UMWELT/POLITIK und WIRTSCHAFT
Am 31. Mai 2011 zogen auf einmal die langersehnten dunklen Wolken von Südwesten über Mittelhessen hinweg. Wer dem Wolkenzug auf dem Radar der Unwetterzentrale folgte, stellte aber schnell fest, dass der am Nachmittag einsetzende Regen keineswegs die Kraft hat, den ausgedörrten Boden auch nur ansatzweise so zu durchfeuchten, dass die Trockenheit der vergangenen Monate damit aufgefangen werden konnte. Die Mittelhessenblog-Redaktion hatte sich deswegen auf den Weg gemacht und mit Erdbeerbauern im Landkreis Marburg-Biedenkopf und im Grenzgebiet zwischen Vogelsberg, Wetterau und Gießener Land gesprochen.
„Ich weiß noch, wie das 1976 war. Damals habe ich gerade meine Lehre gemacht. Die Trockenheit hat damals von Anfang Mai bis August gedauert“, erinnert sich Peter Plitt an die große Trockenheit mitten in den 70-ern des 20. Jahrhunderts. Für den Bioland-Landwirt, der seit 2004 auf seinen Feldern rund um den Lohraer Ortsteil Damm Erdbeeren anbaut, sind die aktuellen Wettererscheinung etwas, was in einen Rhythmus gehört, mit dem man kalkulieren müsse. „Sieben Jahr geht es gut und dann kommt plötzlich eine Keule“, sagt Plitt. Von März bis Ende Mai seien gerade mal 40 Liter Regen auf den Quadratmeter Boden gefallen. „Wenn ich dann noch die tägliche Verdunstungsrate hinzuzähle, bleibt fast nichts mehr übrig“, sagt Plitt. Zehn Liter pro Quadratmeter und Tag seien üblich beim gegenwärtigen Wetter. „In dem Jahr ist bei dem Licht und der Wärme die ganze Vegetation einfach früher dran. Das erleben wir gerade bei den Erdbeeren“, sagt Plitt. Normal sei der Beginn der Saison eigentlich um den 10. Juni. Jetzt habe sich alles um rund zwei Wochen nach vorne verlagert. Am 24. Mai habe die Saison begonnen. Aber wegen des Wassermangels würden die Felder immer wieder einmal ein bis zwei Tage in der Woche geschlossen, damit wenigstens etwas nachwachsen könne. „Wenn kein Wasser kommt, dann mickern die Erdbeeren vor sich hin und manche Pflanze folgt dann ihrem Überlebenswillen“, erklärt der Landwirt. In der Praxis heißt das: Nicht selten werfen die Erdbeerpflanzen ihre Früchte dann einfach vor der Zeit ab. Fehlt das Wasser im Boden, wird es für das rote Obst ohnehin kritisch: Mit ihren flachen Wurzeln reicht die Pflanze fünf bis sechs Zentimeter in die Erde. Dann ist Schluss. Zum Beweis wühlt Pritt ein wenig die Erde auf, die gerade mal an der Oberfläche vom Nachmittagsregen durchfeuchtet ist. Darunter ist es wieder staubtrocken. Und die durchfeuchtete Erdschicht beträgt gerade mal knapp zwei Zentimeter.
Wenig anders sieht es in Hungen-Villingen und Lich-Langsdorf aus, ungefähr 50 Kilometer weiter südöstlich von Pritts Betrieb. Dort war der Gießener Kreislandwirt Manfred Paul noch am Montag skeptisch. An der Skepsis hatte sich auch am Dienstag nach dem lang ersehnten Regenguss nichts grundsätzliches geändert. Auch wenn der Regen eine der wenigen nassen Zäsuren dieser inzwischen „einmaligen“ Trockenperiode im Gießener Land war. Paul zweifelt, ob dieser vorhergesagte Regen ausreicht, gerade den Erdbeeren soviel Wasser zu geben, dass die Erdbeersaison nicht vorzeitig wegen Wassermangel beendet werden muss. „Die Erdbeeren vertrocknen am Stengel oder werden ganz klein“, erklärt Paul, wieso gerade für die Erdbeeren Wasser so wichtig ist. „Ich habe jetzt die Felder erst einmal geschlossen und warte darauf, dass die Erdbeeren noch etwas nachwachsen“, sagt Paul, wieso seine Felder zur Zeit geschlossen sind. „Wir werden am 2. Juni wieder öffnen, das bleibt so, wie es auf dem Schild steht“, sagt Paul. Zur Länge der Trockenperiode sagt Paul, dass diese „wohl in die Geschichtsbücher eingehen wird. So trocken war es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen nicht“, sagt Paul.
Vor wenigen Wochen noch hatte Paul die Erinnerung an das Frühjahr und den Sommer 1976 als Vergleich herangezogen. Damals dauerte die Trockenheit von April bis August. Er hat diese Zeit so in Erinnerung wie Kollege aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf. Sein Vater habe von einem ähnlich langen Zeitraum aus dem Jahr 1947 berichtet. An 1976 könne er sich noch so gut erinnern, weil seine Eltern wegen Futtermangels für ihre Rinderherde 18 Tiere damals hatten verkaufen müssen.
Heute stellt sich Paul die Frage, was geschieht, wenn sich die Trockenheit noch weiter in den Juli oder August zieht. Die Ausfälle bei den Erdbeeren seien nur ein Detail. Paul bestätigt Nachrichten, die von anderen Kollegen die Runde machen. So soll der in Gründau ansässige Betrieb Würfl, der unter anderem große Flächen im Vogelsberg und im Landkreis Gießen für den Erdbeeranbau angepachtet hat, mittlerweile bis zu 40 Prozent Ausfälle haben. Auf den Feldern, die er bei Hof Güll bei Eberstadt angepachtet hat, steht direkt auf Informationsschildern, dass man gemeinsam mit der Kundschaft auf Regen hoffe. Die Felder bei Hof-Güll sollen am 4. Juni wieder öffnen.
Einen anderen Weg geht Wolfgang Schadeck auf dem Johanneshof bei Lich-Langsdorf. Um seine Erdbeeren über die Trockenheit zu bringen, setzt er eine Schlauchbewässerungsanlage ein: Aus kleinen Ritzen rinnt aus schmalen Schläuchen, die in den Erdbeerreihen verlegt sind, das lebenswichtige Nass. Rund 1000 Euro habe er sich in dieser Saison die Bewässerung bereits kosten lassen, sagt Schadeck. „Ohne das würde bei uns auch kaum etwas laufen“, sagt Schadeck. Zur Bestätigung kommen gerade Kunden mit vollen Eimern hoch mit Erdbeeren gefüllt aus seinem Hofladen. „Aufs Bewässern kann man nicht verzichten, der finanzielle Schaden wäre einfach zu groß“, sagt Schadeck. Mit Paul und anderen Landwirt ist sich Schadeck allerdings einig: Um dem Boden die Feuchtigkeit zurückzugeben, die er verloren hat, bräuchte es mehr als nur eine vorübergehende Regenfront: Einen Landregen, der gut eine Woche oder zehn Tage dauert. Wenn dies nicht bald kommt, sondern die Trockenheit sich tatsächlich noch über die nächsten drei Monate ziehen sollte, befürchtet Paul „dass wir hier bald eine Steppe haben werden.“ Zumindest in den Gegenden, in denen der Boden von Natur aus das Wasser nicht so gut halten kann.
Lesehinweis: Erdbeeren ‑roter Traum
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