POLITIK und WIRTSCHAFT/UMWELT
Tankfüllungen von 70, 80, 90 oder 100 Euro, das je nach Reichweite und Verbrauch im Einwochen-Rhythmus machen den Wahnsinn deutlich: Tankkosten von nahezu 300 oder mehr Euro im Monat, um den Alltag zu organisieren. Wenn man nicht gerade das Glück hat, in einem der drei Oberzentren oder Städten wie Haiger, Limburg, Biedenkopf oder Stadtallendorf zu leben, kommt recht schnell der Faktor Auto ins Spiel. Exakt diesem Muster folgte die Ansiedlung von neuen Supermärkten und Discountern. Neben den Kosten für einen durchschnittlichen Lebensmitteleinkauf müssen die für die An- und Abfahrt zum Markt noch einkalkuliert werden. Eine entscheidende Rolle spielt die Lage der Märkte.
Exemplarisch blickt das Mittelhessenblog dafür auf die drei mittelhessischen Kernkommunen Hohenahr im Lahn-Dill-Kreis, Fronhausen im Kreis Marburg-Biedenkopf und Biebertal im Landkreis Gießen. Dabei schneiden zumindest Hohenahr und Fronhausen in der gegenwärtigen Situation noch am günstigsten ab, wenn es darum geht, überhaupt einen Marktbetreiber am Ort zu halten oder dazu zu bewegen, wieder in unmittelbarer Nähe des alten Standortes neu zu bauen.
Was alle drei Kommunen eint, ist die Tatsache, dass es sich bei ihnen um ländlich geprägte Ortschaften handelt. Der Unterschied: Fronhausen liegt in direkter Nähe an der B3a, die von Gießen nach Marburg führt und an der Bahnstrecke von Frankfurt über Gießen und Marburg nach Kassel. Hohenahr umd Biebertal liegen dagegen an diversen Landesstraßen. Die nächsten Bundesstraßen sind die 255, die über Bischoffen zum einen Richtung Montabaur, zum anderen Richtung Marburg führt. Für Biebertal ist die nächste Bundesstraße die B 49, die zum einen über Wetzlar Richtung Limburg führt, zum anderen über Gießen Richtung Alsfeld. Die nächsten größeren Lebensmittelmärkte, sprich Vollsortimenter und Discounter wie Globus, Edeka, Herkules, Rewe, Aldi, Lidl konzentrieren sich in der Regel in den Gewerbegebieten und an den Ausfallsstraßen Gießens sowie der sogenannten Speckgürtelkommunen Linden und Wettenberg sowie des bereits im Lahn-Dill-Kreis liegenden Wetzlarer Ortsteils Dutenhofen. Sprich: Wer für den täglichen Bedarf einkaufen will, ist zwangsläufig auf das Auto angewiesen. Diese Einschätzung untermauerte der Naturschutzbund Deutschland bereits 2010 mit einer Perspektive zur Nahversorgung am Beispiel Mittelhessen. Darin heißt es unter anderem:
„Wer kein Auto hat, ist auf Nachbarschaftshilfe, den häufig unzureichenden Öffentlichen Nahverkehr oder eben die verbliebenen Dorfläden angewiesen. Letztere sind aber in den vergangenen Jahren seltener geworden. Viele Dorfladenbesitzer haben aufgrund geringer Rentabilität, großen Konkurrenzdrucks durch Supermärkte und Discounter und fehlende Nachfolger aufgegeben.“
Vor diesem Problem steht etwa der Biebertaler Ortsteils Fellingshausen in wenigen Jahren, wenn sich die langjährigen Eigentümer des dortigen Rewe-Nahkaufs aus Altersgründen zur Ruhe setzen werden und keine Lösung für die weitere Nachfolge gefunden wird. Bereits jetzt ist Fellingshausen neben Frankenbach der einzige Ortsteil neben dem Hauptortsteil Rodheim-Bieber, der zumindest noch eine Grundversorgung hat, die aus mehr besteht, als „eben mal noch die Brötchen zu holen“, die man vergessen hat – wie der Nabu in eben jener Skizzierung aus dem Jahr 2010 ebenfalls beklagt.
In der gleichen Perspektive spricht der Nabu aber auch davon, dass sich gerade auf dem Land mittelständische inhabergeführte Geschäfte niedergelassen hätten, um eben die Lücke zu schließen, die durch das Märkte bauen auf der grünen Wiese entstanden war. Zumindest von einer solchen Entwicklung ist in den drei genannten Kommunen nicht viel zu spüren, sieht man einmal von den Hauptorten Fronhausen, Erda und Rodheim-Bieber ab. Ums Auto führt, wie es scheint, kein Weg herum.
Beispiel Biebertal: Nach und nach kam es zum „Kleine-Läden-Sterben“ in den vergangenen Jahren, blickt man auf die Grundversorgung mit Lebensmitteln. Zuerst traf es den am höchsten gelegenen Ortsteil Königsberg, dann folgte Bieber, das zum Hauportsteil Rodheim-Bieber gehört und aktuell trifft es Frankenbach. Der Wegzug der dortigen Aldi-Nord-Filiale ins benachbarte Erda ist beschlossene Sache und die Bauarbeiten für den neuen Markt im Gewerbegebiet West sorgt dafür, dass der Hauptort der Gemeinde Hohenahr dann einen Vollsortimenter und mit Aldi einen Discounter haben wird. Für Frankenbach wird dies bedeuten, dass es dann voraussichtlich ohne jede Grundversorgung am Ort sein. Der nächste Wackelkandidat in dieser Reihe wird vermutlich Fellingshausen sein. In der Konsequenz, wenn sich keine Lösung im Rahmen neuer Dorfentwicklungskonzepte finden lässt, wird in diesen Ortsteilen dann erst recht am Auto kein Weg für die Grundversorgung vorbeiführen. Im Biebertaler Hauptort gab es zudem eine Verlagerung des im inneren Ortskern ansässigen Rewe-Marktes an die Ortsrandlage, so dass ältere Menschen, die bis dahin wenigstens zu Fuß diesen Markt noch erreichen konnten, nun entweder auf einen längeren Fußmarsch sich einstellen müssen oder auf Nachbarn und Verwandschaft als Taxi setzen müssen. Der Markt bietet zwar einen Lieferdienst – aber den, so berichten Kunden, gäbe es auch nicht als kostenlose Serviceleistung.
Die Tatsache, dass sich Aldi aus dem Biebertal Ortsteil Frankenbach zurückzieht und nach Erda wechselt, begründet der zuständige Prokurist gegenüber dem Mittelhessenblog keineswegs mit fehlender Nachfrage. Die sei deutlich da. Allein was fehlt „war ein entsprechendes Angebot seitens der Gemeinde oder durch einen Investor. Wir hatten ja gar keinen Grund, sonst Biebertal zu verlassen. Immerhin waren wir in Frankenbach ja schon seit 1992“, sagt Clemens Kramer. Mit anderen Worten: Die Notwendigkeit, künftig für jeden Einkauf das Auto bewegen zu müssen, ist nach dieser Erläuterung jedenfalls nicht beim Discounter zu suchen. Und dass dieser, wenn die Umstände stimmen, sich durchaus entscheidet, am angestammten Ortsteil zu bleiben, beweist der Blick nach Fronhausen. Um den Ort als Wohnort und Einkaufsort attraktiv zu halten oder gar noch zu verbessern, hatte deren Bürgermeister Reinhold Weber um Investoren geworben und dafür, dass ein neues Gewerbegebiet für die Umsiedlung der am Ort ansässigen Lebensmittelmärkte entsteht – mit einer gleichguten Erreichbarkeit für motorisierte Kunden und solche die zu Fuß unterwegs sind oder mit dem Bus kommen.
Am Ende bleibt diese Erkenntnis: Wer auf einer Landkommune lebt, dazu noch nicht unbedingt im Hauptort, hat auch heute noch das Nachsehen. Ohne Auto geht zumindest auf dem Lande nichts – auch wenn es nur darum geht, mal eben frische Brötchen zum Frühstück haben zu wollen. Nur heute muss man zum Brötchenpreis, der sich energiekostenbedingt ebenfalls erhöht hat, dann auch noch die eigenen Spritkosten aufrechnen, die inzwischen eine ernstzunehmende Kostengröße auch für jeden durchschnittlichen Privathaushalt geworden sind.
INFO: Wer die komplette Perspektive des NABU Deutschland zur Versorgungslage am Beispiel Mittelhessen lesen will, der klicke hier.
Harald M meint
Dieser Bericht ist plausibel- aber:
Bei uns kurven viele den lieben langen Tag jeden Meter – auch innerorts – herum, die Kinder werden zur Bushaltestelle und zum Kindergarten, zum Bahnhof gefahren. Rollender Brötchenverkehr allerorten – und wenn es nur 2–3 Querstraßen sind, die zurückgelegt werden. „Ist der Weg länger als wie der Karrn, wird gefarrn“ – so ein Österreicher zu diesem Thema.
Die Autos sehen zunehmend wie Schwimmpanzer aus und sind gewaltig groß geworden- meistens sitzt nur eine Person darin.
Von einem „Sparzwang“ kann ich hier nichts feststellen!
Helga meint
Hallo, also ich kaufe Lebensmittel bequem online. z.b. http://www.preiscrasher.de liefert mich direkt und kostenlos an. Gruß Helga
Christoph von Gallera meint
Danke für den Kommentar.
Online kaufen ist sicher eine Alternative. Setzt aber Internetanschluss und das Wissen voraus, wie man es macht. Außerdem geht dies mit Frischeprodukten nicht ohne weiteres.
Christoph v. Gallera