„Das stimmt doch überhaupt gar nicht“, regte sich der hessische GEW-Mann Jürgen Jäger am Telefon auf. Er hatte den Artikel im Mittelhessenblog über die PCB-Infoveranstaltung am Mittwoch gelesen und anschließend den PCB-Vortrag von Professor Thomas Eikmann. Dessen Feststellung, dass von PCB keine Gefährdung für die nächste Generation ausgeht, widerspricht Jäger heftig. Seine Vorwürfe, die er telefonisch äußerte, hat er nun noch einmal schriftlich untermauert. Das Material liegt dem Mittelhessenblog vor.
Jäger stützt seine Vorwürfe im wesentlich auf einen Beschluss des Wiesbadener Verwaltungsgerichts. Auch ansonsten ist der Umwelt- und Schadstoffbeauftragte der hessischen Lehrergewerkschaft nicht sonderlich erbaut über die Nachrichten, die mit dieser Infoveranstaltung zusammenhängen. Jedenfalls, solange diese mit der Person des 60-jährigen Institutsleiters zu tun haben.
Institutsleiter, Forscher, Mitglied des Deutschen Rats für Landespflege
Eikmann hat als Leiter des Instituts für Hygiene- und Umweltmedizin gleich zwei Hüte auf: Zum einen gehört er als Mediziner zum Personal des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, das bekanntlich heute in privater Hand ist und als Wissenschaftler, der an der Justus-Liebig-Universität lehrt und ein Institut leitet, an dem angehende Ärzte und Fachleute in der Umweltmedizin ebenfalls ausgebildet werden, gehört er dem Personal der JLU an ‑als Professor. Die JLU wiederum ist bekanntlich eine öffentliche Einrichtung und unterliegt dem Land Hessen. Sucht man im Internet nach Eikmann, führt ein Pfad zur Umweltinfobasis der JLU. Sprich, Eikmann ist eine Persönlichkeit, deren Wort Gewicht hat und mithin auch Einfluss. Setzt man die Suche fort, so führt ein weiterer Link zu dessen Seite im Angebot der Uni Gießen. Und von dort unter dem Stichwort Biografie führt ein weiterer Link auf die Seite des Deutschen Rates für Landespflege. Diesem gehört Eikmann seit 2004 an. Sämtliche Informationen sind öffentlich, kein Staatsgeheimnis. Mithin, dem ersten Eindruck nach ein Wissenschaftler mit ausgewiesenem Expertenwissen, dessen Urteil und Sachverstand man sich ohne weiteres anvertrauen darf. Dass es so sei, unterstrich Eikmann am 21. August während der PCB-Info-Veranstaltung für die Elternschaft der Herderschule in Gießen: Er wolle sich an Fakten halten und die Dinge nüchtern betrachten. Er sei für die PCB-Belastung nicht verantwortlich. Rund 800 Zuhörer haben diese Worte an diesem Mittwoch gehört.
„Die öffentliche Meinung beruhigen“
Doch der Name Eikmann löst im Kreis derer, die sich seit Jahren mit Umweltbelastungen durch polychlorierte Biphenyle befassen, Stirnrunzeln und ein trockenes „Aha, also d e r Eikmann aus“. Er sei in der Szene bekannt, er gehöre zu den Experten, die dann gerufen würden, wenn es darum ginge, die öffentliche Meinung zu beruhigen. Die, die das sagen, sind zum großen Teil Personen, die selber vor Jahren wegen einer PCB-Folge-Erkrankung dienstunfähig wurden oder zumindest mit Beeinträchtigungen leben müssen. Sie engagieren sich seither in Organisationen wie dem BBU oder Selbsthilfegruppen. Sie haben zum Teil jahrelange Prozesse hinter sich. Verwaltungsgerichtsverfahren, Zivilrechtsverfahren. Es ging um Anerkennungen ihrer Krankheiten, das Durchsetzen von Grenzwerten.
Gegenspieler auf der anderen Seite?
Zu diesem Kreis gehört auch Jürgen Jäger. Der ehemalige Lehrer und Schulleiter wurde wegen seiner Krankheit in den Ruhestand versetzt. Heute engagiert er sich als Umwelt- und Schadstoffbeauftragter bei der GEW Hessen. Er ist quasi der Gegenspieler auf der anderen Seite, wenn man dieses Bild bemühen will. Es gehört nicht viel dazu dieses Bild zu zeichnen. Dazu reichte der Besuch der Informationsveranstaltung in der Gießener Kongress. Eigentlich gedacht, besorgten Eltern und Schülern zu erklären, wie die Realität aussieht, damit sie damit umgehen können, entstand eher der Eindruck, es ginge um Beschwichtigung und Abwiegelung. Das ist schade. Denn eigentlich sollten Verwaltungen sich, wie sie es auf ihren Internetseiten, Infobroschüren oder öffentlichen „Fototerminen“ immer wieder vermitteln, sich tatsächlich im Dienst des Bürgers sehen und nicht, im schlimmsten Fall, als Abwehrinstanz berechtigter Bürgeransprüche. Einer dieser Ansprüche ist das Recht auf umfassende wahrheitsgemäße Informationen.
Ruf nach der Staatsanwaltschaft
Besonders der Vorsitzende des Fördervereins der Herderschule, Harald Wack, von Haus aus Jurist, ging die Verwaltung hart an, insbesondere den Leiter des Gießener Hochbauamts Hartmut Klee, dem Wack mit der Staatsanwaltschaft drohte. Im Grunde, so erklärte Wack, müsse geprüft werden, ob es einen Anfangsverdacht für Körperverletzung gebe. Und die sei letztlich dann gegeben, wenn die Beeinträchtigung des Körpers durch die PCB-Belastung nachgewiesen werden könne. Nach Lage der Dinge, zumindest auf Grundlage dessen, was Jäger nun vorgelegt hat und weswegen er dem Gießener Institutsleiter Eikmann schlicht vorwirft, den Eltern am Mittwoch mit falschen Informationen versorgt zu haben, könnte nun ein Grund vorliegen, der ein rechtliches Vorgehen welcher Art auch immer gegen wen auch immer wegen der PCB-Belastung der Herderschule und damit verbundene Erkrankungen oder im günstigsten Fall, damit verbundenen erhöhten PCB-Werte auslösen könnte.
Warum dieses? Im Jahr 1992 hatte das Verwaltungsgericht Wiesbaden entschieden, dass „eine Raumluftkonzentration oberhalb von 1000 Nanogramm (= 1 Milligramm) eine konkrete Gefahr im Sinn der §§83 Absatz 1 HBO (red. Anmerkung das ist: Hessische Bauordnung) und 3 Absatz 1 BImSCHG (red. Anmerkung: das ist: Bundesimmissionschutzgesetz) darstellt. Oberhalb dieses Wertes sei ein „sofortiges Eingreifen der Bauaufsicht“ erforderlich.
Frankfurter Juristen setzten 1992 PCB-Reduzierung auf 9 Nanogramm durch
Der aktuellen Stadtverwaltung muss immerhin zugute gehalten werden, dass sie zumindest online versucht, Transparenz zu schaffen. So steht die Stadt in einem eigens eingerichteten Forum zumindest bei den bekannten Fakten Rede und Antwort. Bis in den Zeitraum der ersten Messungen Anfang der 90er Jahre. Noch vor dem Inkrafttreten der hessischen PCB-Richtlinie, die sie im übrigen neben anderen Informationen wie den diversen Messgutachten dieser Zeit bereit hält.
In diesen Informationen weist die Stadt, wie dies ebenfalls während der Infoveranstaltung geschah, auf die PCB-Raumluftuntersuchungen hin, die Anfang der 90er Jahre an betroffenen Gießener Schulen unternommen worden, einschließlich der Nachuntersuchung im Jahr 1992. Orientiert man sich an den Richtwerten von 300 Nanogramm als Untergrenze und 3000 Nanogramm als Obergrenze, nach deren Überschreiten sofort gehandelt hätte werden müssen, so stimmt die Position der Stadt. Nur, wenn es so ist, warum war es dann möglich, dass im gleichen Jahr 1992 Frankfurter Juristen erfolgreich die Reduzierung des PCB-Wertes im Frankfurter Justizgebäude „C“ um 97 Prozent gefordert und die Sanierung durchgesetzt hatten: Von 300 Nanogramm auf neun (9) Nanogramm Kubikmeter. Hintergrund dieser niedrigen Werte waren damals die Herabsenkung der Maximalen Arbeitsplatzkonzentration für Gift- und Schadstoffe (MAK-Werte) durch die Senatskommission zur Prüfung gesundheitlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Darüber hatte die Wiesbadener Lehrerzeitung 2012 in ihrer Februarausgabe berichtet.
Zwei Urteile bekräftigen 1000 Nanogramm als Obergrenze
Jäger weist nun zusätzlich auf zwei Urteile des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 26. August und 7. September 1992 hin (Az III/ 1 G 398/91 und Az III /1 G 1011/91, die beide das gleiche feststellen: Ab 1000 Nanogramm PCB-Konzentration in der Innenluft müsste sofort die Bauaufsicht einschreiten. Also ab einem Wert, der unter den 3000 der hessischen PCB-Richtlinie liege. Jäger führt noch einen anderen Urteilsspruch an: Unter der Geschäftsnummer 1 E 3503196 hatte das Verwaltungsgericht Kassel am 12. Oktober 2005 entschieden, dass das Land Hessen, Jägers Erkrankung als Dienstunfall anerkennen müsse. Jäger hatte bereits 1991 versucht, wegen seiner durch Baugifte am Arbeitsplatz ausgelöste Erkrankung Dienstunfähigkeit, seine Krankheit als Dienstunfall anzuerkennen. Dagegen wehrte sich das Land Hessen, vertreten durch den RP in Kassel. Das Kassel Verwaltungsgericht kam auf Grundlage eines Gutachtens, das damals der Heidelberger Biochemiker Professor Walter Kochen erstellt hatte, zu dem Schluss, dass seine Erkrankung „mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Belastung durch polychlorierte Biphenyle“ zurückzuführen sei. Während seiner Arbeit als Lehrer von 1977 bis 1992, dem Jahr, in dem er in den Ruhestand versetzt wurde. Also über einen Zeitraum von 15 Jahren. Jäger Antrag wurde vom Regierungspräsidium Kassel abgelehnt, nachdem vorher der Gießener Arbeitsmediziner Professor Hans-Joachim Woitowitz am 3. Juli 1995 ein Gutachten erstellt hatte. Auf der Grundlage dieses Gutachtens lehnte der RP Kassel Jägers Antrag ab, wogegen dieser sich wehrte. 2005 schließlich bekam er Recht.
Zu Woitowitz muss man bemerken, dass der heute emeritierte Professor wie heute Eikmann ein hochangesehener Mann der Wissenschaft ist und dessen Name, wie es der Präsident der Bundesärztekammer Frank Montgomery im Mai formulierte, für „kompetente Politikberatung“ stehe. Sein Verdienst liege vor allem darin, dass er als einer der ersten vor den Auswirkungen von Asbest auf die Gesundheit gewarnt habe. Woitowitz, der lange Jahre das Institut für Arbeitsmedizin der JLU Gießen leitete, hatte in diesem Jahr auf dem 116. Ärztetag die Paracelsus-Medaille verliehen bekommen. Sie gilt als die höchste Auszeichnung für Mediziner in Deutschland. Darüber hatte die Landesärztekammer Hessen am 28. Mai 2013 auf ihrem Portal berichtet. Zum besseren Verständnis, wer Paracelsus war: Ein schweizerischer Arzt aus dem 16. Jahrhundert, dem der Spruch zugesprochen wird: „Die Dosis macht das Gift“. Wie in der Wikipedia steht, galt Paracelsus zu seinen Lebzeiten als mitunter beißender Kritiker seiner Berufskollegen.
Gefahrenlage muss 1992 bekannt gewesen sein
Jürgen Jäger ist nun der Ansicht, dass mindestens allen Fachleuten die 1000 Nanogramm als Obergrenze bekannt sein müsste. Schon allein deswegen, weil es am 6. November 1992 eine Dienstmitteilung an die drei Regierungspräsidien in Kassel, Darmstadt und Gießen gab ‑aus dem damaligen Hessischen Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit unter der rotgrünen Regierung Eichel/Fischer. Mit im Verteiler waren damals alle Magistrate der kreisfreien Städte, also auch Gießen, und Kreisausschüsse der Landkreise und die Gesundheitsämter. Worum ging es damals? Eine Mitteilung über Raumluftverunreinigung durch PCB aus Fugendichtmassen, die verbaut wurden. In seinem Rundschreiben wies damals Professor Martin Henseling außer auf den Wiesbadener Urteilspruch vom 7. September 1992 auch auf eine „gewisse Verunsicherung hin nach einer Mitteilung einer Mitarbeiterin des Bundesgesundheitsamtes zur Beurteilung der Innenraumluft mit PCB.“
Die Anderen
Der Vollständigkeit wegen muss allerdings auch auf Gegenpositionen hingewiesen werden: Der Gelsenkirchener Professor Ulrich Ewers ist Leiter des Hygiene-Instituts des Ruhrgebiets. In einem 2005 in der Zeitschrift Gesundheitswesen abgedruckten Fachvortrag zum zehnjährigen Bestehen der PCB-Richtlinie fordert der Wissenschaftler eine Überarbeitung der Richtlinie und spricht von immer niedriger werdenden PCB-Werten. Desgleichen vertrat er 2005 die gleiche Position, die jetzt der Gießener Institutsleiter Eikmann vertritt: Verglichen mit der Aufnahme über die Nahrung würden die Luftwerte der PCB nicht die große Rolle spielen und bei der Aufnahme über die Nahrung seien die Werte seit den 80er Jahren immer weiter am Sinken. Ewers Fachvortrag gibt es hier. Interessant ist übrigens eine Stellungnahme des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) in Nordrhein-Westfalen zum PCB-Gutachten Ewers zu den PCB-Problemen an einer Gesamtschule in Bochum. Dort empfiehlt das LANUV im Zuge der Risikokommunikation und entgegen der Empfehlung Ewers Blutuntersuchungen anzubieten. Das könne besorgte Personen beruhigen. Fachlich teile das LANUV im übrigen Ewers Ansicht, dass es keine Gefährdung gebe.
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