Kurzgucker – KOMMENTAR
Über 9000 Flüchtlinge drängeln sich zur Zeit im hessischen Erstaufnahmelager in Gießen. Das Unwohlsein gegen Flüchtlinge gärt schon über ein Jahr. Das Mittelhessenblog versuchte mit der Vertretern der Identitären in Kontakt zu kommen, mit Befürwortern der hessischen und mittelhessischen Pegida-Bewegung ebenso. Die Reaktionen? Gleich Null. Kontakt deswegen, um zu wissen, was Motive sind, Beweggründe.
Das war im November 2014. Im Dezember 2014 dann der Überblick über Zusammenhänge zwischen den Identitären und der Pegida-Bewegung. Mit im Spiel der Begriff der besorgten Bürger.
Heute nun sind wir um einige Tausend tote Flüchtlinge im Mittelmeer weiter, um Brandanschläge auf geplante Asylbewerberheime (zum Glück noch nicht in Mittelhessen.) Dennoch aber der Druck, Berichte über unhaltbare Zustände im Erstaufnahmelager in Gießen. Das bereits in der Anfangszeit und nicht erst jetzt. Dem Mittelhessenblog lagen bereits frühzeitig Informationen darüber vor. Die Quellen, die uns informierten, waren indes nicht bereit, mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit zu treten. Aus Angst vor Repressalien durch Arbeitgeber. Denn bereits zu diesem Zeitpunkt (November 2014) war klar, mit den Flüchtlingen lässt sich gleich in doppelter Weise Geld verdienen: Über Landesmittel, über Förderung entsprechender Bauprojekte. Das ist zynisch.
Umso erfreulicher ist es, wenn wie in Waldgirmes sich private Initiativen finden, die versuchen, quasi aus dem Nichts, Hilfsprojekte für Flüchtlinge aus dem Boden zu stampfen.
Diejenigen, die mehr oder minder gegen Flüchtlinge zu Felde ziehen, nehmen für sich konservative Grundwerte in Anspruch.
Aber hey, Moment mal. Von welchen konservativen Grundwerten reden wir hier eigentlich: „Deutschland den Deutschen“ oder „Kauft nicht beim Türken“ oder „Wir haben hier keinen Platz für Euch“. Das soll konservativ sein?
Das ist es nicht. Auch nicht erzkonservativ oder was noch schlimmer ist: Reaktionär. Das ist es alles nicht.
Es ist einfach nur das Ergebnis einer maßlosen historischen und kulturellen Unkenntnis dieses Landes, in dem Ihr lebt.
Wer schuld daran ist? Vielleicht das Schulsystem, das Geschichte leider immer nur sehr eindimensional in den Schulen behandelt und diesem Fach nicht den höheren Stellenwert einräumt, den es gerade in diesem Land der „Dichter und Denker“ eigentlich verdient hätte. Vielleicht aber auch Ihr selber, weil Ihr keine Lust habt, Euch durch „öder dicke Schinken“ zu arbeiten.…? Ok. das ist jetzt gemein. Gemein ist aber auch das, was aus Unkenntnis heraus so manchem passiert, der gerade Schutz in diesem Land sucht. Dass er Angst hat, denkt, vom Regen in die Traufe geraten zu sein. Aber egal eben, was kümmerts mich? Ne wahr?
Hättet Ihr Euch bemüht, gelesen, dann wüsstet Ihr, dass dieses Gebiet, das wir heute als Deutschland kennen, schon immer ein Durchzugsland war. In dem Völker aus allen Himmelsrichtungen Europas durchzogen, hängen blieben. Freiwillig oder gezwungen. Aber sie blieben hängen. Fanden hier ihren neuen Lebensmittelpunkt und prägten dieses Land. Wer weiß, vielleicht finden sich in Eurem Stammbaum ja auch solche „dahergelaufenen Heiopeis“.…?
Ja, das waren ja ganz andere Zeiten, mögt Ihr sagen. Nicht wirklich. Denn wie war es denn: Die fremden Menschen kamen als Flüchtlinge, als Eroberer, als Einwanderer, je nach Epoche. Und mitunter wurden sie auch regelrecht angeworben. So wie das in den beiden Deutschland des 20. Jahrhunderts auch wieder geschah: Die Bundesrepublik holte sich die Türken, die Griechen kamen, Portugiesen, Italiener, durch die US-Army blieben GI hier hängen. Die DDR holte sich die Menschen aus den „sozialistischen Brudervölkern“, unter anderem Vietnam oder Angola. Dass in beiden deutschen Staaten diese ins Land geholten neuen Fremden lange Zeit tatsächlich fremd blieb, hatte verschiedene Gründe. Zum Teil selbst gewählt im Westen, zum Teil staatlich quasi in eigene Wohndörfer weggesperrt, nur dass ja kein Kontakt zur einheimischen Bevölkerung entstand.
Aber das alles hat nichts mit konservativer Politik zu tun. Weder Euer Widerstand heute noch das „Ins Land holen“ damals.
Was ist denn wirklich konservativ? Es kommt, obacht, wieder von so einem fremdländischen Einfluss: Aus dem Lateinischen. Der Sprache der Römer. Die sich frecherweise dazu verstiegen hatten, den Germanen und Kelten doch tatsächlich so etwas wie Kultur, Lebensart und Zivilisation zu bringen. „Conservare“ heißt dieses Wort. Klingt ein bisschen nach Konserve? Ist ja auch so ähnlich. Es heißt: „bewahren, weitergeben“. Und im übertragenen Sinn heißt es Werte bewahren und in zeitgemäßer Form an die nächste Generation weitergeben. Und zwei sehr uralte Traditionen, die so von Generation zu Generation weitergegen werden, sind die der Gastfreundschaft und die, einem Schwächeren Schutz und Hilfe zu gewähren. Man kennt dies auch als Gesetz der Wüste. Nicht von ungefähr sind diese Werte in der Heimat der drei Buchreligionen entstanden. Dort, wo das Judentum, das Christentum und der Islam zuhause sind. Dass sich die Menschen heute dort die Köpfe einschlagen, hat unterschiedlichste Gründe. Nur: Es sind in der Regel nicht diejenigen, die die Nachrichtenlage beherrschen, mit ihren Anschlägen, Moderkommandos und sonstigen Verbrechen, die durch die Wüste und dann übers Meer nach Europa fliehen, sondern es sind die, die ihr Dach über dem Kopf verloren haben, die ihre Familien verloren haben, die hoffen, in einem Land, in dem es zum Glück noch relativ ruhig und friedlich zugeht, Luft holen zu können, zu Kräften kommen zu können.
Und wenn einige hier blieben, mit ihrem Wissen und ihrem Können die vielen Facetten, die Deutschland in den Jahrhunderten bekommen hat, um einige weitere Facetten bereichen würden, was wäre daran so schlimm? Nicht wirklich etwas, oder? Davon geht, um Euren Jargon zu gebrauchen, Deutschland nicht unter. Sondern es profitiert.
Habt Ihr, die Ihr so protestiert und Euch gegen „Überfremdung“ wehrt, denn Euch mal mit Euren eigenen Sprache beschäftigt, die Ihr sprecht? Ja? Dann wundert mich ehrlich gesagt Euer Widerstand. Denn Ihr rebelliert damit gegen die Wurzeln, auf denen Eure eigene Sprache ruht. Denkt mal ein wenig nach. Ihr wollt konservativ sein? Was wollt Ihr denn bewahren und weitergeben? Eine verbiedermeierte dumpfe Ignoranz jeglicher Wurzeln, die dieses Land hier ausmachen? Und wenn wir in politischen Begriffen sprechen: Leute, Ihr seid noch nicht einmal rechts. Wenn man denn konservativ sein in diesem Sinne als rechts bezeichnen will. Ihr seid einfach nur auf dem Holzweg nach Nirgendwo.
Deswegen: Konservativ sein ist „geil“. Denn eigentlich heißt dies , dass man Menschen ohne Ansehen der Person hilft, wenn es ihnen schlecht geht und sie in Not sind. Dass sie sich umgekehrt auch an Spielregeln in dem Land zu halten haben, das ihnen Schutz gewährt oder das zu ihrer neuen Heimat, ist die andere Seite der gleichen Medaille.
Das wird auch weiter die Position des Mittelhessenblog bleiben. Hasstiraden gegen Fremde werden in der Vergangenheit keinen Platz haben und werden es auch in Zukunft nicht haben. Die kritische journalistische Auseinandersetzung im beschriebenen konservativen Geist dagegen schon.…
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