eine wichtige Funktion. Zum einen vereint er verschiedene Gruppen aus der Branche und bietet ein Forum. Zum anderen, zumindest aus der Sicht eines freien Journalisten, von denen mindestens 60 Prozent inzwischen gibt, bietet der Verband einiges an Fortbildungen, Seminaren und Konferenzen. Den endgültigen Anstoß für das Mittelhessenblog hatte ja der Onlinetag des DJV von 2009 gegeben. Gekommen wäre es zweifellos so oder so. So eben nur schneller. Deswegen: Trotz aller Kritik spricht doch auch einiges für den DJV.
Beste Grüße
Christoph von Gallera
Mittelhessenblog