Eine Zukunftsvision in der mittelhessischen Diskotheken- und Musikkneipenszene. Stichtag 1. Januar 2013 Mitternacht:Der 23-jährige Jens Bürger* und seine 20-jährige Freundin Vera Lindt* wollen das neue Jahr begrüßen. Weil sie für die übliche Mainstream-Szene eher nichts übrig haben, waren sie schon Silvesterabend ins Scarabee nach Gießen gekommen. Trotz der relativ teuren Anfahrt aus dem benachbarten Lich. Aber das Scara ist einfach Kult. Muss sein.
Schlag Mitternacht geht plötzlich das Licht an. Die Musik hört auf zu spielen. Die plötzlich einsetzende Stille, der Wechsel von gedämpften Licht zur Fabrikhallenbeleuchtung sorgt für binnen kurzen für eine neue aufbrandende Geräuschkulisse. Es sind die Protestrufe der Scara-Gäste. Das Mikro schrillt. Es wird abermals still. Wer sich dann zu Wort meldet, ist nicht der diensthabende DJ, sondern Inge Menges. Mitpächterin des Scara: „Liebe Gäste, wir können Euren Ärger verstehen. Aber das hier könntet ihr künftig jeden Abend erleben und möglicherweise können wir das Scara dann nur noch zu ganz besonderen Anlässen öffnen. Wenn überhaupt“. Etwas weiter nördlich, in der benachbarten Unistadt Marburg spielt sich im Till Dawn die gleiche Szene ab: Plötzlich vertummt die Musik, die Lichter gehen an. Geschäftsführers Johannes Lammers stellt sich vor die Menge und sagt: „Wir wollen das eigentlich nicht. Aber wenn wir hier weiter Musik spielen, wird es ab heute ziemlich teuer werden oder wir müssen ganz schließen“, sagt Lammers. Soweit der Blick in eine nicht zu ferne Zukunft.
2013 würde das Scara in Gießen in das 51. Jahr seines Bestehens gehen, das Till Dawn in das vierte Jahr. Was die Diskothek und das Till Dawn eint: Sie spielen Musik jenseits dessen, was man den Mainstream nennt. Also das, was in den Charts rauf und runter gespielt wird, über die massenkompatiblen Sender beinah zu jeder Tageszeit in den Markt gedrückt wird. Doch egal ob Admiral, Agostea oder die kleine Szene-Disko. Sie haben in der Regel eines gemeinsam: Sie spielen die so genannte gemapflichtige Musik. Und die soll, wenn es nach dem bisherigen Willen der Rechteverwertungsgesellschaft geht, richtig teuer werden. Jedenfalls so teuer, dass die vielen kleinen Clubs, Musikkneipen und Diskotheken um ihre Existenz fürchten. Kein eigentlich mittelhessisches Phänomen, sondern eines, das sich quer durch die Republik zieht. Bislang wurde der Gematarif in elf Einzeltarife aufgeteilt. Mit der neuen Reform soll es nur noch zwei geben: Einen für Livemusik und einen für die so genannte Tonträgermusik,also alles, was vom Band, CD, USB-Stick, der Festplatte im Rechner kommt. Von der Reform wären nicht nur Diskotheken und Clubs betroffen, sondern auch jeder Verein, der eine Veranstaltung mit Musik plant, etwa eine Kirmes. Speerspitze im Protest gegen die neuen Tarife sind nun Inhaber und Pächter von Diskotheken und Musikkneipen.
Noch zuletzt Anfang September war es zu großen Protestaktionen in Frankfurt gekommen. In Berlin hagelte es Proteste im Juni während der turnusmäßigen Jahreshauptversammlung der Gesellschaft, die rechtlich gesehen ein wirtschaftlicher Verein ist.
Und im Juni war es, als es Inge Menges in Gießen reichte und sie die Idee zu einem runden Tisch aller betroffenen Inhaber und Pächter von Clubs und Diskotheken aus Mittelhessen gemeinsam mit Politikern, Verbandsvertretern und Fachleuten hatte. Zu diesem Treffen kam es schließlich am 1. Oktober. Aber „Ich hatte mir eigentlich mehr Teilnehmer gerade aus dem Kreis der Betroffen erhofft“, musste Inge Menges schließlich im Gießener Rathaus feststellen. Neben dem Scara und dem Till Dawn war noch der Ulenspiegel als Diskothek vertreten, aus Wetzlar das Franzis, die Musikkneipe Sowieso aus Gießen, aus dem benachbarten Wetteraukreis waren der Lokschuppen aus Nidda und das Black Inn aus Ranstadt vertreten. Allein im Gießener Raum gebe es zwölf Diskotheken, die Menges eigentlich erwartet hatte. .Einziges Thema: Wie man der geplanten Tarifreform der Gema ab 1. Januar 2013 entgegen treten kann.
Um Missverständnis zu vermeiden: „Wir sind ganz klar dafür, dass die Komponisten zu ihrem Recht kommen. Ohne sie könnten wir ja gar nicht existieren“, lautete der Tenor des ersten runden Tisches im Rathaus in Gießen. Denn genau das ist die Aufgabe der Gema: Sie kümmert sich nach dem Willen des Gesetzgebers darum, dass die Schöpfer kreativer Arbeit nicht leer ausgehen oder nur mit einem Almosen bezahlt werden. Bisher war das Verhältnis zwischen der Gema und Musikveranstaltern noch relativ normal. Kritik gab es dennoch, am quasi monopolartigen Auftreten der Gema. Doch die geplante Tarifreform der Gema hat nun für Gegenwind gesorgt, der nun inzwischen auch aus Gießen der Gesellschaft ins Gesicht zu blasen beginnt. Allerdings, so befürchtet der Gießener Komponist und Musiker Marc Gernert, könnte sich der Vorstand der Gema bisher davon wenig beeindrucken lassen. Der verlasse sich auf den besonderen Schutz durchs Gesetz, berichtet Gernert von Eindrücken während der Mitgliederversammlung in Berlin.
Genau dort setzen die Pläne der Politik an, wurde in Gießen deutlich. Mit Bernd Kaufmann von den Grünen, Christian Fleißner von den Piraten, Wolfgang Greilich für die FDP und Stefan Görnert als Wahlkreisreferenten des heimischen CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Helge Braun waren bis auf die SPD und die Linke alle politischen Kräfte vertreten. Johannes Lammers, Geschäftsführer des Till Dawn lobte denn auch, dass der Protest gegen die geplante Reform im hessischen Landtag sowohl von SPD und Grünen wie auch CDU und FDP unterstützt werde. FDP-Mann-Greilich, Chef der hessischen FDP-Landtagfraktion, warnte allerdings vor zuviel Enthusiasmus: „Wir haben die Wahlen zum Bundestag 2013 vor der Tür. Ein neues Gesetz können wir vorher wohl nicht mehr im Bundestag auf den Weg bringen“, so der Jurist.
Aber: Mit der Drohung, dass die Gema künftig eine schwächere Rechtsposition haben könnte, nicht mehr automatisch erst einmal bei jedem Stück das gespielt werde, die so genannte Gema-Vermutung gelten würde, könnte man die Gema vielleicht wieder an den Verhandlungstisch zurückholen. Noch vor dem Stichtag 1. Januar 2013.
Für Oliver Seidel, den Geschäftsführer des Bezirksverbandes Mittelhessen des hessischen Landesverbandes des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes ist die Sorge der Diskothekenbetreiber nachvollziehbar, weswegen der Dehoga Aktionen wie den jetzigen ersten runden Tisch unterstütze. „Ich kann das ehrenamtliche Engagement von Frau Menges nur loben“, sagte Seidel im Gießener Rathaus. Er wies auf die Proteste des Dehoga hin, der der Gema die Ausnutzung ihres Status als Quasi-Monopolist vorwerfe. Er habe die Hoffnung, dass die Gema noch einmal an den Verhandlungstisch zurückkehre. „Wenn sich Alternativen für die Gema böten, die dann im Wettbewerb zu ihre ebenfalls als Partner in Frage kämen, würde ich das unseren Mitgliedern sofort empfehlen“, sagte Seidel. Dass sich solche Alternativen bieten könnten, skizzierte der als „Metal-Anwalt“ bekannt gewordene Lindener Rechtsanwalt Christian Koch. Er brachte das Beispiel der Initiative C3S ins Spiel. Diese Initiative hatte sich im September in Berlin vorgestellt und will eine Alternative zur Gema werden. Dass es indes schon längst Alternativen gibt, war aber zumindest während des Runden Tisches in Gießen nicht bekannt: So hatte sich vor rund acht Jahren das Luxemburger Portal Jamendo gegründet, das einerseits mit gemafreier Musik zum legalen kostenlosen Herunterladen wirbt, andererseits gewerblichen Musiknutzern gegen eine Gebühr bescheinigt, dass sie gemafreie Musik benutzen. Zur Vorlage unter anderem bei der Gema. Einzige Bedingung: Der Komponist oder Musiker darft kein Gema-Mitglied sein. Auf Nachfrage meinte dazu Seidel, das sei interessant und müsse auf jedenfalls geprüft werden. Auf jeden Fall soll es bald einen neuen runden Tisch geben, zu dem Inge Menges einladen will.
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* Die Namen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen wäre rein zufällig
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