POLITIK und WIRTSCHAFT/BLICK NACH BRÜSSEL/UMWELT
Für Peter Hocke vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe hat die kürzlich wieder aufgeflammte Debatte um Glühbirnen und Energiesparlampen einen klaren Punkt, wenn sonst alles andere auch eher wie ein Glaubenskrieg aussieht. Der Technikfolgenabschätzer sagt: „Immer dann, wenn eine neue Technologie eingeführt wird, gibt es oft heiße Debatte. Meistens fürchten die Vertreter der alten Technologie, dass sie an Boden verlieren. Sehr viel hat es dann auch mit Lobbying zu tun.“ Damit reagierte Hocke spontan auf die Nachricht, die am Vormittag des 22. Dezember 2010 durch den medialen Blätterwald und über die einschlägigen Onlineportale der bekannten Nachrichtensender rauschte: Die Ankündigung des Vorsitzenden des Industrieausschusses im EU-Parlament, Herbert Reul (CDU,EVP), mit allen Mitteln das Glühbirnenverbot kippen zu wollen. Sekundiert von der Vizevorsitzenden des EU-Parlaments, Silvana Koch-Mehrin (FDP) will der Politiker, der sich selbst als Freund der Industrie bezeichnet, das Verbot zumindest aussetzen. Reul und Koch-Mehrin stützen sich dabei auf eine Untersuchung des Umweltbundesamtes in Dessau, wo man sich über das Vorpreschen der beiden Politiker wundert. In der UBA-Untersuchung wurde zwar vor zuviel Quecksilber in Energiesparlampen gewarnt, gleichzeitig aber auch gesagt, was man dagegen tun könne.
Zum Hintergrund: Um den Energieverbrauch in Europa zu senken, beschloss die EU 2009 die erste Stufe des EU-Verbots für die konventionelle Glühbirne. Ab 2011 soll es nun der 60-Watt-Birne an den Kragen gehen, wenn auch offiziell erst ab 1. September. Für dieses Verbot hatte sich auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel eingesetzt, ebenfalls CDU. Das Verbot kann jährlich rund 15 Millionen Tonnen CO2 weniger bedeuten, wenn es denn durchgehend und in großer Fläche angewendet wird. Ende 2012 soll dann die Glühbirne das Feld zugunsten von Energiesparlampen komplett geräumt haben.
Die Reaktionen im Handel scheinen dagegen weitaus pragmatischer zu sein, als es an der politischen EU-Front von Reul und Koch-Mehrin aussieht.
Im mittelhessischen Gießen etwa, wo eines der Flaggschiffe der Warenhaus-Kette Karstadt seinen Sitz hat, gibt man sich entspannt: „Wir haben sicher noch 75-Watt-Birnen, auch 100-Watt-Birnen. Eben soviel, wie an Bestand noch da ist und noch nachgeliefert wird.“ heißt es aus Gießen. Auch die Rücknahme von defekten Energielampen sieht man eher unaufgeregt: „Wer mit seiner Birne kommt, kann die abgeben“. Nicht ausdrücklich ausgesprochen, schwingt dennoch zwischen den Worten mit, dass man dann noch hofft, der Kunde möge sich dann auch für den Kauf einer neuen Energiesparlampe entscheiden Die Situation sei eigentlich überall dieselbe, sagt ein anderer Händler, diesesmal aus einem Fachhandelsgeschäft: „Wir sammeln die Birnen und bringen die dann weg zum Schadstoffmobil“ sagt Recep Houssein-Ugul in dem alteingesessenen Elektrofachgeschäft Rohrbach. Er weist gleich auf die Meldung von Reul und Koch-Mehrin hin, die in Händlerkreisen gleich die Runde gemacht habe. Sein Großhändler habe ihm das schon am frühen Morgen gefaxt.
Dabei ist die Äußerung Reuls so neu eigentlich nicht. „Das hat er doch schon vor zwei Wochen gesagt, da hat es nur keiner gehört. Jetzt sind plötzlich alle Medien draufgesprungen“, wundert man sich im Dunstkreis des Umweltbundesamtes (UBA) in Dessau. Nach dieser Untersuchung sollen Energiesparlampen 20 mal mehr als den zulässigen Gesamtwert von 0,35 Mikrogramm Quecksilber enthalten. Das wiederum könnte für empfindliche Menschen, Kleinkinder und Schwangere gefährlich sein.
Auf diese Aussage stützen sich Reul und Koch-Mehrin..Doch wie der stellvertretende UBA-Sprecher Stephan Haufe erklärt, ist das nur ein Teil der Studie, die im übrigen noch längst nicht abgeschlossen sei. Er verweist im übrigen auf eine Erklärung des UBA-Präsidenten Jochen Flasbarth vom 2. Dezember. Darin spricht Flasbarth von so genannten Worst-Case-Fällen, die bei Versuchen mit zwei Energiesparlampen zweier europäischer Hersteller angewandt wurden. Anders ausgedrückt, die Lampen wurden Situationen ausgesetzt, wie sie im normalen Haushaltsalltag einer Energiesparlampe eher selten auftreten, eben der „schlimmste Fall“, genau das heißt Worst-Case in der deutschen Übersetzung. Zwar habe man eben jene 20-fach-höhere Konzentration festgestellt, gleichzeitig hätten andere Untersuchungen aber auch ergeben, dass sich die hohe Konzentration schnell verflüchtigt. Um sicher zu gehen „sollte, wenn wirklich eine Birne zu Bruch geht, 10 Minuten bis zu einer Viertelstunde gelüftet werden, eben die klassische Stoßlüftung“, erläutert Haufe.
Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen in Berlin hatte sich anfänglich die Forderung der beiden EU-Politiker zu eigen gemacht. „Wir müssen da aber jetzt zurückrudern, nachdem wir nun vom aktuellen Stand der Studie erfahren haben“, räumte der Sprecher des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Christian Fronczak auf Nachfrage unserer Redaktion am 22. Dezember ein.
Von einem Aufheben des Glühbirnen-Verbots will man beim VZBV in Berlin nun nichts mehr wissen. Stattdessen mache man die auch die Forderungen des UBA zu eigen.
Und das Umweltbundesamt fordert nun etwas ganz anderes als die beiden deutschen EU-Politiker: So soll die EU die Lampenhersteller dazu bringen, sowohl noch bruchsicherere wie möglichst wenig Quecksilber enthaltende Birnen auf den Markt zu bringen. Genauso solle das Rücknahmesystem des Handels durch freiwilliges Handeln oder nötigenfalls mit gesetzlichem Druck vereinheitlicht und besser ausgebaut werden. „Es kann nicht sein, dass ein Verbraucher viele Kilometer zurücklegen muss, um seine kaputte Energiesparlampe zu entsorgen.“
Zumindest in Mittelhessen scheint man diesen Kundenwunsch im Handel schon ernst genommen zu haben.
Die vollständige fünfseitige Studie des Umweltbundesamtes kann hier heruntergeladen werden
Karl Gunkel meint
Kopfschüttel. Reul mag ja recht haben. Warum kommt aber die Einsicht bei den Politikern immer erst nach der Beschlussfassung und nicht vorher?
mfg
lichtnews.de
Pinopank meint
Meiner Meinung nach liegt das daran, dass die kein wirkliches Gefühl für das Ganze bekommen konnten und nur einseitig und uneinsichtig wie immer der Lobby folgten! Dass es problematisch wegen des Giftes wird zu entsorgen war von Anfang an ein Thema und bekannt, das der Mittelstand schon wieder dafür bluten muss halte ich für “ Insolence Bottomless“
Bruno meint
Bravo