Landwirte, Jagdpächter und Kommunen, die Windkraftanlagen errichten wollen, dürfen es: Bauen im sogenannten Außenbereich, also überall dort, wo sonst nur Wald und Wiese sind. Im Fachjargon heißt das „privilegiert“. In Hessen gibt es mit dem Naturschutzgesetz von 1990 und spätestens mit der Natura2000-Verordnung zum Schutz besonders wertvoller Flora und Fauna vom 16. Januar 2008 dazu zusätzlicher schärfer gefasste Bedingungen.
In der Gießener Westkreisgemeinde Biebertal in Mittelhessen, genauer gesagt in den beiden Ortsteilen Königsberg und Fellingshausen wartet man gerade gespannt auf eine Entscheidung der Gießener Kreisbauaufsicht, die nach Einschätzung des Königsberger Ortvorstehers Wolfgang Lenz zu einem Präzedenzfall für andere „nichtprivilegierte Eigentümer“ werden könnte: Ob eine verfallene Schutzhütte im Wald in der Gemarkung Königsberg wenige Meter entfernt von einer anderen saniert werden darf, obwohl sachlich nach Einschätzung des betroffenen Jagdpächters und der zuständigen Jagdgenossenschaft dafür kein Grund besteht. In anderen Landkreisen wie im Main-Taunus-Kreis oder auch in Gießen bibbern Eigentümer ungenehmigter illegaler Bauten gerade wegen deren drohendem Abriss. Auch wenn es sich in Biebertal zunächst nur um eine lokale Auseinandersetzung zu handeln scheint, kann aus den Aufeinanderprallen der verschiedenen Auffassungen ein Zeichen über den mittelhessischen Raum hinaus werden. Erwähnenswert ist auch die Art, wie sich die Gemeinde, die den Titel „Naturwaldgemeinde“ trägt, ins Spiel gebracht hat, um die Chancen für einen möglichen Bau in einem ausgewiesenen Schutzgebiet zu ermöglichen.
„Wenn ich das gewusst hätte, was da auf mich zukommt, hätte ich vor vier Jahren die Hütte wohl nicht gekauft“, sagt Klaus Rüspeler aus dem Biebertaler Ortsteil Fellingshausen. Er hatte im Sommer 2008 die so genannte Ziehe-Hütte gekauft, eine alte Schutzhütte aus dem Jahr 1934, die im heutigen Gemeindewald Biebertal liegt und mit der Zeit vollkommen verfallen war. „Ich sah die Hütte und mir tat es irgendwie leid, dass sie immer mehr verfiel. Als sich 2008 die Gelegenheit bot, habe ich einfach zugegriffen. Die entsprechenden Warnungen der vorherigen Eigentümer hatte ich in meiner Freude damals wohl nicht erkannt“, sagt Rüspeler heute.
Aus seinem Ansinnen, die Hütte, die kurz vor dem Zusammenbrechen war, einschließlich des umgebenden Grundstücks wieder aus einem verwilderten, verfallenen Zustand in einen besseren zu verwandeln, wurde in diesen vier Jahren ein Vorgang, der inzwischen nicht nur Rüspeler und dem zuständigen Jagdpächter Bernhard Bette die Nerven raubt, wenn auch mit jeweils anderen Motiven, sondern auch die Jagdgenossenschaft, den Gemeindevorstand, den Königsberger Ortsbeirat und nicht zuletzt die Kreisbauaufsicht mit Beschlag belegt.
Angefangen hatte alles mit einer Begegnung Bettes und Rüspeler im Gemeindewald nahe des Helfholzes. Bette ist gemeinsam mit Rainer Kroeblin Pächter des Reviers, das von der Jagdgenossenschaft in Königsberg verpachtet wird und direkt an die Eigenjagd des Helfholzes grenzt.
Die so genannte Ziehe-Hütte liegt wenige Meter entfernt von einer anderen Schutzhütte, die 1922 gebaut wurde und heute außen als Unterstand Wanderern Schutz bietet, während der Innenraum von den Eigentümern privat genutzt wird, wie Bette berichtet.
Als Rüspeler in den Wald fuhr, um die Hütte zu renovieren, fiel dies Bette auf. „Ich wies ihn daraufhin, dass ich erstens der zuständige Jagdpächter bin, zum zweiten nach den diversen Naturschutz- und Jagdgesetzen eine Hütte, die reinem Freizeitvergnügen diene, nicht erlaubt sei und forderte ihn auf, mit der Bautätigkeit aufzuhören. Er ließ sich allerdings nicht weiter davon beeindrucken“. Also fragte Bette in der Biebertaler Gemeindeverwaltung. Zuständig war damals Birgit Herbst als Umweltberaterin. Am 21. Oktober 2008 kam es dann zu einem Ortstermin im Wald. Um den Zustand der Hütte und die bereits begonnenen Bauarbeiten zu dokumentieren, habe Herbst alles fotographiert und am gleichen Tag noch dem Kreis gesandt. Der verhängte schließlich am 6. November 2008 einen Baustopp.
Ein Jahr vergeht und Bette wendet sich wieder an den Kreis, an die Untere Naturschutzbehörde (UNB) des Landkreises Gießen. Denn, so Bette, obwohl ein Baustopp verhängt worden war, habe sich offensichtlich niemand um dessen Einhaltung gekümmert. Die UNB informierte Bette am 30. November 2009 schließlich am Telefon, dass der gesamte Vorgang an die Kreisbauaufsicht abgegeben wurde. Nach mehreren Nachfragen Bettes kommt schließlich am 16. Dezember 2009 ein Schreiben von der Kreisbauaufsicht, dass tatsächlich schon am 6. November 2008 ein Baustopp verhängt worden sei.
Wie Bette erklärt, habe er schließlich selber Foto- und Videoaufnahmen gemacht und diese dem Kreis geschickt, um den Fortgang der Bauarbeiten zu dokumentieren. Bette berichtet über „häufiges abendliches Grillen“ während der Sommermonate.
2010 schließlich kommt es zu einem entscheidenden Wechsel: Am 25. August 2010 sendet der Gemeindevorstand Biebertal selber einen Bauantrag für die Ziehe-Hütte an das Kreisbauamt. Zur Begründung heißt es unter anderem: „Im Juli 2009 hat der Eigentümer der Gemeinde Biebertal die Hütte zur öffentlichen Nutzung als Schutzhütte und Lagerraum für Sitzbänke angeboten. Am 21. Dezember 2009 hat der Gemeindevorstand den generellen Beschluss gefasst, das Angebot anzunehmen.“ Weiter heißt es, solle mit dem Eigentümer eine Nutzungsvereinbarung geschlossen werden. Am 26. August, am gleichen Tag an dem der Vorstand der Biebertaler Jagdgenossenschaft tagt und Biebertals Bürgermeister Thomas Bender als Jagdvorsteher wegen Befangenheit ablehnt, wie aus einem Schreiben der Jagdgenossenschaft an den Gemeindevorstand vom 30. August 2010 hervorgeht, wird die Jagdgenossenschaft von der Leiterin des Biebertaler Bau- und Umweltamtes Cornelia Bergen über die neue Sachlage informiert und auf den „Bauantrag zur öffentlichen Nutzung“ hingewiesen.
Was Bette aufstößt: Dass die Schutzhütte nicht nur im Bauantrag sondern auch schon vorher im Behördenverkehr als „Jagdhütte“ bezeichnet wird und damit „möglicherweise“ schon vorher eine „stillschweigende“ Genehmigung für ein „privilegiertes Bauen im Außenbereich“ vorbereitet werden könnte. Was, so Bette, rein juristisch Quatsch wäre, weil nach dem Buchstaben des Gesetzes Jagdhütten „nur in 400 Kilometer Entfernung vom Wohnsitz des Jagdpächters“ errichtet werden dürfen.
Die gesamte Gemengelage der vorliegenden Daten löste jedenfalls bei Bette, der Jagdgenossenschaft Biebertal und beim Königsberger Ortsvorsteher das Gefühl aus, „dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu gehen kann.“ In Königsberg wundert man sich darüber, dass wenige Meter neben einer bereits bestehenden Hütte nun möglicherweise eine zweite Schutzhütte gebaut werden soll. Wie Lenz sagte, habe man im Königsberger Ortsbeirat von allem erst erfahren, als Bette hierüber berichtete. Das Thema stand dann am 13. Oktober 2010 auf der Tagesordnung einer Ortsbeiratssitzung, während derer Bette als Gast Einzelheiten erläuterte. Biebertals Bürgermeister Bender habe auf dieser Sitzung erklärt, man sei auf der Suche nach einer vergleichbaren Lösung wie für die bereits bestehende Hütte in der Nachbarschaft.
Wolfgang Helm, der Leiter der Kreisbauaufsicht Biebertals Bürgermeister Thomas Bender und nichtzuletzt Klaus Rüspeler bewerten die Dinge anders. „Ich denke, wir sollten uns in der Kreisbauaufsicht eher um Dinge kümmern, die wirtschaftliche Grundlagen schaffen und unsere Zeit nicht mit einer Schutzhütte verschwenden. Das ist aber nun schon seit ein paar Jahren der Fall. Tatsache ist, dass wir einen Baustopp und zwischenzeitlich aufgrund der Foto- und Videoaufnahmen auch ein Zwangsgeld verhängt haben. Ansonsten steht die Entscheidung noch aus. Außerdem werde ich dieser Sache nur in Rücksprache mit dem Biebertaler Bürgermeister etwas sagen“, rückte Helm klar. Bender dagegen verwies einerseits auf die noch laufende Entscheidung beim Kreis und darauf, „dass entgegen aller eventuellen Vermutungen es keine wie auch immer gearteten Entscheidungen gibt, die nicht rechtens sind.“ Auch für Klaus Rüspeler sind Vermutungen, die „auf Mauschelei abzielen“ reine „Hirngespinste.“ Hätte er gewusst, welchen Wirbel der Hüttenkauf verursachen könnte „hätte ich das nicht getan“, sieht der Fellingshausener heute kritisch auf seine Erwerbung.
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