Mittelhessen steht einmal mehr im Rampenlicht. Diesmal nicht mit Pilotprojekten zur Bioenergie, in der Telemedizin oder der Breitbandvernetzung ländlicher Räume, sondern beim Kampf um Lohngerechtigkeit – besser gesagt, beim Kampf um verfassungsgemäße Gehälter für Professoren. Die Karlsruher Richter gaben dem Marburger Hochschullehrer Bernhard Roling Recht, dass er verglichen mit seinen Anstrengungen um eine qualifizierte akademische Bildung, seiner Verantwortung für Lehre und Forschung und dem in der Öffentlichkeit mit dem Amt verbundenen Ansehen einfach zu wenig verdiene, so sehr, dass dadurch das Grundgesetz verletzt wird. Das Urteil, so die Einschätzung, ist nicht nur ein Signal für Hessen, sondern gleich für alle jungen Hochschullehrer, noch mehr überhaupt für das Beamtentum.
Über das Urteil an sich haben, kaum das es gesprochen war, bereits Nachrichtenagenturen einschließlich der Leitmedien und Tageszeitungen berichtet. So richtungsweisend das Urteil sein mag, interessant ist genauso, wer der Mensch ist, der Wissenschaftler, der sich neben seiner Hochschularbeit noch den Gang vor Gericht aufgeladen hatte. Interessant ist auch, wo sich das Land Hessen selber denn sieht, der nun als knausriger Verfassungsbrecher abgestrafte Dienstherr. Die Mittelhessenblog-Redaktion hat um die Ecke geguckt und dabei einen Querschnitt aus im Netz verfügbaren Informationen erstellt.
Was war geschehen? Ein junger Chemieprofessor, Jahrgang 1965, hatte in Marburg 2005 eine Stelle als so genannter W‑Professor angetreten. Und bald gemerkt, dass er nach seiner Auffassung zu wenig für die geleistete Arbeit und von ihm erwartete Arbeit bekam. Roling zog vor das Verwaltungsgericht in Gießen und das winkte 2011 den ganzen Fall zur Vorlage nach Karlsruhe durch. Dort kam es, was in derlei Fällen höchst selten der Fall ist, zu einer öffentlichen Verhandlung und am 14. Februar zum Urteilsspruch.
Genau zehn Jahre vor dem Antritt seiner Professorenstelle gehörte Prof.Dr. Bernhard Roling, damals noch als frischer Dr. Bernhard Roling zu den besten 76 jungen Wissenschaftlern, die am 6. Dezember 1995 für ihre hervorragenden Leistungen in ihren Doktorarbeiten an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ausgezeichnet worden waren. Damals war Roling rund 30 Jahre alt und hatte bereits eine intensive Zeit des Lernens und Forschens hinter sich gebracht. In den folgenden Jahren war Roling dann als Privatdozent an der Universität beschäftigt. Noch drei Jahre, bevor er die Professorenstelle an der Philipps-Universität in Marburg antrat, belegt eine Dissertation, dass Roling anderen Kollegen bei der Erlangung des Doktorgrades mit Rat und Tat zur Seite steht. Dass Roling keineswegs den Typus eines der „faulen Säcke“ bediente, mit dem EX-Bundeskanzler Gerhard Schröder Lehrer aufs Korn nahm, belegen unter anderem Veröffentlichungen über Forschungsergebnisse in der Zeitschrift für Physikalische Chemie . Vor kurzem erst machte seine Arbeitsgruppe mit der Entwicklung einer elektrochemischen Mikromesszelle von sich reden. Diese Zelle kann sehr niedrige Elektrolytmengen messen und deswegen, so die Einschätzung im schweizerischen Bulletin Online, eine mögliche Batterie der Zukunft sein. Das Bulletin ist die Fach- und Verbandspublikation von Electrosuisse und VSE . Einen Eindruck seiner Arbeit vermittelt auch ein Videobeitrag, in dem Roling die Geschichte Ionischer Flüssigkeiten erläutert.
Folge 35 – Die Geschichte der ionischen Flüssigkeiten from Chymiatrie on Vimeo.
Mit anderen Worten: Roling tritt damit einmal mehr den Beweis an, dass er seinem Dienstherrn, dem Land Hessen, durchaus nicht auf der Tasche herumliegen will, sondern für das Geld, das ihm von Rechts wegen zusteht, etwas leisten will. Und sofern man der Botschaft Glauben schenken will, sieht Hessen sich ja durchaus in Deutschland als eines der wohlhabenden Länder, geht es etwa um Fragen des Länderfinanzausgleichs. Zudem sieht sich Hessen selber als eine der stärksten Wirtschaftsregionen Europas und letzlich als Deutschlands Motor der Wirtschaft. So jedenfalls beschreibt Dr. Wolf Klinz auf seiner Website seine hessische Heimat. Nicht als eingefleischter Lokalpatriot, sondern als Mitglied des Europäischen Parlaments. Klinz ist Freidemokrat. Eigentlich, so sollte man meinen, hätte dies ausreichen müssen, jungen Wissenschaftlern, die ihr Wissen im Hochschuldienst an die weitergeben und vermitteln wollen, genügend finanzielle Anreize durch ein angemessenes Professorengehalt im Sinne der Verfassung zu geben. Tat es aber anscheinend nicht. Das passt ebensowenig ins Bild wie der Protestschrei, der 2010 durch das Bundesland ging, vorangetrieben unter anderem wieder durch Mittelhessen. Was Professoren,Lehrer Schüler und Studenten damals auf die Barrikaden steigen ließ: Die angekündigte Kürzung von 34 Millionen Euro im Bildungsbereich.
Marcel D. meint
Ein wesentlicher Punkt in Ihrem Artikel muss korrigiert werden, da ansonsten dem Leser falsche Tatsachen vermittelt werden. Es handelt sich bei der Mikromesszelle nicht um eine Batterie. Vielmehr kann mit Hilfe der Mikromesszelle und eines geeigneten Impedanz-Messgerätes u.a. die Ionen-Leitfähigkeit von potentiellen Batterie-Elektrolyten temperaturabhängig gemessen werden.
In dem Artikel der Oberhessischen Presse heißt es schließlich richtig: „Marburger Wissenschaftler entwickeln elektrochemische Mikromesszelle für [!] die Batterie der Zukunft“ (Quelle: http://www.op-marburg.de/Lokales/Wirtschaft/Wirtschaft-lokal/Kleine-Messzelle-mit-grosser-Wirkung). Ihre Quelle, die schweizerische Bulletin Online, hat hier wohl ganz im Stile des Spiels „stille Post“ aus dem „für die Batterie“ eher ein „als Batterie“ gemacht.
Christoph von Gallera meint
Lieber Marcel D. (der Name ist der MHB-Redaktion bekannt),
herzlichen Dank für den Hinweis. Da es sich bei der schweizerischen Bulletin Online um ein Fachmedium der Elektrobranche handelt, der am 2. Februar 2012 online gestellte Artikel mit dem direkten Hinweis auf die Arbeitsgruppe von Professor Roling bislang auch nicht kommentiert wurde, war davon auszugehen, dass dieser Artikel sachlich richtig ist. Im vorliegenden MHB-Artikel stellt der Hinweis auf die Mikromesszelle aber nur ein Zusatzdetail dar, sollte aber sicher auch richtig sein. Auf welchem Weg die schweizerischen Kollegen an ihre Information gelangt sind, liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor. Sobald die Resultate vorliegen, lassen sich die Unterschiede zwischen der Darstellung in der OP und denen der schweizerischen Redaktore sicherlich aufklären.
Christoph v. Gallera – Redaktion Mittelhessenblog
Toni Reuter meint
Sehr interessanter Artikel! Schon verrückt was heute alles so gerichtlich möglich ist!
Ein gutes neues Jahr!
Grüße
Toni Reuter