„Nö, hier war bisher eigentlich alles ruhig. Heute morgen gab es nur die Proteste als Merkel und Gauck kamen, so wie jetzt auch“, sagt der Bereitschaftspolizist an diesem 3. Oktober 2016 in Dresden. Er ist aus dem alten Westen. Lich ist ihm ein Begriff. Die Ortsnamen rund um Dresden, so berühmt sie aus der Geschichte auch sein mögen, eher nicht. Er ist einer von rund 3000 Polizisten, die an diesem langen Wochenende in der sächsischen Landeshauptstadt Dienst schieben. Ein Vergnügen sei es „bei diesem Regen“ nicht unbedingt.
Es ist überraschend leer an diesem Sonntag. Denn eigentlich hatten Dresden und das Land Sachsen mit mehr gerechnet, die kommen wollten. Zwischen 700- und 800000 habe man erwartet, erfahren wir. Stattdessen kommen rund 300000 weniger nach Dresden.
Scharfschützen auf Semperoper
Der Regen sorgt mit platschenden Tropen oder ungemütlich zwischen jede Ritze kriechend für die meteorologische Abschreckung, Scharfschützen postiert auf den Dächern der Semperoper signalisieren eine andere Gefahr, die befürchtet wird: Die vor Anschlägen. Die allerdings gibt es nicht, sieht man von drei zur Schrottreife verbrannten Polizeiautos in der Nacht zum Montag ab.
Sonst bleibt es tatsächlich ruhig – mit viel Platz zum Vorbeiflanieren an Bau- und Ausstellungszelten und Barrikaden. Selbst das Lutherdenkmal vor der Frauenkirche ist eingezäunt.
Verkehrsmuseum lädt ein
Nicht eingezäunt ist dagegen das in direkter Nähe liegende Verkehrsmuseum. Das lädt buchstäblich ein zum Tag der offenen Tür. Freier Eintritt, dort, wo sonst als Regeleintritt neun Euro pro Nase fällig werden.
Aber obwohl es regnet und deswegen Festbesucher das Museum als willkommene Alternative zum Im-Regen-stehen nutzen könnten: In dem ehemaligen Marstall wird neben den regulären Dauerausstellungen gerade eine zum Tag und zum Thema passende Geschichte erzählt, die von Flüchtlingen. Von Hugenotten und Donauschwaben bis hin zu denen, die aus der DDR mit Ballons in den Westen flohen und denen, die heute unter anderem mit Booten übers Mittelmeer fliehen.
Im seltsamen Kontrast dazu Trillerpfeifenkonzerte und „Wir sind das Volk“-Rufe. Es ist nicht ganz klar, ob diese Rufe gerade von draußen hereinschallen oder von der Tondokumentation der „friedlichen Revolution“ von 1989 kommen, an deren Ende das Ende der DDR und der Beitritt 1990 zur Bundesrepublik standen.
„Sie fahren am besten bis zum Nürnberger Ei und dann mit der S‑Bahn nach Dresden Innenstadt rein. Heute wird alles dicht sein, Parkplätze Mangelware“ empfiehlt unsere Vermieterin. Sie ist selber Dresdnerin. Unsere Unterkunft, die wir dank Air BnB für einen buchstäblichen Appel und nen Ei bekommen haben, liegt in Hartha – ein Ortsteil von Tharandt. Im Süden von Dresden.
Dort feiern sie gerade noch ihr 800-jähriges Bestehen, die Tharandter. Und anlässlich des 200-jährigen Bestehens der dortigen Fakultät für Forstwissenschaften als 1816 eingerichtete Königlich-Sächsische Forstakademie sind die Feierlichkeiten zu einem anderen Datum, nämlich des 3. Oktobers in gefühlter weiter Ferne. Der Besuch des Forstbotanischen Gartens wird angeboten. Einen Grund, an diesem Tag nach Dresden zu fahren gibt es dennoch, für unsere Vermieterin: Sie möchte den Auftritt von Karat erleben. Sie spielen an diesem 3. Oktober am Abend ihren Kulthit „Über sieben Brücken musst Du gehen“.
Zum Brücken überschreiten wird viel eingeladen an diesem Tag. Das Lied von Karat hat immer noch seine Gültigkeit. Die „Merkel-Muss-Weg-Rufer“ auf dem Neumarkt und vor Semperoper und Zwinger stehen im seltsamen Kontrast zu dem Karat-Lied. Viele von denen, die jetzt rufen und trillern, sind Enttäuschte oder sehen sich getäuscht. Die „Grenze-Dicht“-Aufkleber, irgendwo dazwischen gemogelt auf der Phalanx der Logoaufdrucke der offiziellen Unterstützer und Partner des Nationalfeiertags auf einem Infoplakat stehen genauso im seltsamen Kontrast zu dem Bild, das Dresden mit den Jahren als weltoffene Stadt immer mehr vermittelt wie es die Rufe dieser Wütenden tun.
Auf der anderen Seite des Meinungspektrums stehen die Stimmen aus dem Lager der Antifa. Sie rufen schon Tage und Wochen vorher unter dem Dach von „Solidarity without limits“ dazu auf, die Einheitsfeiern richtig „crashen“ zu lassen…
Ein anderer Bereitschaftspolizist kommentiert die wütenden Rufe mit einem Vergleich: „Was hier die Rechten sind, sind etwa in Marburg oder Gießen die Linken. Es wird wohl immer welche geben, denen man es nicht recht machen kann.“ Wirkliche Gefahr empfindet der Polizist nicht.
Dennoch stehen seine Kollegen mit Scharfschützengewehr und absuchenden Ferngläsern auf dem Dach der Semperoper auch hier im Kontrast zur ausgestrahlten Ruhe.
Am Abend auf der Rückfahrt berichten die Kollegen der Funkmedien in den verschiedenen Sendern von der Bestürzung der Politiker über die Pöbeleien der Wütenden. Erst ist von tausenden die Rede, die außerhalb der Dresdener Altstadt aufeinandergestoßen seien. Die Zahl schrumpft bis zu den Tagesthemen auf einige hundert.
Und anderntags stellt Bundestagspräsident Norbert Lammert die Frage, wie es sein könne, dass sich den wenigen wütenden Hundert nicht die große Mehrheit der gemäßigten in den Weg gestellt habe. Die Kollegen von Epoch Times zitieren Claudia Roth, die nach ihren aktuellen Dresden-Erlebnissen quasi ein Dauererziehungsprogramm gegen Hass und für Demokratie in Sachsen und der Landeshauptstadt fordert. Dabei setzt Dresden augenscheinlich alle Hebel in Bewegung, um eben gegen diese Stimmung anzugehen. Zum ersten Mal wird in diesem Jahr im Dezember ein Integrationspreis verliehen. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert und soll die belohnen, die sich besonders für die Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen, generell von Ausländern einsetzen, die nach Dresden gekommen sind.….
Schreibe einen Kommentar