Liebe Mittelhessenblogleser: Mehr als 750000 Besucher beim 50. Hessentag im mittelhessischen Stadtallendorf. Diese Zahl war am Sonnabend schon längst erreicht worden. In der Tat eine beachtliche Zahl, sieht man vor allem, wieviel Menschen in Hessen leben. Rund sechs Millionen sind es, informiert das Statistische Landesamt aus Wiesbaden. Sprich: Knapp jeder fünfte Hesse war in Stadtallendorf. Davon viele mit Kind und Kegel. Dass die Bahn ihre liebe Mühe hatte, diesen Zustrom logistisch zu meistern, darüber berichteten die Medien bereits. Auch die leicht chaotischen Verkehrsverhältnisse, wenn knapp 60000 Besucher der FFH-Party wieder die Hessentagsstadt 2010 verlassen wollten, waren spätestens seit dem Hinweis von FFH-Moderator Daniel Fischer kein Geheimnis mehr. Klar, dass das Mittelhessenblog auch einen Blick auf den Hessentag riskiert hat. Die Wahl hieß: Akkreditiert wie andere Kollegen, die von ganz nah und auch nichtöffentlichen Bereichen berichten konnten – oder das Experiment, als einer von den vielen „normalen“ Hessentagsbesuchern sich durch die Massen zu schieben. Mit der Familie im Schlepptau. Im Sinne des „Um die Ecke geguckt“, dem Motiv des Mittelhessenblogs. Am 4. und am 5. Juni wurde die Probe aufs Exempel gemacht. Was haften blieb: Unter anderem Übung in Geduld beim Schieben durch die Massen, Verblüffung über glitzernde AKW-Ballons und mittelhessische Andenmusik.
Schon im Radio kam die Meldung: 11 Kilometer Stau auf dem Weg zum Hessentag. Am 4. Juni. Anders als andere Hessentagsstädte ist Stadtallendorf außer mit der Bahn nur über drei Wege zu erreichen: Auf der Ost-Westverbindung, der B454 entweder aus Richtung Neustadt oder aus Richtung Marburg. Oder über die K12 von Norden aus Erksdorf und von Süden über die L 3290 aus Niederklein.
Dass ein Hessentag für die auserkorene Kommune sich unter Umständen als Innovationsschub in Sachen Infrastruktur erweisen kann, darauf weisen die jeweiligen Grußworte in den Begleitheften zur Verkehrsregelung hin. So auch in diesem Jahr. In dem 91 Seiten zählenden Heft, das es auch als PDF*-Dokument gibt, weist Hessens Wirtschafts- und Verkehrsminister Posch (FDP) auf die Gelder hin, die in den Ausbau des Bahnhofs und des Straßennetzes gesteckt wurden, erklärt, dass eine Großveranstaltung wie der Hessentag ohne eine Vielzahl von Helfern gar nicht geschultert werden kann. 2,6 Millionen Euro sind in die Erneuerung des Stadtallendorfer Bahnhofs geflossen. Neben eher kosmetischen Eingriffen wie der Dacherneuerung und der Gestaltung der Vorplätze wird der Ausbau als barriererfreier Bahnhof durch den Einbau eines Aufzugs hervorgehoben. Genauso sind 1,3 Millionen Euro in den Ausbau des Straßennetzes geflossen. Für die Hessentagsbesucher wurde oberhalb der Stadt, dort wo die Hessentagsarena war, ein Parkplatz für 17000 Besucher geschaffen. Zumindest am Freitagabend, am Tag des Jubiläumsfeuerwerks schienen die Kapazitäten restlos erschöpft gewesen zu sein. Auch die Abfahrt nach dem Ende des Feuerwerks schien etwas im Chaos zu versinken. Wer nicht aufpasste, geriet leicht auf die falsche Spur und musste entweder einen Umweg um den Westen Stadtallendorfs oder den Osten über Neustadt in Kauf nehmen, um schließlich den richtigen Weg heimwärts zu finden.
Wie haben Sie,liebe Mittelhessenblogleser, die An- und Abfahrt empfunden? Wie war es mit dem Pendelbusverkehr? War alles in Ordnung? Haben sich die Investionen gelohnt? Nutzen Sie die Kommentarfunktion am Ende des Artikels nd erzählen Sie den anderen Mittelhessenbloglesern, was Sie erlebt haben. Auch Videos sind willkommen. Möglicherweise helfen Ihre Kommentare ja den Planern für den Hessentag 2012. Der ist nämlich in einer anderen mittelhessischen Stadt: In Wetzlar.
Vielleicht geht man bis dahin auch etwas sensibler mit dem Thema Atomkraft um? Während die überregionalen Medien über Zusammenstöße zwischen Atomkraftgegnern und der Polizei in Gorleben berichten, warben Luftballons in Stadtallendorf unverhohlen für die Vorzüge der Atomkraft. Das sorgte bei vielen Eltern besonders junger Kinder für Irritationen. „So bringt man sozusagen schon die junge Kundschaft auf Kurs“, lauteten diverse kritische Kommentare. Für Überraschungen habe allerdings auch der scheidende Ministerpräsident Roland Koch gesorgt, berichtete sein Namensvetter Erwin Koch, der Vorsitzende des Kreisbauernverbands Marburg-Kirchhain-Biedenkopf.
So habe Roland Koch auf die Frage, was er gerne in Hessen noch vorangebracht hätte, geantwortet: „Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist für Hessen ein zentrales Thema.“ Diese Antwort verblüfft, ist doch die immer wiederkehrende Argumentation des bürgerlich-liberalen Lagers bekannt: Ausbau der erneuerbaren Energie schon, aber nicht unter Verzicht auf Atomenergie als sogenannte Brückenkopftechnologie.
Angesichts der Gewinne, die Biblis-Betreiber RWE gerade durch die erhofften längeren Laufzeiten für 2010 erwartet, erscheint die Aussage Kochs ebenfalls in einem ungewohnten Licht. In der Energiebranche gilt Biblis als eines der stärksten Pferde, das RWE im Stall hat. Auf der Hauptversammlung 2010 sprach Vorstandschef Jürgen Großmann von fünf Prozent Steigerung beim Reingewinn. Man rechne 2010 mit einem Rekordjahr Die genaueren Zahlen hierzu liefert das Antiatomkraftforum contratom.de. In der Branche wird der tägliche Gewinn im Atomkraftwerk Biblis auf eine Million Euro täglich geschätzt.
Von einer auffälligen Beobachtung ganz anderer Art berichtet Katrin Hess, die am Stand des HessischenBauernverbands Kindern die Unterschiede zwischen den verschiedenen Getreidearten zeigte und erklärte: „Viele Kinder wissen gar nicht mehr, welche Getreidearten vor ihrer Nase auf dem Acker wachsen“. Umsomehr hatte der Infostand Zulauf.
Dass Mittelhessen recht unterschiedlich definiert werden kann, dafür lieferte der Hessentag 2010 ebenfalls einige Anhaltspunkte. Eher amüsant ist die Tatsache, dass die aus Fußgängerzonen hinlänglich bekannten Indiomusiker auch den Hessentag mit exotisch klingender Musik bereicherten, in umittelbarer Nachbarschaft swingender und rockender Musiker auf der Bühne der Bundespolizei. Weniger amüsant (aus rein geopolitischer Perspektive) mutet eine Formulierung in der bereits vorgestellten Verkehrsbroschüre für den Hessentag 2010 an: Darin wird beschrieben, wie man aus Süd- und Mittelhessen nach Stadtallendorf kommt (S.26). Wo liegt die Hessentagstadt 2010 denn? In Osthessen, Nordhessen, Süd- oder Westhessen? Da sie Teil des Landkreises Marburg-Biedenkopf ist, eindeutig in Mittelhessen. Um Missverständnissen vorzubeugen: In der Broschüre ist auch von den Mittelhessenexpressen die Rede, im Grußwort ebenfalls von der mittelhessischen Stadt Stadtallendorf. Die Kritik richtet sich eher gegen missverständliche Formulierungen im Umgang mit dem Begriff Mittelhessen.
Wie dem auch sein, trotz schweißtreibenden Geschiebes durch das aus allen Nähten platzende Stadtallendorf, ineinanderfließender Musikkulissen und Geduld fordender An- und Abreise, für eines wurde man als ganz „normaler“ Hessentagsbesucher am Freitagabend denn doch entschädigt: Ein grandioses Feuerwerk. In dem Punkt hatte Radio FFH tatsächlich nicht zuviel versprochen. Wohltuend auch der Grundsatz, diese Veranstaltung offen und frei zu halten.
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*Redaktioneller Hinweis: Die Ratgeberbroschüre für Verkehrsverbindungen des Hessentags 2010 liegt auf einem Dokumentenserver von CVG2000.DE. Da die Domaine hessentagXXXX.de immer nur projektbezogen besteht, ist davon auszugehen, dass die jeweiligen PDF-Dokumente auch gelöscht werden. Sofern diese Belege für Recherchearbeit sind, werden Dokumente dieser Art auf CVG2000.DE gesichert, um den sachlichen Zusammenhang zu gewährleisten.
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