Noch wenige Tage und in Gießen öffnet die Landesgartenschau 2014 die Türen. Unumstritten war dieses Projekt von Anfang an nicht und hat es deswegen als Negativbeispiel in die Wikipedia geschafft. Bürgerproteste regten sich wegen massiver Umgestaltungsmaßnahmen und der Befürchtung, die Austragung der Landesgartenschau gehe zu Lasten der Ausstattung etwa der Gießener Schulen. Ihrer Definition nach sind Landesgartenschauen und Bundesgartenschauen aber in erster Linie verkaufsfördernde Maßnahmen – wie jede Messe.….Das Mittelhessenblog hat die Stadt Gießen gefragt.
Sie finden jedes Jahr statt. Die einschlägigen Fachmessen mit Publikumscharakter. Ob nun die Buchmessen in Frankfurt, in Leipzig oder Cebit, Photokina oder die Agritechnica. Und auf lokaler und regionaler Ebene sind es gleichermaßen Messen, die stattfinden. Der Zweck: Eine Region will sich und ihre Leistungsfähigkeit vorstellen und/oder eine Branche. Bis vor wenigen Jahren waren dies etwa die Energietage Hessen, die regelmäßig in Wetzlar veranstaltet wurden. Dass es für Messen auch Schirmherren aus der Politik gibt, die sich qua Amt oder Sympathie für die Idee, mit ihrem Namen oder ihrer Funktion für eine solche Messe stark machen (müssen?) ist ebenfalls unbestritten. Dass solche Messen allerdings mit erheblichen Mitteln aus öffentlichen Kassen gefördert werden oder eine Kommune dies zum Anlass nimmt, selber erhebliche Mittel in die Hand zu nehmen und über einen Umweg dann auch die Öffentlichkeit qua ehrenamtlicher Betätigung ins Gesamtkonzept eingebunden wird, ist allerdings weder von den Buchmessen oder anderen branchenspezifischen Messen bekannt.
Mit Bundesgartenschauen und Landesgartenschauen scheint dies etwas anders zu sein. Als Gesellschafter der Bundesgartenschau werden klar die einschlägigen Fachverbände genannt. Die Aufgabe und Ziele der Bundesgartenbaugesellschaft sind ebenfalls klar definiert: Sie soll Regionen und Kommunen bei der Ausrichtung einer (Bundes-)Gartenschau helfen. Regelmäßig geht es dabei auch um die Präsentation der Leistungsfähigkeit der grünen Branche. Die Landesgartenschau wiederum gilt, so schreiben die Wikipedia-Atoren, als Pendant der Bundesgartenschau auf Landesebene, werde in der Regel in eher unattraktiven Städten veranstaltet und aus diesem Grund gerade aus Gründen des Stadt-Marketings veranstaltet – mit dem Bewusstsein, ein kalkuliertes Risiko einzugehen.
Die in wenigen Tagen in Gießen beginnende Landesgartenschau 2014 für das Bundesland Hessen war der Anlass, unter diesem Gesichtspunkt näher nachzufragen. Um einem Missverständnis gleich vornerein zu begegnen: Der ehrenamtliche Einsatz vieler Gießener und Gießener Kreisbürger für die Landesgartenschau, die etwa Besuchergruppen durch die Schau führen oder in den letzten Wochen Kunstleitpfosten aufgestellt haben, soll damit nicht diskreditiert werden. Möglicherweise denken sie aber über ihren Einsatz anders, wenn am Ende die Frage im Raum stehen bleibt, ob die Landesgartenschauen am Ende nur eines sind: Tatsächlich eine äußerst umfangreiche verkaufsfördernde Maßnahme für die GaLa-Branche. GaLa steht für Garten- und Landschaftsbau. Die Thematik der Kunstleitpfosten stellt das Mittelhessenblog in einem eigenen Artikel vor, wozu ebenfalls Stellungnahmen der Stadt, des Landkreises und von HessenMobil vorliegen.
In diesem Zusammenhang ist eine Studie der Uni Gießen aus dem Jahr 2009 zur Landesgartenschau 2014 nicht ganz uninteressant. Dabei handelt es sich nicht um eine in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie, sondern eine unabhängige Studie. Sie warnt vor der Gefahr, dass aufgrund der öffentlichen und privatwirtschaftlichen Gemengelage die demokratische Kontrolle auf der Strecke bleiben könnte. Die Autoren der Studie halten dies aber im Gesamtergebnis für vernachlässigbar. In der Studie wird zwar betont, dass diese zwar zunächst nur provisorisch sei, dennoch wird wörtlich geschrieben:
Für die Planung von Großereignissen werden Sonderorganisationen geschaffen.
Dazu werden die engagiertesten und kreativsten Mitarbeiter der Stadtverwaltung
zusammengefasst. Sonderorganisationen dienen dazu, privatwirtschaftliche
Management-Methoden und Erfolgsorientierung in der politischen Führungsebene
zu verankern. Sie stehen in der Regel jenseits demokratischer Kontrollen. Die vollständige Studie liegt dem Mittelhessenblog vor. Sie wurde dem Mittelhessenblog zugespielt, nachdem das Mittelhessenblog seinerseits der Stadt Gießen einen entsprechenden Fragenkatalog vorgelegt und am 15. April um 22 Uhr die Antworten der Stadt Gießen erhalten hatte. Der zitierte Text findet sich auf Seite 9, die wir hier zur Verfügung stellen. Studienprojektbericht LAGA JLU Giessen 2009 Seite 9 .
Fragenkatalog Mittelhessenblog und Antworten der Stadt Gießen
(Wortlautveröffentlichung).
Lesehinweis:
Fragen und Vorbemerkung des Mittelhessenblog sind kursiv gesetzt. Die Reaktion der Stadt Gießen ist normal gesetzt.
Besondere Passagen sind fett hervorgehoben oder in Listenform. Vorbemerkung und die dazugehörende Reaktion der Stadt Gießen sind als „Teil1“ gekennzeichnet.
Teil 1
Das rechtliche Konstrukt der LAGA Gießen ist eine GmbH. Formaljuristisch ist sie mithin privatwirtschaftlich organisiert. Zu 80 Prozent ist die Stadt Gießen beteiligt, zu 20 Prozent die Fördergesellschaft der LAGA Hessen Thüringen. Die Gesellschafter dieser Gesellschaft sind wiederum die einschlägigen Berufs- und Fachverbände der GaLa-Branche. Sprich es ist ein branchenbezogenes Förderkonstrukt. Letztlich ist nach diesen vorliegenden Organisationsstrukturen die Veranstaltung einer LaGa oder eine BuGa also eher weniger ein infrastrukturförderndes Instrument als eher ein Instrument, mit Hilfe öffentlicher Gelder wirtschaftsfördernde Maßnahmen für eine Branche in Gang zu setzen. Deswegen dürfte der Aspekt, welcher finanzielle Rückfluss in Form von Gewerbesteuereinnahmen stattfindet oder erwartet werden kann etc für die veranstaltende Kommune sicherlich nicht uninteressant sein. Dazu einige Fragen.
Die Antwort der Stadt Gießen, vertreten durch Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich:
Eine Vorbemerkung dazu:
Wir teilen diese Einschätzung nicht:
Die Veranstaltung einer Landesgartenschau ist sehr wohl ein infrastrukturförderndes Instrument – auch im Bereich der von der GmbH zu verantwortenden Bereiche (die kostenpflichtige Schau im engeren Sinne). Denn auch hier wird dauerhaft und nachhaltig Infrastruktur geschaffen bzw verbessert, die der Stadt und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern danach auch zur Verfügung steht.
- Denken Sie an die neuen Zugänge zum Wasser – am neuen Teich und auch am Platz an der THM (red. Anmerkung: Technische Hochschule Mittelhessen) . Denken Sie an die neuen Skateranlagen für Kinder und Jugendliche.
- Denken Sie an die Spielplätze und die Wissenschaftsgärten, die bleiben werden.
Alles zusammen wird die Wieseckaue (neben den neu gewonnenen öffentlichen Plätzen und Orten an der Lahn) zu einer dauerhaften Bereicherung für die Lebensqualität in Gießen machen.
Die Wieseckaue wird wieder zu einem echten Bürgerpark, so wie ihn die Planer der 60er Jahre auch gedacht und angelegt hatten und der für Naherholung und Freizeitgestaltung in Natur und am Wasser („Auf zu neuen Ufern“) stehen wird.
Es wäre eine Verengung der Sichtweise, wenn man die LGS nur als mehrmonatiges Blütenmeer sehen würde. Das ist sie nicht und damit auch keine wirtschaftsfördernde Maßnahme für eine Branche – wenngleich die LGS aber einen guten und attraktiven Rahmen für wirtschaftsfördernde Impulse für die beschriebene Branche bietet. Dagegen kann aber niemand etwas haben, weil für diesen positiven Nebeneffekt alleine kein staatliches Geld in die Hand genommen wird. Im Gegenteil: Die Präsentationen im Rahmen der Leistungsschau zahlen eben jene Verbände selbst. Kritische Prüfungen haben auch bislang keinen Anlass dazu gegeben, daran zu zweifeln, dass es einfach eine win-win-Situation ist, die hier entsteht. Wir auf jeden Fall veranstalten die LGS nicht, um wirtschaftsfördernd für einen Fachverband zu wirken.
Unter dieser Vorbemerkung beantworten wir die folgenden Fragen.
Teil 1 Ende
Teil 2
Wie wird der Geldfluss der aus öffentlichen Quellen stammenden Gelder kontrolliert?
- Aufsichtsrat der LGS
- Wirtschaftsprüfer der LGS
- Fördermittelnachweis – jährlich als Zwischenverwendungsnachweis und am Ende ein abschließender Verwendungsnachweis
Laut Infoseite LAGA 2014 investiert die Stadt Gießen rund 19,1 Millionen Euro. Es wird aufgeführt, dass sich das Land Hessen mit 3,3 Millionen Euro an der Wieseckaue beteiligt. Wie hoch ist der Landesanteil außerhalb der Wieseckaue?
Dieser setzt sich aus unterschiedlichen Fördermitteltöpfen (Schwerpunkt Städtebauförderung und GVFG (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) aber auch einiger anderer, wie z. B. Renaturierung smittel ) zusammen. Diese Maßnahmen sind größtenteils noch nicht abgeschlossen, weshalb hier eine konkrete Summe noch nicht genannt werden kann. Fest steht aber, dass wir die Förderkulisse des Landes für all die angestossenen Maßnahmen nur nutzen konnten, weil wir die LGS veranstalten. Oder andersherum: Ohne LGS wären wir z.B. nicht in den Genuss gekommen, unseren Bahnhofsvorplatz oder auch die Ringallee mit Zuschüssen zu sanieren. Das Gleiche gilt für die Brücke über die Lahn (Christoph-Rübsamen-Steg).
Welche Firmen profitieren von diesen Geldern?
Das ist unterschiedlich: Die Investitionsmaßnahmen müssen öffentlich ausgeschrieben werden, Zuschlag erhält der Mindestbieter. In anderen Bereichen mit beschränkter Vergabe kommen zu einem hohen Prozentsatz Firmen aus der Region zum Zuge, bei Kleinaufträgen sogar solche aus Gießen oder der unmittelbaren Umgebung.
Führten die bisherigen Ausgaben zu einem Anstieg sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter oder in der Region tätiger Selbständiger und Freiberufler?
Das können wir nicht beantworten, da wir keine vergleichenden Zahlen besitzen. Uns ist auch nicht bekannt, ob vorher bzw. nachher Erhebungen gemacht werden.
Inwiefern wurde und wird kontrolliert, ob im Zusammenhang mit den Arbeiten für die LAGA Schwarzarbeit stattfindet?
Schwarzarbeit ist verboten. Für die Kontrolle vor Ort ist der Zoll zuständig, der, wenn ich recht informiert bin, auch schon unangekündigt vor Ort war.
In den Verträgen mit unseren Auftragnehmern haben wir aber auch sogar Mindestlohnzahlungen bzw. – wo vorhanden – Tariftreue vereinbart – auch wichtig zu wissen!
Gibt es einen, wie aus der Privatwirtschaft sonst bekannten, Ausblick auf erwarteten finanziellen Rückfluss für die bisher getätigten Investitionen?
Im Unterschied zu der Privatwirtschaft lebt die Standortpolitik von Kommunen nicht nur von harten, nachweisbaren und kurzfristig auf Gewinnmaximierung ausgelegten Investitionen. Das kann und soll sie auch gar nicht, weil Kommunen sich am Gemeinwohl orientieren müssen. Das ist ihr Auftrag! Gemeinwohlorientierung besteht zum einen in der Sicherung/Verbesserung der Infrastruktur der Kommunen, um Einwohnern und wie auch potentiellen Neubürgern eine hohe Lebensqualität und gute Angebote zu bieten. Das kommt indirekt auch der Wirtschaftsstruktur (und damit den Finanzen der Kommunen wie auch dem Arbeitsplatzangebot für die Einwohner)zugute. Denn mehr denn je setzen Unternehmen auf die sogenannten „weichen Standortfaktoren“.
Grünflächen zählen zu den sog. „weichen Standortfaktoren“, die in der Regel keinen finanziellen Rückfluss generieren. Gleichwohl sind sie aber sehr entscheidend, beispielsweise für das Ansiedeln von Fachkräften, von Neubürgern, für das Image und den Wohnwert einer Stadt u. v. m. Gemeinhin für viele Dinge, die mit Geld nicht zu bezahlen sind und schwer zu messen sind.
Grundsätzlich ist es daneben auch so, dass wir als Kommune verpflichtet sind, die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu ermöglichen, denn letztlich leben wir davon. Öffentliche Grünflächen gehören zur Daseinsvorsorge und sind in den seltensten Fällen rentierlich.
Mit der Wieseckaue wurde eine bestehende Grünanlage für die nächsten Jahrzehnte grundhaft saniert. In der Lahnaue wurde zum Beispiel die große private Investition Lahnresidenz/Zu den Mühlen angestoßen, ebenso wie die Entwicklung des Güterbahnhofes.
Förderverein lässt Frage nach Unterhalt geschaffener Anlagen und Einrichtung laut Satzung offen.
Soweit die Stellungnahme von Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich. Die Tatsache, dass die Stadt Gießen selber 2011 zwischenzeitlich die Rückgabe der Landesgartenschau hatte prüfen lassen, der starke Protest von Bürgern gegen die Landesgartenschau einerseits wegen massiver Eingriffe in das Landschaftsbild rund um das Erholungsgebiet am Schwanenteich, andererseits wegen Misstände in der „Hardware“ des Bildungsbereichs (Zuständigkeit der Stadt bei Instandhaltung von Schulen) und die Tatsache, dass im Grunde ein massives Aufgebot an Öffentlichkeitsarbeit notwendig war, um wenigsten bei noch nicht einmal annähernd eine positive Grundstimmung der Gießener Bevölkerung für die Landesgartenschau zu erreichen, lassen zumindest den Gedanken zu, dass hier ein Pyrrhus-Sieg gewonnen wurde.
Bei der Frage, wie nach dem Ende Landesgartenschau alles erhalten werden solle, was eigens für die Landesgartenschau geschaffen wurde, drückt sich der Förderverein um eine klare Formulierung. In §2 Absatz 3 der Vereinssatzung heißt es wörtlich zum Vereinsziel:
„.…die nachhaltige gemeinnützige Nutzung von Anlagen und Einrichtungen, die für die Landesgartenschau 2014 geschaffen worden sind, für die Öffentlichkeit zu fördern.…“.
Für diese Zwecke sollen Spendengelder eingeworben werden und die Mitgliedsbeiträge verwendet werden. Wie allerdings dies alles auch erhalten werden soll, dazu schweigt sich die Satzung des Fördervereins aus. Eine Nutzung ist bekanntlich etwas anderes als der Erhalt oder die Unterhaltung einer Anlage.…
Kommentiert: Zum Erfolg verdammt
Wie es aussieht, sind die Veranstalter und politisch verantwortlichen Befürworter der Landesgartenschau zum Erfolg verdammt. Wird aus der Schau ein Flop oder ein nachträglich unkalkulierbares Risiko, dürften die Jahre 2015 und 2016 ebenfalls spannend werden: 2015 stehen die Wahlen zum Amt des/der Oberbürgermeisters/-in an, 2016 stehen Kommunalwahlen an. Nur dafür haben sich zumindest die amtierenden Regierungsverantwortlichen bereits jetzt eine unnötige schwere Hypothek selber um den Hals gelegt: Die der Glaubwürdigkeit. Diese wird stehen und fallen mit dem Erfolg der Auswirkungen dieser Landesgartenschau. Klar zu sagen, dass hier mit öffentlichen Geldern natürlich in erster Linie versucht wird, den beteiligten Firmen eine Präsentationsfläche zu geben, wo die beteiligten Verbände dies selber an anderer Stelle klar formulieren, wäre vielleicht ein erster Schritt in diese Richtung gewesen. Dann wären die Zustimmungswerte zur Landesgartenschau vermutlich besser. Vielleicht wäre eine Direktabstimmung der Gießener Bevölkerung darüber, ob sie diese Schau wollen oder nicht, der bessere Weg gewesen. Dann hätte man im Vorfeld bereits ein klares Bild gehabt. Vielleicht eine Anregung für die Zukunft, Veranstaltungen von solcher Tragweite tatsächlich von allen Bürgern abstimmen zu lassen. Denn auch wenn es am Ende eine privatwirtschaftliche Leistungsschau bleibt, so sind die direkten Auswirkungen im öffentlichen Raum massiver zu spüren als nach einer sonstigen Messeveranstaltung. Allein deswegen wäre eine direkte Abstimmung besser gewesen. Für dieses Mal ist das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
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