Dem griechischen Philosophen Heraklit wird der Satz zugesprochen: Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Kritiker des Satzes meinen, die sei falsch übersetzt. Es müsse „Konflikt“ heißen . In Marburg laufen oder besser, liefen Krieg und Konflikt für eine Weile dicht zusammen. Von der Naivität der Forscher sprach der SPIEGEL. Die gezielte Nachfrage zumindest bei der Uni Marburg bringt etwas anderes an Tageslicht: So naiv war man nicht. Und sie brachte noch etwas anderes zutage: Zweifel an der Einschätzung so mancher Snowden-Fakten als wirklich brisant. Denn die meisten Informationen rund um die Zusammenarbeit zwischen der Uni Marburg und der US-Airforce sind frei verfügbar. Man muss sie nur suchen.
Am Montag schlug die Nachricht wie die sprichwörtliche Bombe ein: 22 Universitäten in Deutschland sollen seit Jahren sich ihre Forschung vom Pentagon haben bezahlen lassen. Das hatte der NDR am 24. November in einer Pressemitteilung erklärt . Anderntags wogte die Meldung quer durch die Republik. Der Spiegel titelte mit der Naivität der deutschen Forscher, die sich vom US-Militär sponsern lassen. Als Beispiel wurde direkt die Philippsuniversität in Marburg genannt. Dort allerdings ist alles andere zu finden als Naivität. Ob sich das Projekt mit dem Selbstverständnis der Universität als Zentrum für Konfliktforschung verträgt, ist in diesem Zusammenhang eine spezielle „Marburg-Frage.“ Das jedenfalls wiederum ist das Ergebnis von Nachfragen des Mittelhessenblog bei der Uni Marburg. In einer ersten Stellungnahme hatte die Uni Marburg am 26. November geantwortet. In einer zweiten am 29. November. Am 26. heißt es:
Bei dem Projekt „Nocturnal Visual Orientation in Flying Insects“ handelt es sich um ein Projekt der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Uwe Homberg (Tierphysiologie, Neurobiologie & Ethologie). Projektpartner war das European Office of Aerospace Research & Development mit Sitz in London. Während der Projektlaufzeit 2008–2011 fertigte die Arbeitsgruppe eine Laborstudie zur nächtlichen Orientierung von Wüstenheuschrecken an. Die normalerweise in Schwärmen vorkommende, tagaktive Spezies ist unter bestimmten Umständen auch nachts und dann solitär aktiv. Die Orientierung erfolgt bei den Tagflügen vermutlich anhand des Himmelspolarisationsmusters. Die Vermutung, dass die nachts fliegenden Tiere ein wesentlich empfindlicheres Sehsystem hätten als die tags fliegenden, konnte von der Forschergruppe nicht bestätigt werden. Es ist also immer noch unklar, wie sich die Tiere nachts orientieren. Während der Projektlaufzeit wurden in halbjährlichem Turnus Berichte beim Drittmittelgeber vorgelegt. Die Forschungsergebnisse wurden der scientific community in einer Veröffentlichung zugänglich gemacht: el Jundi B, Homberg U (2012) Receptive field properties and intensity-response functions of polarization-sensitive neurons of the optic tubercle in gregarious and solitarious locusts. J. Neurophysiol. 108:1695–1710. 2.)
Mit anderen Worten: Das Forschungsprojekt lief ins Leere, brachte nicht die erhofften oder gewünschten Ergebnisse. Laut Uni wurden im Halbjahresabstand Projektberichte vorgelegt. Eben dem European Office of Aerospace Research & Development (EOARD) in London. Dem ahnungslosen Laien, der nun auf die Idee kommt, bei dieser Einrichtung handele es sich vielleicht um eine europäische Institution, die eben wie viele andere auch mit den US-Amerikanern zusammenarbeite, mithin also zumindest Europa irgendwie als Kontrollinstanz noch die Finger mit im Spiel hat, sei dies erklärt: Das EOARD hat noch zwei Schwestern: eine in Chile, Südamerika, die SOARD und eine andere in Tokio, Japan, die AOARD. Und alle drei sind in der Tat nur eines: Die jeweiligen Schnittstellen der US-Airforce für den europäisch-afrikanischen Raum, für den asiatisch-pazifischen Raum und Südamerika. Kanada wird direkt über die Zentrale in Arlington erreicht
Ein Blick hinter die Kulissen lohnt sich. Denn dann wird, zumindest an Hand der offen zugänglichen Teile der militärischen Internetangebote, eines deutlich: „Liebe Verbündete, was regt Ihr Euch eigentlich auf? Wir stellen doch offen dar, wo wir welche Gelder fließen lassen.“
Wer sich die Mühe macht und etwa in usaspending.gov zu suchen beginnt, wird schnell erfahren, dass zum Beispiel die Gelder, die nach Marburg geflossen sind, wesentlich geringer als etwa nach Lund, dem zweiten europäischen Partner des Forschungsprojektes. Denn neben dem Marburger Wissenschaftler Professor Uwe Homberg war auch Eric J. Warrant vom „Department of Cell & Organism Biology“ der Universität Lund in Schweden beteiligt. Dritter, außereuropäischer, Partner war Dr. Friedrich Stange von der „Visual Sciences Research School of Biological Sciences“ der australischen Nationaluniversität in Canberra.
Das EOARD, das SOARD und das AORD werden von einer Einrichtung des US-Militärs in Arlington geleitet. Dem Air Force Office of Scientific Research Laboratory, kurz AFOSR. Das AFOSR selbst wieder ist Teil des Air Force Research Laboratory. Dessen Sitz ist im US-Bundesstaat Ohio.
Was hier in Deutschland eher mit spitzen Fingern angefasst zu werden scheint, ist in den USA ein gut wahrnehmbarer Teil des öffentlichen Lebens. Das AFOSR wirbt auf seiner Internetseite außer mit den einschlägigen Socialmedia-Kanälen auch offensiv um Unterstützung. Sprich gemäß dem John F. Kennedy zugesprochenen Satz: „Frag nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern, was Du für Dein Land tun kannst“, wird jeder US-Bürger eingeladen, sich an der Unterstützung der Arbeit des AFOSR zu beteiligen. Unter anderem mit Geldspenden, Grants. Von der Website des AFOSR leitet direkt ein Link weiter zu der Seite Grants.Gov. Diese Website soll generell einladen: Menschen, Institutionen, die unterstützen wollen und solche, die Unterstützung suchen. Und um die Community der Unterstützer zusammenzuhalten, werden gleich verschiedene Kanäle abgezweigt. Zur US-Verwaltung, zum Weißen Haus und eben zu der Datenbank, in der die Informationen stehen, die hier in Deutschland vom NDR und der SZ als großer Wurf vermarktet werden. Dabei sind zumindest diese Informationen, dass vom US-Verteidigungsministerium Gelder in Forschungsprojekte wie in Deutschland an Universitäten und Einrichtungen wie etwa Fraunhofer fließen, etwas, was dort offener gehandelt wird ‑als eben in Deutschland. Das wirkt zumindest kurios. Kurios wirkt indes auch die Einschätzung des Spiegels, dass deutsche Wissenschaftler nicht wüssten, von welcher Seite das Geld für ihre Forschungen kommt oder wofür ihre Erkenntnisse verwendet werden könnten. Denn der Marburger Neurobiologe Homberg antwortet auf die Frage nach Motiven und ob ihm von Anfang klar gewesen, von wem die Unterstützung kommt, so:
Ich habe natürlich gewusst, woher die Gelder stammen, denn ich habe diese Mittel zusammen mit Kollegen der Universität Lund (Schweden) und Canberra (Australien) beantragt. Anreiz für den Antrag war die Aussicht, hier mit international renommierten Arbeitsgruppen in Schweden und Australien zu kooperieren und uns hierbei auch intensiv gegenseitig auszutauschen.
Sein Engagement als Gastprofessor in den USA verschweigt Homberg ebenfalls nicht. Zwar nicht direkt auf den Seiten der Uni Marburg. Dafür legt er dies in seinem Profil in der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft offen. Die Veröffentlichung, die der Abschluss seiner Forschungsarbeit für das von der US-Airforce gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt war, wird dort allerdings nicht aufgeführt, sondern taucht auf seiner Seite im Internetangebot der Uni Marburg auf. Allerdings in der zivilen Variante, aus der im Titel erst einmal nicht hervorgeht, dass es sich um Grundlagenforschung mit dem Ziel der militärischen Weiterverwendung handelt. Der Hinweis, dass es sich um ein von der DFG und der US-Airforce gemeinsam gefördertes Forschungsprojekt handelt, ergibt sich aus diesen Zeilen im Abspann der Veröffentlichung:
This work was supported by Deutsche Forschungsgemeinschaft Grant HO 950/16–2. Parts of the effort were sponsored by the Air Force Office of Scientific Research, Air Force Material Command, United States Air Force, under Grant FA8655-08–1‑3021
Der eigentliche grundlegende Abschlussbericht für die Forschungsabteilung der US-Airforce war dagegen bereits im März 2011 veröffentlicht worden. Das australische Projekt, das vom AOARD in Tokio betreut wurde, wurde ebenfalls im März 2011 den Sponsoren vorgelegt. In beiden Fällen war der militärische Bezug bereits im Titel zu erkennen:
Nocturnal Visual Orientation in Flying Insects: A Benchmark for the Design of Vision-based Sensors in Micro-Aerial Vehicles. Der Titel der zivilen Publikation dagegen lässt nichts von dieser Zielsetzung erkennen.
Receptive field properties and intensity-response functions of polarization-sensitive neurons of the optic tubercle in gregarious and solitarious locusts
Wusste die Universität von dem Forschungsprojekt und dem militärischen Förderpartner? Danach gefragt, heißt es :
Das Grundgesetz gewährt Forschern ein hohes Maß an Unabhängigkeit. Die Ergebnisse der Forschung fast aller Wissenschaftsdisziplinen können sowohl für friedliche wie auch militärische Zwecke verwendet werden (Dual Use). Aufgrund der klar militärisch ausgerichteten Erwartungen seitens des Mittelgebers hätte die Präsidentin der Philipps-Universität, Prof. Dr. Katharina Krause trotz der unzweifelhaften Ausrichtung auf Grundlagenforschung dringend davon abgeraten, das Projekt zu verfolgen; sie würde dies auch in ähnlich gelagerten Fällen tun. Generell kann Forschung für militärische Zwecke auch auf der Basis des Grundgesetzes und unter Beachtung völkerrechtlicher Grundsätze legitim sein.
Die Antwort der Universität ist grundsätzlich richtig. Nur, und deswegen wird das Forschungsprojekt Hombergs zu einem Marburger Fall ganz eigener Güte: Die Marburger Philippsuniversität ist der Sitz des Zentrums für Konfliktforschung und der Ort, an dem einer der am höchsten dotierten Preise für sozialwissenschaftliche Arbeiten in Deutschland zuhause ist: Der Peter-Becker-Preis. Verliehen wird dieser Preis für Friedens- und Konfliktforschung jedes zweite Jahr. In diesem Jahr war es wieder soweit. Auch ansonsten ist die Marburger Universität nicht unbedingt für die Nähe zum Militär bekannt. Zumindest bisher nicht. Ob denn nun die Marburger Uni angesichts des eigenen Profils über eventuelle Folgen nachdenkt? Grundsätzlich nicht, lautet die Antwort. Vielleicht wäre die Einrichtung einer Ethikkommission, wie sie aus der Medizin bekannt ist, eine mögliche Konsequenz. Denn genau eine solche Stelle gibt es in Marburg bisher nicht. Auch das eine Antwort der Uni Marburg.
Zivil-militärisches Forschungsnetzwerk
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