Leihgestern. Wir schreiben das Jahr 2012: Michel Schmidt, ein junger Bieberer hat Großes vor. Er will singen. Und damit anderen Mut machen. Nur er sitzt durch einen Geburtsfehler von Geburt an im Rollstuhl.
Wir schreiben das Jahr 2021. Der junge Bieberer wohnt inzwischen in seiner eigenen Wohnung. In Leihgestern. Ist verheiratet. Und berät inzwischen andere Menschen mit Handicap ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Im Internet ist er mit seiner Seite „Von Handicap zu Handicap“ zu finden.
Manchmal sind es die äußeren Zwänge, die einen Menschen über sich selber hinaus wachsen lassen. Bei Michel Kubig, geborener Schmidt, war es die Natur, die ihn behindert auf die Welt hatte kommen lassen. Aufgewachsen in Bieber, war er auf die Hilfe seiner Familie angewiesen. Insbesondere auf die seiner Mutter. Egal, welche Tätigkeit, ohne Assistenz hätte er sein Leben nicht meistern können. Nur: Es gibt einen Unterschied in der Behinderung. Ob die Behinderung zum einen auch psychischer oder besser geistig-intellektueller Art ist, gepaart mit körperlicher Beeinträchtigung. Oder eben nur mit körperlicher Behinderung. Und letzteres ist der Fall bei Michel Kubig.
„Jeder Mensch sollte frei entscheiden dürfen“
Mit seiner Behinderung, einer rechtsseitigen Spastik, hat Kubig gelernt zu leben. Nur, eben auch mit den Alltagschwierigkeiten, die ein Leben als Behinderter mit sich brachte. Dessen ungeachtet: „Ich denke, jeder Mensch, der in der Lage ist, selber über sein Leben entscheiden zu können, wie er es führt, wie er wohnt, was er arbeitet, sollte das auch tun dürfen. Ohne dann gleich wegsortiert zu werden“ ist seine Lebenseinstellung heute. Die Grundlagen dafür legte er bereits als Teenager und junger Erwachsener: Mit Musik wollte er anderen Mut machen. Das Mittelhessenblog hatte über diese Anfänge berichtet (hier, hier und hier).
Wollte nicht „lästig“ fallen
Seinem Prinzip, sich die Entscheidungen über sein Leben nicht aus der Hand nehmen zu lassen und damit anderen Menschen mit körperlicher Behinderung für ein selbstbestimmtes Leben Mut zu machen, ist er treu geblieben. Obwohl er sagt, dass er ohne die gesundheitliche Belastung seiner Mutter vermutlich heute noch in seinem Elternhaus wohnen und sich nicht auf die Suche nach einer eigenen Wohnung begeben hätte.
Auf seiner Projektseite, die von der Lebenshilfe Gießen, der Lebenshilfe Westerwald, dem Verein zur Förderung der Inklusion behinderter Menschen (fib Gießen) und dem Landeswohlfahrtsverband Hessen als Kooperationspartnern unterstützt wird, spricht Kubig davon, dass er ihr nicht „zur Last“ habe fallen wollen.
„Handicap“ oder doch nur „Mensch mit Behinderung“
Seine Projektseite hat Kubig „Von Handicap zu Handicap“ genannt. Die Absicht ist klar. Nur gibt es auch andere Sichtweisen auf den Begriff, wie es Jonas Karpa in seinem Beitrag „Warum „Handicap“ das falsche Wort für Behinderung ist“ in „Die neue Norm“ erklärt.
Da Handicap seinen Ursprung in einem Tauschspiel habe und auch im Sport, vorzugsweise bei der Sportart Golf, verwendet werde, es um Schwäche und Vergleich gehe, sei es das falsche Wort. Karpa ist der Ansicht, es solle einfach beim Begriff „Mensch mit Behinderung“ oder „Behinderter Mensch“ bleiben. Zu Karpas Sicht gefragt, sagt Kubig: „Ein Handicap fängt für mich bei Sachen an, die man nicht kann.“ Dazu gehöre auch schon, nur mit einer Brille lesen zu können. Dennoch finde er den Artikel interessant. „Die neue Norm“ ist ein Projekt der Sozialhelden aus Berlin.
Alina meint
Ja ich habe auch ein Handicap, läßt sich aber gut mit leben und so langsam wird man auch von staatlicher Seite immer mehr unterstützt. 😉
Anja meint
Also ich würde mir sehr wünschen, wenn Behinderte Menschen im Berufsleben – gerade auch in der privaten Wirtschaft, mehr eingestellt werden würden.