Es ist eine Idee, die eigentlich so neu nicht: Als im 19.Jahrhundert der Lehrer Heinrich Karl Gesell auf dem Schreberplatz in Leipzig kleine Beete für Schulkinder anlegte, geschah dies, um Kinder zu beschäftigen und der Natur nahe zu bringen. Aus den Beeten wurden bald Familienbeete, im Gang der Geschichte Schrebergärten. Wenn nun im Frühjahr 2010 aller Voraussicht nach der erste Saisongarten im Landkreis Gießen auf dem Sonnenhof von Jürgen Scheld entstehen wird, steckt dahinter ein Gedanke, der die Überlegungen des Leipziger Lehrers aufgreift, allerdings: „Ohne dass wir hier gleich an eine Vereinsgründung denken, es geht ja in erster Linie darum, dass die Leute wieder den Wert der Lebensmittel erkennen, in dem sie selber ihr Gemüse pflegen und ernten. Und gleichzeitig wieder mehr Kontakt in die Landwirtschaft bekommen“, erklärte Katharina Mittelstraß von der Staatsdomäne Frankenhausen während einer Auftaktveranstaltung in Fulda.
„Ich hatte von der Idee früher an der Uni Kassel erfahren. Das ist noch Ende der 90er Jahre gewesen“, berichtet Scheld. Im Kern ging es damals schon darum, dass Landwirte gegen einen gewissen Pachtbetrag Fläche zur Verfügung stellen, auf denen dann potentielle Hobbygärtner ohne eigenen Garten ihr Gemüse selber anbauen konnten. „Die Zeit schien damals für die Idee aber noch nicht reif zu sein“, mutmaßt Scheld, wieso erst jetzt die Idee der Saisongärten wieder aktuell wird. Was in der Vergangenheit allerdings ein Projekt war, dessen sich engagierte Idealisten aus der ökologischen Landwirtschaft, unterstützt von gleichgesinnten Wissenschaftlern annehmen mussten, hat spätestens seit einem Jahr eine handfeste Partnerschaft aus der Wirtschaft. Genauer gesagt: Die osthessische Handelskette Tegut will das Projekt voran bringen. „Viele Menschen wissen heute nicht einmal mehr, was eine Karotte ist, wie eine Kartoffel aussieht. Für viele ist der Supermarkt aufgrund des Zeitmangels doch zu einem erweiterten Kühlschrank geworden“, hatte Projektbetreuer David Scheuthle bereits während eines Naturlandstammtisches im mittelhessischen Lich-Eberstadt gesagt. Auf der Suche nach einem Weg, wie Menschen zum einem der Wert und der Bezug zu frischen Lebensmitteln wieder näher gebracht werden kann und gleichzeitig auch der Kontakt zwischen Landwirten und der Restbevölkerung wieder verbessert werden kann, kam die Verbindung zwischen dem osthessischen Handelshaus und Katharina Mittelstraß zustande, die von ihren Erfolgen aus dem nordhessischen Raum berichtet hatte.
In der Folge entstand in Fulda 2009 ein erstes Saisongartenprojekt. „Im Grunde haben am Ende eigentlich alle etwas davon: Der Landwirt und die Parzellenpächter: Der Landwirt, weil er für einen Teil seiner Fläche auf jeden Fall eine fest kalkulierbare Einnahme von der Parzellenverpachtung hat, die Parzellenpächter, weil sie außer dem Risiko, dass ihre selbst angebautes Gemüse vom Wetter abhängig ist, kein Risiko haben und sich am Ende über die Ernte ihre eigenen Gemüses und Obstes freuen können, das ohne jegliche chemischen Hilfsmittel herangewachsen ist.
Wieviel soll eine Parzelle kosten? „Durchschnittlich könnten das 160 Euro pro Parzelle sein und am Anfang empfehlen wir rund 25 Parzellen zu je 80 Quadratmetern“, erklärt Scheuthle.
Und was kommt auf den interessierten Landwirt zu? „Er muss den Acker vorbereiten, sorgt für eine ausreichende Wasserversorgung und sollte als Ansprechpartner zur Verfügung stellen. Wenn jemand das Risisko partout nicht tragen möchte, pachten auch wir erst einmal die Fläche, kümmern uns die ersten drei Jahre darum, dass die Flächen weiterverpachtet werden. Wenn es dann allerdings nicht laufen sollte, beenden wir das Projekt“, sagt Scheuthle. Wie sich das Projekt der Saisongärten im Erfolgsfall weiterentwicklen kann, berichtet Katharina Mittelstraß aus Frankenhausen. Dort seien seit dem Start des Projektes vor rund acht Jahren inzwischen 30 Prozent der Parzellenpächter seit Anfang an dabei.
Rund 70 Prozent seien im nächsten Jahr wieder gekommen und die ursprünglich auch in Frankenhausen angebotene Beratung durch das Domänenpersonal sei inzwischen der Beratung erfahrener Parzellenpächter für die absoluten Neulinge gewichen. . „Was wir beobachtet haben, ist auch, dass bei schlechtem Ernteverlauf die Leute es mit Fassung tragen und für dieses Risiko nicht den Bauern verantwortlich machen“, beschreibt die Nordhessin anscheinend lehrreiche Erfahrungen der Gartenbauer für eine Saison.. „Das Projekt hat gleichzeitig noch einen anderen Effekt: Wenn auch im Sommer dann vielleicht weniger im Hofladen gekauft wird, merken sich die Leute doch den Hof und kommen dann im Winter wieder, um mehr Eier und Fleisch zu kaufen.“
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