Bis 2005 war die Welt der Schaf- und Ziegenzüchter einfach: Jedes Schaf bekam eine Marke, mit der es seiner Herde klar zugeordnet werden konnte. Damit war bereits die Transparenz gewährleistet gewesen, die von der Europäischen Union im Sinne eines nachvollziehbaren Verbraucherschutzes gefordert wurde. 2005 wurde dann alles anders: Seither muss jedes Schaf einen doppelten Ohrclip tragen, mit einer individuellen Nummer. Für den Fall, dass mal eine Marke ausreißt. Nun kommt seit Beginn 2010 noch etwas anderes hinzu: Jedes Schaf soll in einer der Ohrmarken auch noch einen Transponder tragen. Mit dem sollen die Tiere elektronisch registriert werden , erklärt Arnd Ritter, Schafberater beim Landesdienst Landwirtschaft in Kassel. Die Regelung gilt allerdings nur für Tiere, die ab dem 1. Januar 2010 geboren sind und nicht innerhalb eines Jahres geschlachtet werden. Gegen die Bestimmung der EU-Richtlinie 21/2004 wollen die Verbände der Schaf- und Ziegenzüchter nun mit einer Klage vor den Europäischen Gerichtshof ziehen und hoffen auf die finanzielle Unterstützung auch der heimischen Schaf- und Ziegenhalter, auch der nichtorganisierten.
„Bis 2005 war das so wie es bei den Schweinezüchtern ist. Da hat eine Marke mit der Bestandskennzeichnung gereicht, vollkommen“, erläutert Ritter. In der Zwischenzeit lief aber bereits ein Feldversuch mit der elektronischen Kennzeichnung, in den südeuropäischen Ländern wie Italien oder Spanien. Auslösendes Moment, so steht später in der EU-Verordnung EU 21/2004 seien die Erfahrungen mit der Maul- und Klauenseuche aus dem Jahr 2001 gewesen. Damals hatte die Tierseuche Mittelhessen mit Biebertal im Zentrum zum internationalen Medienbrennpunkt gemacht. Die Biebertalerin Sabine Kletschmann, deren Schafherde damals wegen Verdachts auf MKS gekeult worden war, hatte nicht nur die Umstände der Keulung kritisiert, sondern auch, dass die Sperren, die unter anderem rund um Bubenrod errichtet worden waren, sehr durchlässig gewesen seien. In der EU-Richtlinie, die nun in letzter Linie der Grund für die Doppelkennzeichnung und die Transpondermarkierung ist, heißt es wörtlich: „ Bei Schafen und Ziegen haben die bisherigen Erfahrungen und vor allem die MKS-Krise gezeigt, dass die praktische Umsetzung der genannten Richtlinie nicht zufrieden stellend ist und verbessert werden muss. Daher sind strengere und spezifischere Vorschriften zu erlassen, wie dies für Rinder mit der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern(6) geschehen ist“. Weiter heißt es in der Richtlinie, dass die bereits bestehenden Verfahren zur elektronischen Erfassung verbessert werden sollen. Gleichzeitig heißt es aber auch, dass Staaten, die nur eine geringfügige Schafhaltung haben, diese Kennzeichnung auf freiwilliger Basis umsetzen können. „Deutschland mit seinen rund 600000 Schafen fällt nicht darunter“, macht Ritter deutlich. Der Schafberater erklärt aber genauso, bisher habe jeder Praktiker, jeder Amtstierarzt in den Landkreisen, mit denen er gesprochen habe, den Nutzen dieser neuerlichen EU-Richtlinie bezweifelt. Denn die Herden ließen sich auch so überprüfen, wie es bis 2005 der Fall war. „Überprüft werden die Tiere so oder so, ob nun die Tiere eine Bestandsmarke oder eine individuelle Kennzeichnung haben“ gibt Ritter das Echo wider. Auch die geforderte Rückverfolgbarkeit der Tiere sei gegeben.
Gegen den „Bürokratiewahnsinn“ der EU will nun der Dachverband der Schafzuchtverbände in Deutschland, die Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL) in Berlin vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Die Gesamtkosten für das Verfahren werden auf rund 35000 Euro geschätzt. Allein die hessischen Schafhalter, von denen rund 70 Prozent weniger als zehn Schafe haben, müssen bei der neuen elektronischen Kennzeichnung mit Kosten von rund 50000 Euro rechnen. Denn die Transpondermarkierung kostet je nach Variante zwischen 1,37 und 1,98 Euro. Netto. Hinzu kommen die Mehrwertsteuer und die Bearbeitungsgebühr. Die exakten Daten dazu stehen auf der Website des Hessischen Verbands für Leistungs- und Qualitätsprüfungen in der Tierzucht (hvl-alsfeld.de.) .
VDL-Geschäftsführer Dr. Stefan Völl mahnt angesichts enger Fristvorgaben zur Eile: Würde das Verfahren nicht in den nächsten Monaten beginnen, droht Völl zufolge die dauerhafte Festschreibung der neuen Regeln.
Der hessische Schafzüchterverband nimmt die zweckgebundenen Spenden zur Unterstützung des Klageverfahrens unter dem Stichwort „Rechtsstreit Kennzeichnung“ auf das Sonderkonto bei der Kasseler Bank eG, Kontonummer 326 720, BLZ 520 900 00 zur Weiterleitung entgegen (Spendenquittung kann ausgestellt werden). Diese Gelder werden dann gebündelt über die VDL für den Rechtsstreit eingesetzt. Da unter Umständen auch die Schweinezüchtern und Rinderhaltern von den neuen Regelungen betroffen sein können, hoffen die Schaf- und Ziegenhalter auch auf Unterstützung durch die jeweiligen Verbände und den Bauernverband.
Christoph von Gallera meint
Und Geschichte wiederholt sich doch, nur manchmal mit veränderten Vorzeichen: 2001 hatte in Fulda nach den Erlebnissen rund um die Maul- und Klauenseuche ein Kongress aller Tierärzte und Amtstierärzte aus Deutschland stattgefunden. Damals warnten die Praktiker vor übertriebener Hysterie aus EU-Kreisen. Heute, 9 Jahre später, scheinen die Rufe immer noch zu hallen, dieses mal im Brennpunkt die neue elektronische Kennzeichnung…