POLITIK und WIRTSCHAFT
Liebe Mittelhessenblogleser: Sie erinnern sich noch an die Zeit der Euro-Einführung vor acht Jahren. Am 1. Januar 2002 wurde mit großem Jubel der Euro als Bargeldwährung eingeführt und löste damit die D‑Mark ab. 1999 war der Euro schon als Buchgeld eingeführt worden Sehr zum Ärger vieler Deutscher hatte der Euro die Mark abgelöst . Noch ärgerlicher waren die Kurswerte für viele: Wer in die USA fahren wollte, merkte plötzlich, dass es für einen Euro vielleicht 85 US-Cent gab. Dieses Verhältnis sollte sich allerdings relativ bald umkehren und der Euro verwandelte sich in eine harte Währung. Diese Wandlung scheint heute vielen aber entfallen zu sein. Im mittelhessischen Gießen rief der Frankfurter Volkwirtschaftler Paul G. Schmidt dies nun vor rund 110 jungen Männer und Frauen ins Gedächtnis mit einer zentralen Botschaft: „Der Euro steckt nicht in der Krise – wir haben es mit einer falschen Politik zu tun.“
Im Alltagsleben lehrt Schmidt an der Frankfurt School of Finance and Management, berät regierungsnahe Institutionen in Deutschland, Russland und Nichtregierungsorganisationen, wenn es um volkswirtschaftliche Fragen geht. Die Kritik Schmidts ruht also nicht auf irgendeinem wackligen zusammenphantasierten Fundament.
Vor den angehenden Bankern, Politikern, sonstigen Fach- und Führungskräften, die sich gerade ihr fachliches Rüstzeug aneignen, verglich Schmidt die derzeitige europäische Finanzpolitik mit einem verantwortungslosen Haushalt, der eigentlich weiß, dass die Kasse schon längst mehr als leer und deswegen sparen angesagt ist – nur mit dem Unterschied, dass sich in diesem großen europäischen Haushalt (die Rede ist von der Eurozone) sich unterschiedlich stark finanzkräftige Mitglieder dieses Haushalts befinden, die jedes für sich wieder einen eigenen Teilhaushalt haben. Nun ist es richtig, dass jeder für seinen eigenen Haushalt zunächst einmal selber verantwortlich ist. Und wenn es knapp wird, mit seiner Bank reden muss, nötigenfalls einen Kredit aufnimmt und den dann Stück für Stück zurückzahlt. Gesetzt den Fall, es wird ganz knapp und man macht dann einen Aushang am schwarzen Brett des großen Gesamthaushalts der Wohnung, die man mit seinen Wohngenossen teilt, würden die erst mal blöde gucken und dann vermutlich nur gegen Leistung von Sicherheiten aus der Patsche helfen. Keinesfalls aber aus freien Stücken zur Bank gehen und dann bürgen.
Genau das aber geschähe zur Zeit mit dem Vehikel namens Europäischer Rettungssschirm, den nun Irland im Grunde auf Drängen Deutschlands und Frankreichs in Anspruch genommen habe.
Den Euro selber bezeichnet Schmidt in sich als stabile Währung: „Eine Krise gibt es da nicht. Sehen Sie sich doch die Kurswerte im Vergleich zum, Dollar an und vergleichen Sie die mit der Anfangszeit des Euro. Eine Währungskrise sieht in der Tat anders aus“, sagt Schmidt. Also können sich alle zurücklehnen, aufatmen und brauchen sich nicht aufzuregen? Falsch gedacht, wie im übrigen anscheinend viele Medien, die vereinfachend immer nur von der Krise sprächen, lautet der Vorwurf des Wissenschaftlers an zu oberflächliche Darstellungen. „In der Wissenschaft reden wir mindestens von vier Krisentypen: Währungskrise, Bankenkrise, Staatsschuldenkrise und Finanz-/Wirtschaftskrise“, macht Schmidt deutlich. Gefährlich werde es durch die Kombination dieser Typen. Und derzeit träten die Krisen als Drillinge auf.
In den schwächelnden Eurozonen-Hausgenossen Portugal, Irland und Griechenland hätte falsche Finanzpolitik zu der jetzigen Lage geführt. Zu einer Zeit, als die Regierungen und nationalen Wirtschaften der jeweiligen Staaten längst die Notbremse hätten ziehen müssen, etwa durch Anpassungen bei den Löhnen und Gehältern, seien dies verabsäumt worden. Desgleichen in der Steuerpolitik. „Die Einnahmen eines Staates sind nun mal dessen Steuern. Sind die Steuern dauerhaft niedriger als die Ausgaben des Staates, führt das zwangsläufig irgendwann zu einer Schieflage, im schlimmsten Fall dazu, dass der Staat seine Verbindlichkeiten nicht einlösen kann.“
Gradmesser für die Stabilität und Zuverlässigkeit eines Staates seien unter anderem Staatanleihen. Diese seien in Deutschland bisher kontinuierlich gestiegen. In ähnlicher Weise berichtet dies auch die FAZ in ihrer Online-Ausgabe vom 26. Oktober 2010. Dort heißt es, das ansonsten recht langweilige Anlageinstrument sei sozusagen über Nacht zu einem Hort der Sicherheit und Glückseligkeit von Anlegern geworden. „Vor allem Inder, Chinesen und Russen interessieren sich für die deutschen Staatsanleihen“, erläutert Schmidt. Allerdings: Anleger seien in der Regel nicht Privatleute, sondern Institutionen. Just an dem Tag, an dem Schmidt dies in Gießen sagte, meldet die Financial Times Deutschland (FTD) allerdings eine Nachricht, die den Wert der deutschen Staatanleihen urplötzlich schon wieder in einem anderen Licht zeigen: Ausgerechnet EZB-Chef Axel Weber habe durch seine Nachricht, den Euro-Rettungsschirm auf 750 Milliarden Euro auszuweiten, plötzlich für Panik gesorgt und für einen Abfall der deutschen Anleihen in der Anlegergunst. Schmidt war abends in Gießen gewesen, die FTD hatte wenige Stunden vorher um 13 Uhr die Meldung über Weber und die Reaktion der Anlieger online gestellt.
Nach Schmidts Auffassung bleibt die Lage und die Politik des Rettungsschirms trotz der damit zum Teil verbunden „illegalen Praktiken“ solange überschaubar, wie es sich um kleine Volkswirtschaften handelem die unter den Schirm wollen. Gehe es aber um große wie Spanien oder gar Italien, so sei Gefahr im Verzug. Italien ist nach Schmidts Auffassung das nächste Land das wackeln könnte, wenn die italienische Politik nicht besonnen handele oder ihre Stabilität verlöre. „Zur Zeit kann ich aber nicht sagen, dass etwa das Bankensystem gefährdet ist. Aufpassen sollten die Italiener aber dennoch.“
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