Ein neuer See bei Gießen, gestiftet von der Landesgartenschau? Und noch dazu in einer ehemaligen Raketenstellung? Zu schön, um wahr zu sein.
In der Tat. Die Zweifler, die diesen Artikel zum 1. April gelesen haben. lagen richtig. Schade eigentlich. Denn die Vorstellung, hoch über den Dächern Gießens mit Blick über das Gießener Becken Richtung Westen Teile Wetzlars zu sehen, den Dünsberg und Gießen selber, wie es sich entlang der Lahn erstreckt, diese Vorstellung hat eigentlich etwas. Vor allem wenn es Abend wird und die Blaue Stunde erreicht wird. Der Moment, wenn die knallharte Farbe der Alltagsrealität der surreal anmutenden Farbwelt weicht, die das Zusammenspiel untergehender Sonne und höhensturmbewegter Wolken erzeugt. Kurz bevor das Nachtdunkel sich über die Szene senkt.
In dieser Stimmung entstand das Bild, das die Geschichte vom See auf der Hohe Warte erzählt. Was es in Wahrheit ist? Eigentlich schon ein See. Allerdings eher einer, für den man sich erst einmal auf die Größe eines Hamsters schrumpfen lassen müsste. In Wirklichkeit war es ein von schmalen Betoneinfassungen umrandetes Minigewässer mit groben Kieselsteinen als Boden. Mit der richtigen Perspektive wurde aus dem kleinen Mini-See ein riesengroß wirkendes Gewässer.
Was wirklich wahr ist an der Geschichte? Der bewaldete Höhenzug hinter dem Europaviertel war in der Zeit des Kalten Krieges tatsächlich militärisches Sperrgebiet Standort einer Raketenabwehrstellung, so wie mitten in der Hörre bei Bellersdorf im Lahn-Dill-Kreis ein „Sondermunitionslager“ der US-Streitkräfte war. Das Wort „Sondermunition“ steht für Raketen, die mit atomaren Sprengköpfen bestückt werden können. Während das ehemalige Nuklearwaffenlager bei Bellersdorf heute ein Bauschuttlager ist und ansonsten die Wege um das Lager zu einem ausgedehnten Wanderwegenetz gehören, ist das Gebiet Hohe Warte heute ein Naturschutzgebiet. Zumindest teilweise.
Przewalski-Pferde machen nicht das, was sie sollen
Zur Zeit sieht das Gelände eher aus wie eine Mischung aus Kahlschlag und Mondlandschaft. Die Hintergründe für den Kahlschlag werden auf der Website der Stadt Gießen unter der Rubrik „Natur und Landschaft/Schutzgebiete“ erklärt. Danach handelt sich um Auslichtungen und andere forstwirtschaftliche Maßnahmen, um die definierten Schutzziele zu erreichen. Um das zu tun, wurde unter anderem zu Auswilderungszwecken 2012 eine Herde von Przewalski-Pferden auf einem 25 Hektar großen Teilstück untergebracht.
Die Tiere, so der Plan, sollen regulär 2015 in Kasachstan in die freie Natur entlassen werden. Neben dem langsamen Vorbereiten auf die Freiheit (die Tiere stammten allesamt aus Zoos in Süddeutschland, drei aus Hellabrunn in München und eines aus der Wilhelma in Stuttgart) sollen die Pferde auch Naturschutzaufgaben übernehmen. Das Abweiden des Landreitgrases. Noch 2012 hatte der hessische Nabu-Sprecher Berthold Langenhorst das Projekt begrüßt, das vom Bundesforstbetrieb Schwarzenborn bei Oberaula betreut wird. Christoph Goebel, Leiter des Bundesforstbetriebes, sprach damals in Frankfurter Rundschau von „bis zu 500000 Euro“ die das Auswilderungsprojekt kosten würde. Nur die Freude über deren Arbeit als Landschaftspfleger, wie Goebel in der Frankfurter Rundschau zitiert wurde, kann heute der Kreisvorsitzende des Nabu Gießen, Dr. Achim Zedler, nicht ganz teilen. Auf Nachfrage des Mittelhessenblog sagt Zedler: „Salopp gesagt machen die Pferde nicht das, was sie sollen. Sie fressen das Gras nicht weiträumig ab, sondern nur punktuell. Dort, wo sie sich jeweils gerne aufhalten. So wie es aussieht, sind das für diese Fläche und diesen Zweck einfach zu wenig Tiere.“ Und mehr Tiere auf das Gelände bringen? „Das würde dann vermutlich wieder zu unerwünschten Trittschäden führen“, sagt Zedler. Zedler ist im Rahmen seiner ehrenamtlichen Arbeit für den Nabu-Kreisverband Gießen der Ansprechpartner für alle Fragen rund um die Hohe Warte.
Im Jahr 2000 hatte der Biologe Dr. Gerwin Kasparek von Ungereimtheiten im Zusammenhang mit den geplanten Naturschutzvorhaben auf dem Gelände der Hohen Warte gesprochen. Kasparek, heute Mitarbeiter der Unibibliothek in Frankfurt, kritisierte, dass die Freiflächen des Gebietes den US-Streitkräften wieder zu militärischen Übungszwecken überlassen werden sollten. Heute, 14 Jahre später, könne zwar nicht mehr von militärischen Übungen die Rede sein, sagte Zedler. Das Gelände war 2007 von den Amerikanern an den Bund zurückgegeben worden. Teile des Gebiets habe sich der Bund allerdings für Ausgleichmaßnahmen zurückbehalten, sagte Zedler. Und insofern sei nicht das ganze Gelände der Hohen Warte ein Naturschutzgebiet.
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