Liebe Mittelhessenblogleser: Sie erinnern sich: Am 20. Mai war es, als im Mittelhessenblog der Aufruf in eigener Sache für einen spendenfinanzierten Recherchejournalismus in der Region erschien. Zwar gibt es als sichtbare Leserreaktion darauf bisher nur einen Kommentar – dass der Aufruf aber gelesen wird und sich die Leser dafür Zeit nehmen, den Artikel zu lesen, das verraten mir wiederum die internen Statistiken. Sprich: das Thema scheint nicht ohne Interesse zu sein. Dafür habe ich in der realen Welt „da draußen“ diverse positive Kommentare bekommen, allerdings auch die Befürchtung, dass anders als in den USA das Publikum hier noch nicht so weit sein dürfte. Genauso hieß es, dass in Deutschland die Einstellung noch weit verbreitet sei, dass Informationen ja etwas sind, was es kostenlos gibt. Diese Reaktionen waren nun die Grundlage für einen zweiten Artikel zum gleichen Thema. Dessen Tenor: Warum Mäzenatentum oder spendenfinanzierter Journalismus in letzter Konsequenz das Gebot der Stunde angesichts der Lage rund um den Journalistenberuf ist. Im Modellfall Mittelhessen wären 1,5 Millionen Euro eine mehr als ausreichende Grundlage für fünf freie regional arbeitende Korrespondenten – wenn jeder Mittelhesse einen Euro jährlich spenden würde.
Mit der journalistischen Information, die man eben schnell im Vorbeigehen am Laptop, auf dem Handy oder ganz klassisch noch in gedruckter Form auf dem Weg zur Arbeit, in der Mittagspause oder nach Feierabend „zu sich nimmt“ ist es ungefähr so wie mit einem guten Essen: Das Essen selber dauert vielleicht eine Stunde, die Vorbereitung dagegen nimmt manchmal einige Stunden, einen Tag, manchmal sogar mehr Zeit in Anspruch. Im Restaurant ist man bereitwillig bereit, für den Genuss und die gesamte Atmosphäre einen angemessenen Betrag zu zahlen, ist die Bedienung noch dazu freundlich, gibt es meistens ein Trinkgeld.
Anders dagegen scheint es bei der Ware/Dienstleistung Journalismus zu sein. Ware? Dienstleistung? Sie haben richtig gelesen. Nach der Berufsbildbeschreibung des Deutschen Journalistenverbandes ist das wesentliche Kennzeichen der Arbeit eines Journalisten oder eines Redakteurs das Sichten, Sammeln und Aufbereiten von Informationen für ein breites Publikum. Journalisten sollten in der Regel unabhängig und neutral sein, damit sie ihrem Publikum eine entsprechende Grundlage für die Meinungsbildung liefern können. Mehr darüber verraten die Beschreibung im Berufslexikon und eine zusammenfassende Übersicht auf den Seiten des Deutschen Journalistenverbands DJV.
Soweit die Theorie. Wie sieht die Praxis aus? Die Debatte, unter welchen Bedingungen Journalisten wo wie arbeiten und was sie verdienen, findet in der Regel fast nur in der Fachöffentlichkeit statt. Der „normale“ Leser, also Sie, liebe Mittelhessenblogbesucher, bekommt von dieser Debatte eigentlich nur dann etwas mit, wenn im Zuge von Tarifverhandlungen zwischen Verlegerverbänden und den Gewerkschaften (DJV, Verdi) es zu Streiks kommt und Journalisten auf die Straße gehen. Je jünger das Publikum ist, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass diese Nachrichten dann auch über das Internet transportiert werden. Tatsache ist, dass sich die Medienlandschaft seit mehreren Jahren im Umbruch befindet, Redaktionen zusammengelegt, als eigenständige GmbH ausgegründet und neuen Kollegen bei Festanstellungen zu schlechteren Konditionen bei gleicher oder stärker werdender Arbeitsbelastung Anstellungsverträge angeboten werden. Die Situation bei den freien hauptberuflichen Journalisten sieht dabei noch bescheidener aus. Zwischen der vom DJV immer wieder eingeforderten angemessenen Honorierung freier journalistischer Arbeit und der ausgeübten Praxis vieler Verlagshäuser, gleich ob große Häuser wie Springer oder kleiner Regionalverlage tobt ein seit Jahren von der Öffentlichkeit kaum bemerkter Kampf. Zeugnis darüber legen die einschlägigen Internetseiten ab, auf denen dieser Diskurs protokolliert ist (Deutscher Journalistenverband, Deutsche Journalistenunion, Bund Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), um nur die wichtigsten Gegenspieler zu nennen.)
Je nachdem, ob ein freier Journalist ohne die Konkurrenz durch „Nebenbei-Journalisten“ arbeiten kann oder im täglichen Geschäft mit Konkurrenten zu tun hat, die am Ende keine wirtschaftliche Kalkulation ihrer Arbeit zugrunde legen müssen, weil sie im Hauptberuf anderen Tätigkeiten nachgehen oder andere Einkünfte haben, gestaltet sich das monatliche Honorar.
Dass die Situation schon vor vier Jahren anders als rosig war, schrieb die FAZ in ihrem Hochschulanzeiger. Darin heißt es unter anderem: „Das Gros der freien Journalisten verdient miserabel.“. Im Schnitt lägen die Einkünfte bei rund 13570 Euro, wie die Künstlersozialkasse gemeldet habe, in einer Breite zwischen 10000 und 30000 Euro. Die Bedingungen zu den Freie arbeiten müssten, seien alles andere als rosig. So bliebe Freien nichts anderes übrig, als PR-Aufträge anzunehmen und jene Auftraggeber würden dann auch noch erwarten, dass der eine oder andere PR-Artikel als redaktioneller Beitrag im jeweiligen Medium landet – so dass der Leser, Zuhörer oder Zuschauer glaubt, er bekäme eine unabhängig recherchierte Geschichte präsentiert. Im gleichen FAZ-Artikel heißt es auch, dass die Lage bei den festangestellten Journalisten nicht besser sei. Zeit für Recherche nehme ab, die für Organisation und Verwaltung zu. Das war die Lage vor vier Jahren (den kompletten FAZ-Artikel können Sie hier nachlesen: FAZ). Unter dem Druck der Ereignisse und der zunehmenden Bedeutung der Arbeit freier Journalisten hatte sich dann 2008 der Verband Freischreiber gegründet. Dieser dokumentierte die Lage bei den „Großen“ und ihrem Verhältnis zur Zusammenarbeit mit freien Journalisten unter anderem in einem per Mail geführten Interview mit Christoph Amend, Chefredakteur des Zeit-Magazins. Dieser wich klar gestellten Fragen nach dem Wert und der Bezahlung der Arbeit freier Journalisten aus, genauso der Stellungnahme zum Umgang mit den Verwertungssrechten. Zum Hintergrund: Klassischerweise ist ein freier Journalist darauf angewiesen, seine Text mehrfach zu verwerten, desgleichen seine Bilder. Die Praxis, dass Verlage mit so genannten Buy-Out-Verträgen, gegen ein geringes Honorar sich alle Verwertungsrechte sichern wollen, besteht dagegen schon lange. Das sie rechtswidrig ist, wurde inzwischen in einem Urteil des Berliner Kammergerichts gegen den Springerverlag festgestellt, das als richtungsweisend für die gesamte Branche gilt (Az. 5 U 90/07). Die wichtigste Nachricht: Texte und Fotos, die freie Journalisten an Verlage liefern, dürfen nicht ohne Zustimmung des Urhebers und ohne entsprechend angemessene Honorierung vom Verlag weiterverwendet und an Dritte weitergegeben werden. Soweit der Richterspruch, über den sich der Deutsche Journalistenverband und die Deutsche Journalisten Union (Verdi) gleichermaßen freuten. Bei den jeweiligen Verbandjuristen wird die Umsetzung aber als schwierig angesehen. Die Lage sei in Ostdeutschland immer noch traurig für freien Journalismus und Hessen sei in dieser Beziehung noch schlimmer als alle ostdeutschen Länder zusammen. Sprich: In der Praxis müssen freie Journalisten entweder das Spiel des Rechteausverkaufs weiter mitmachen und machen weit gehende Abstriche bei Ansprüchen an echten Recherchejournalismus, finanzieren ihren Lebensunterhalt, soweit es geht, durch PR-Aufträge. Was das bedeutet, hat die FAZ in ihrem Artikel vor vier Jahren schon festgehalten. Dass im übrigen nicht nur die schreibende Zunft davor nicht gefeit ist, sondern fest angestellte Kollegen bei öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern ebenfalls, darüber hatte das Mittelhessenblog selber bereits in seinem Artikel über die Rüge für das Heute-Show-Team berichtet.
Die Zahlen, die der FAZ-Artikel vor vier Jahren nannte, finden ihren Widerhall in einer Befragung unter 2000 freien Journallisten, die der Deutsche Journalistenverband 2009 veröffentlicht hatte. Daraus geht eines klar hervor: Der wirtschaftliche Gegenwert für die Arbeit freier hauptberuflicher Journalisten liegt häufig genug im Einstiegsbereich handwerklicher Berufsanfänger, oft genug umgerechnet auf Stundensätze unter Hartz-IV-Niveau. Die Gründe sind vielfach im Umgang mit der geleisteten Arbeit zu suchen. Das Resultat: Freier Journalismus, zumindest mit dem Anspruch an recherchierenden Journalismus findet, je lokaler, immer seltener statt. Der Ausweg aus der Misere wird im PR-Bereich gesucht.
Im Gemengefeld dieser Gesamtlage ist der Journalimus in eine Glaubwürdigkeitsfalle geraten. Medienberichte über bestechliche Journalisten, den Einfluss von Nachrichten- und PR-Agenturen führen zu Veranstaltungen wie dem Mainzer Mediendisput, wo die Branche selber versucht, Antworten auf Fragen nach dem Weg aus der Sinnkrise zu finden. So sticht in einer Dokumentation des Disputs 2002 diese Schlagzeile ins Auge: „VERSCHWIEGEN, VERSCHWUNDEN,VERDRÄNGT – VERGESSENE THEMEN UND DIE MACHT DER AGENTUREN“. Der aktuelle Blick in die täglichen Schlagzeilen zeigt, dass sich an der 2002 geschilderten Tendenz nichts wesentliches geändert hat. Die überegionalen und bundesland‑, mitunter bezirksbezogenen Meldungen bestimmen die Schlagzeilen in der Mehrzahl der Blätter. Individuelle Korrespondentenberichte haben kaum eine Chance, nachhakende Recherchegeschichten noch weniger.
Im Interview mit Dr.DishTV räumt Jutta Steinhoff, Leiterin des dpa-Landesbüros zum 60-jährigen Bestehen der Nachrichtenagentur offen ein, dass trotz aller Sorgfalt Fehler passieren können. Während sie diesen erklärt, verlagert sie das im Vogelsbergkreis liegende namensgebende Vulkanmassiv aus dem Regierungspräsidium Mittelhessen kurzerhand nach Osthessen. Trotzdem dieses so ist, begründet Steinhoff, warum die meisten Redaktionen sich lieber der Agentur bedienen: Spart Zeit.
In diese Stimmung zielt nun eben jene Bewegung nach Deutschland, die ihren Ursprung in den USA hat: Spendenfinanzierter Journalismus, der freien unabhängig arbeitenden Journalisten die Möglichkeit bietet, eben jene Themen aufzugreifen, die die Redaktionen nicht mehr im Visier haben, weil in der Ausführung zu teuer und zu zeitaufwendig. Ebenfalls in der gleichen Dr.DishTV-Sendung bricht der Leiter der Arbeitstelle für Medien und Politik an der Uni Hamburg, Professor Hans Kleinsteuber eine Lanze für den spendenfinanzierten Journalismus. Er selber sei bereit, für Recherchejournalismus zu bezahlen.
Folgende Beispielrechnung: Würde jeder der rund 1, 5 Millionen Mittelhessen nur einen Euro jährlich zahlen, kämen 1,5 Millionen Euro zusammen. Dieses Geld würde ausreichen, um in jedem Landkreis einen Regionalkorrespondenten zu etablieren, der jährlich 60 000 Euro verdienen könnte. Insgesamt kämen so jährlich 300000 Euro zusammen, bliebe der Rest für den journalistischen Betrieb übrig: Pro Regionalkorrespondent ein Etat von 150000 Euro jährlich. Dieses Geld würde sicherlich ausreichen, um Recherchejournalismus in vollkommener Unabhängigkeit jeglicher PR- und sonstiger werbender Einflüsse gestalten und leisten zu können. Da es sich nur um den statistischen Fall handelt, dürfte klar werden, warum letztlich nur ein Mäzen oder ein sich vollkommen im Hintergrund haltendes Sponsoring für einen unabhängig freien Recherchejournalismus in Frage kommen kann.
Dass sich dieser Weg letztlich lohnen könnte, unterstreicht die Dokumentation des jüngsten Mainzer Mediendisputs
mh meint
Hallo,
hier nochmal der Hinweis auf http://flattr.com/
Ein wunderbares Instrument, mit dem man auch Feedback darüber bekommt, welcher Text den Leuten was „wert“ ist (und nicht nur, welcher angeklickt wird).
Unter anderem wird Flattr auch vom Indirekten Freistoß, dem Blog für den kritischen Fußballfreund genutzt, wo man gut beobachten kann, wie der Button eingebaut aussieht (und benutzt wird): http://www.indirekter-freistoss.de/2010/06/18/neidische-blicke-deutsche-sachlichkeit-und-der-darwinismus-eines-turniers/
Wie wär’s? Gruß, Manuel
Christoph von Gallera meint
Danke für die Hinweise:-)
Die Idee des spendenfinanzierten Journalismus zieht übrigens weiter Kreise: Während des Frankfurter Tag des Onlinejournalismus (http://ftoj.de) war dies unter der Rubrik investigativer Journalismus auch Thema. Dr. Mercedes Bunz vom Guardian hält die Zeit in Deutschland inzwischen dafür auch reif. SpotUS und gerade Propublica in den USA werden noch dazu auch vom Staat mit Millionen gefördert, weil man in den USA wohl einen echten unabhängigen freien Journalismus, der nachhakt und aufdeckt für ein wichtiges demokratisches Element hält. Wie es aussieht, ist in Deutschland wohl die Zeit dafür inzwischen reif. Was ja nicht schlecht ist. Spielt auch auf dem DJV-Landesverbandstag Hessen am 19. Juni eine Rolle. Das Mittelhessenblog wird über den FTOJ und den Verbandstag ebenfalls berichten.