BÜRGERWILLE/COMPUTER und INTERNET
Rund 22 Millionen Deutsche nutzen im laufenden Jahr 2011 Facebook. Diese Zahl kursiert vom Managermagazin bis zur Bildzeitung durch die Internetöffentlichkeit und in gedruckter Form auch durch den Rest der Medienwelt. Gleichzeitig warnte Deutschlands Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner vor dem Datendurst, den Zuckerbergs Schöpfung entwickele und hob mahnend den Finger. Zuletzt sorgte ein Aufreger aus Schleswig-Holstein für hohe Wellen im globalen deutschen Dorf. Schleswig-Holsteins oberster Datenschützer störte sich am erhobenen Daumen, den Website-betreiber als Möglichkeit in ihre Seiten einbauten, um so Besuchern die Möglichkeit zu geben, zu zeigen, dass sie die Seite gut finden. Nun sorgt ein Zuckerbergscher Spruch abermals für Aufregung. Er wolle das Facebook quasi vom Aufstehen bis zum Insbettgehen nach Möglichkeit mit jeder Lebensregung gefüttert werde, die der brave Facebook-Bürger so im Laufe seines Lebens von sich gibt.
Über Zuckerbergs Ansinnen wogen die Wogen ähnlich hoch, wie immer, wenn aus der Facebook-Ideenschmiede mal wieder ein tatsächlicher oder vermeintlicher Genieblitz über die Köpfe der versammelten Internetgemeinde zuckt. Nur, was soll die Aufregung. Am finster dräuenden Horizont zieht das Schreckgespenst der rundum überwachten Welt von 1984 auf. Der Romanwelt, wohlgemerkt. Die George Orwell erschaffen hatte. Orwell lebte von 1903 bis 1950, schrieb seinen Roman in den Jahren kurz vor seinem Tod. Um es denen zu erzählen, die seinen Roman nicht kennen: Darin geht es um einen durchorganisierten Überwachungsstaat, in dem die privaten Gedanken abgeschafft sind, die Menschen so gut wie entmündigt, das Denken und Regeln ihres Alltags der allumfassenden Partei und dem über sie wachenden Großen Bruder abgetreten haben. Nur einer, der einfache Bürger Winston Smith fordert die Kontrolle über sein Privatleben und seine Gedanken zurück.
Zuckerbergs Pläne, dass Facebook zum allumfassenden Lebenstagebuch werden möge, sind aus der Sicht Zuckerbergs verständlich. Jeder Eintrag mehr, jede Aktivität mehr hebt die Attraktivität seines Werkzeugs, dass er der Internetgemeinde an die Hand gegeben hat. Und die Protestler der Internetgemeinde, vornehmlich der deutschen Internetgemeinde, gegen diese Pläne, müssen sich zumindest den Vorwurf gefallen lassen, ihren Protest nicht bis zum Ende durchdacht zu haben: Nicht Zuckerberg ist das Problem, auch nicht Google, auch nicht der Cyberkriminelle um die Ecke, der es vielleicht auf Daten abgesehen haben könnte. Das Problem sind die Nutzer selber: Wer ohne Überlegung einfach ins Netz schreibt, muss sich, sofern mündiger Mensch, die Kritik gefallen lassen, Facebook oder jedes andere Werkzeug, das dem digitalen Meinungsaustausch dient, so wie ein Auto ohne Bremsen zu benutzen: Es fährt und fährt, man freut sich über das schnelle Tempo: Bis irgendwann die Kurve kommt und man aus dieser getragen wird. Auf Facebook gemünzt: Wer nicht will, dass allzu privates das Netz aufbläht oder unkontrollierbar wird, der lasse diese Informationen einfach draußen. Deswegen sind Facebook und Co auch nicht 1984.
Andreas meint
Guter Artikel. Ich denke aber nicht dass es darum geht, wie der Bürger zum gläsernen Menschen gemacht wird. In der Schreckensvision 1984 musste man davon ausgehen, dass die Menschen gewaltsam ‚hörig‘ gemacht wurden. In der heutigen, realen Gesellschaft sind die Mittel und Wege andere. Facebook hat es auf intelligentem Wege geschafft, die Menschen sich überwachen zu lassen. Und kontrolliert werden sie über die (Werbe-)Industrie. Es reicht nicht, die User als selbst schuld zu bezeichnen. Der Vergleich Facebook’s zu 1984 ist also durchaus, wenn auch differenziert betrachtet, anwendbar.