Überzeugter Lokalpatriotismus oder tatsächliche Vorreiterrolle für Hessen, möglicherweise über Hessen hinaus? Geht es um die Familien- und Seniorenarbeit in der mittelhessischen Gemeinde Lohra im Südkreis Marburg-Biedenkopf, sind sich die Vertreter des Familien- und Seniorenrats (FSR) einig, dass sie Vorreiter sind. Denn ihre Organisationsform sei einzigartig, seit 2007. Bestätigt wird dies vom benachbarten Seniorenbeirat in Dautphe. Ebenfalls auch vom Seniorenbeirat der Vogelsbergkreisstadt Lauterbach. Allerdings wird in Lauterbach darauf hingewiesen, dass durch ein Engagement der Senioren wie in Grundschulen oder mit Hilfen für Alleinerziehende damit der Einsatz des Seniorenbeirats nicht nur Senioren erreicht. Das regelte vor bald einem Jahr eine Satzungsänderung etwa in der Seniorenhilfe im Ortsteil Maar.
Dass es auf den guten Willen der beteiligten Bürgermeister ankommt, geht übrigens nicht nur aus den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften hervor, sondern auch den Anmerkungen der befragten Ratsvertreter. In Lohra freut man sich gegenwärtig über das erste eigene Dach über dem Kopf. „Schuld“ daran ist aber ein öffentlich-rechtlicher Sender, während sich die Gemeinde über einen plakativ wegfallenden Gebäudeleerstand freut.
„Jetzt haben wir endlich ein eigenes Büro. Ohne die Teilnahme am Wettbewerb hätte es aber vermutlich noch länger gedauert“, bekennt Werner Waßmuth. Mit dem neuen Büro, dessen Raum eine lange Geschichte habe ‚werde gleichzeitig ein Gebäudeleerstand an prominenter Stelle in der Marburger Südkreisgemeinde Lohra geschlosssen. Der Hessische Rundfunk hatte mit dem Wettbewerb, in dem hessische Vereine jedes Jahr die Chance haben, sich im regionalen Hörfunkprogramm des Senders vorzustellen, bereits vor neun Jahren begonnen.
Gut ein halbes Jahr stand das ehemalige Ladengeschäft an der Ecke Gladenbacher Straße und Bahnhofstraße leer. Mit dem Eigentümer habe man sich so einigen können, dass man im Falle eines Falles kurzfristig wieder das Gebäude räumen könne, erklärte Kurt Schlienbecker. Schlienbecker ist FSR-Vorsitzender, Waßmuth sein Stellvertreter, der sich auch um die Pressearbeit kümmert.
Der FSR ist von seiner Rechtsform her ein Verein. Gemeinnützig. Nicht gewinnorientiert. Die Arbeit wird ehrenamtlich geleistet. Seit mittlerweile 12 Jahren. In den ersten sieben Jahren aber noch als Seniorenrat. Solange habe der Rat höchstens um die 50 Mitglieder gehabt, berichtet Waßmuth aus dieser Zeit. Seit dem Entschluss, sich insgesamt um die Wünsche und Bedürfnisse von Familien zu kümmern und 2007 den FSR einzurichten, sei die Mitgliederzahl schlagartig gewachsen, aktuell rund 420 Mitglieder. Zu den Angeboten, die der Verein anbietet, gehören neben der Hilfe bei Behördengängen unter anderem auch kostenlose Einführungen in den Umgang mit dem Computer. „Wir haben zum Glück eine bunte Mischung unter unseren Mitgliedern. Vom Professor bis zum Handwerker“, sagt Schlienbecker. Trotz des vielfältigen Einsatzes für ihre Gemeinde hatte allerdings bisher eines gefehlt: Eine eigene feste Adresse.
Dank des Wettbewerbs des Hessischen Rundfunks sei der FSR Lohra nun zu seinem Dach überm Kopf gekommen. Der öffentlich-rechtliche Sender hatte mit seinem Regionalprogramm alle Vereine in Hessen dazu aufgerufen, sich im rechten Licht zu präsentieren. Die Absicht des Senders dürfte klar sein, es geht darum, sich Hörer zu sichern, die Verbundenheit mit den verschiedenen hessischen Regionen zu zeigen. Für die Lohraer jedenfalls bedeutete das, in einer 48-Stunden-Aktion ihr neues Domizil einzurichten. Mit dem Eigentümer sei man sich einig geworden, dass der abgeschlossene Mietvertrag vom Verein flexibel gekündigt werden könne. „Aber daran wollen wir jetzt, wor wir gerade erst eröffnen, nicht denken. Solange unser Verein wächst und unterstützt wird, wird das sicher nicht geschehen“, ist man beim FSR überzeugt. Genauso wie von der Tatsache, mit der Umsetzung dieses Projektvorschlags eine Chance im Wettbewerb zu haben. Denn die endgültige Auswahl wurde unter den drei Vorschlägen getroffen, die vom HR vorher gesichtet worden waren.
Aus Sicht des rührigen Vereins wird in der Gemeinde ohnehin Pionierarbeit geleistet – Denn geht es um die Verständigung zwischen alten und jungen Menschen, werde schnell unterschieden. In „Alte hier, die Jungen da. Zugespitzt könnte das Verhältnis zwischen den Generationen so auf einen Punkt gebracht werden. Zumindest, was Organisationsformen angeht. Denn, wenn es um die Vertretung der Interessen von älteren Mitmenschen geht, gibt es die Seniorenbeiräte. Diese sollen, so sieht es die gesetzliche Grundlage vor, sich unabhängig und neutral verhalten. Eine bundeseinheitliche Regelung gibt es allerdings nicht. Das geht unter anderem auch aus einer Anfrage der Partei „Die Linke“ hervor, auf die die Bundesregierung am 13. April 2011 geantwortet hatte. Die Linke wollte wissen, wie es in Deutschland um die Durchsetzung der Rechte älterer Menschen bestellt sei. Die Quintessenz der Regierungsantwort: Die Situation ist von Land zu Land sehr verschieden, ebenfalls auch die Möglichkeiten der Einflussnahme. Das setzt sich durch bis auf die kommunale Ebene. Dennoch lehnt die Regierung in ihrer Antwort eine zentrale bundesweite Regelung ab, ebenso die Einrichtung eines Seniorenbeauftragten auf Bundesebene. Im übrigen deckt sich die Antwort mit den Erfahrungen befragter mittelhessischen Seniorenratsmitglieder: Ohne guten Draht zum Bürgermeister kommt es auf diplomatisches Geschick an. Über eine Die vollständige Antwort kann hier abgerufen werden: Bundestagsdrucksache 17/5534
Wie sieht es um die Pionierarbeit, die man für sich in Lohra in Anspruch nimmt, wenn es um die Zusammenlegung der gemeinsamen Interessensvertretung von älteren Menschen und Familien geht? Auch wenn aus dem benachbarten Dautphe auf die gemeinsame Zusammenarbeit in der Arbeitsgemeinschaft der Seniorenvertretungen im Hinterland (ASH) hingewiesen wird, auch wenn der Vorsitzende des Seniorenbeirats aus Dautphe Siegfried Ortmüller persönlich zur Einrichtung des neuen Büros gratuliert hatte, so wies Ortmüller doch auch darauf hin, dass es auch ohne eine spezielle Organisationsform wie in Lohra gemeinsame Projekte gebe wie die PC-Übungsstunden, die gemeinsam mit Schülern für ältere Menschen kostenlos angeboten wird. In Lauterbach weist Beiratsvorsitzender Dr. Bend Liller auf die Zusammenarbeit mit der Eichberg-Grundschule oder eben den neuen Weg hin, der in Maar beschritten werde. Der Weg dahin habe aber einiges an Arbeit gekostet.
In einem Fall dürfte die Pionierarbeit des FSR aus Lohra aber unbestritten sein: Die Notfallmappe, die heute vom Land Hessen als kostenlose Gabe verteilt wird, geht auf einen Entwurf aus Lohra zurück. Davon proftieren mittlerweile alle Seniorenvertretungen in Hessen. In der Notfallmappe stehen die unter anderem die wichtigsten Informationen für die erste schnelle medizinische Versorgung.
Weiterführende Links:
Familien und Seniorenrat Lohra, Blog Seniorenbeirat Lauterbach, Seniorenbeirat Dautphe, Seniorenbeirat Website Stadt Lauterbach, Satzung Seniorenhilfe Maar, Sozialnetz Hessen, Landesseniorenvertretung Hessen, Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen BAGSO, Bundesfamilienministerium
Schreibe einen Kommentar