Vor zehn Jahren hatte sein Buch „Lob der Disziplin“ noch die Nation gespalten. Zumindest in der Uniaula in Gießen war am Ende eines gut einstündigen Vortrags davon nichts zu spüren. Dafür gab es mehr als nur Höflichkeitsapplaus und nur wenige Fragen. Etwas mehr als 100 Lehrer, Eltern und Schülern waren gekommen, um zu hören, was Dr. Bernhard Bueb, langjähriger Leiter des Bodenseeinternats Salem, zum „Lob der Diszplin“ zu sagen hatte.
Akademisches Lernen oder vorwiegend Lernen durch Erfahrung? In Deutschland, so Bueb, herrsche das „akademische Lernen“ vor. Schule sei ein Ort, den man eher weniger mit Vergnügen und Spaß in Verbindung bringen. Ganz anders dagegen in den USA. Dort würden sich Erwachsene noch lange an ihre Schulzeit als etwas Positives erinnern.
Zwar räumte Bueb durchaus auch die bekannten Defizite des us-amerikanischen Schulsystems ein. Allerdings ging es ihm in Gießen mehr um die unterschiedliche Auffassung des Wortes „Bildung“.
Was hierzulande in den „Bildungsauftrag der Schule“ und das elterliche Erziehen zerfalle, bedeute im angelsächsischen Sprachraum ein- und dasselbe: „Education“. Dies sei eine ganzheitliche Betrachtung.
Im Kern gehe es darum, Erfahrung zu sammeln. Der ehemalige Internatsleiter nannte noch einen anderen Unterschied zwischen angelsächsischen und kontinentalen bzw.deutschen Lernauffassungen: In Deutschland diene der Sportunterricht vor allem der „körperlichen Ertüchtigung“, Turnen an Reck und Barren seien etwa in der Regel Sportarten, in denen der Einzelne gefordert sei. Dagegen stünden im angelsächsischen Raum Mannschaftssportarten hoch im Kurs. Dort gehe es mehr darum, durch das Zusammenspiel den Charakter zu festigen.
Zentrales Element seines Vortrags zur Untermauerung des Nutzens von Disziplin, besser von Selbstdisziplin, waren immer wieder Beispiele aus seiner Zeit als Internatsleiter. Bueb, der in seiner beruflichen Laufbahn eher durch Reformpädagogen wie Hartmut von Hentig geprägt worden war, bei dem er als Assistent an der Uni Bielefeld gearbeitet hatte, war vor allem durch die Einführung von Urin- und Alkoholtests in Salem in seiner Zeit als Leiter überregional in die Schlagzeilen geraten. Also durch eine Maßnahme, die auf Außenstehende als drakonisches Vorgehen, jenseits jeder in Deutschland üblichen aktuellen Pädagogikansätze wirken musste, insbesondere als krasser Gegensatz zu jeder Reformpädagogik. Allerdings, so Bueb, seien mit der Einführung dieser Tests, um Drogenmissbrauch nachzuweisen, schlagartig Unzufriedenheit und das Gefühl von Ungerechtigkeit unter den Schülern selber verschwunden.
Strafen, als Androhung eines Übels, bezeichnete Bueb als notwendiges Werkzeug. Man sollte sie auch durchaus so nennen und nicht abmildernd als „Konsequenzen“ bezeichnen. Sie seien nötig, um gesellschaftliches Funktionieren zu gewährleisten. „Es ist wie mit den Strafen, die bei zu schnellem Fahren oder Steuerhinterziehung drohen“, sagte er in Gießen, hatte damit die Lacher auf seiner Seite. Buen erklärte, dass Strafen am Ende in Salem dann doch auch wieder einen Erkenntnisgewinn für den betroffenen Schüler hätten. So gehörte während seiner Amtszeit etwa auch der einwöchige Einsatz in einem Bauernhof zum Strafarsenal. Von diesen Strafeinsätzen seien die Schüler häufig mit einem erweiterten Wissensschatz für ihren eigenen weiteren Werdegang zurückgekehrt.
Bueb brachte auch Beispiele, um zu belegen, dass Schüler, letztlich überhaupt junge Menschen, sich eher besser entwickelten, wenn sie frühzeitig mit der Erledigung von Pflichten für die Gemeinschaft betraut würden. „In Salem ist man nie Passagier sondern immer Teil der Mannschaft“, fasste er dies zusammen. So sei es Brauch, dass die Internatsschüler auch Mitglieder bei der schuleigenen Werksfeuerwehr würden und auch zu Einsätzen in Katastrophenfällen geschickt würden.
In Buebs Amtszeit fiel das Flugzeugunglück von 2002, als eine russische Tupolew in 11 Kilometern Höhe über dem Bodensee mit einem DHL-Frachtflieger kollidierte und dabei alle Passagiere und Piloten der beiden Flugzeuge starben. Die Salemer Schüler hätten vorwiegend bei der Absicherung der Unfallstelle geholfen. Auch in der jüngeren Vergangenheit, beim Elbehochwasser von 2013, halfen Salemschüler in der Überlinger Partnerstadt Bad Schandau.
Ebenso würden die Schüler auch dazu angehalten, ihr Miteinander selber zu regeln – etwa als „Essenskapitäne“ in der schuleigenen Mensa oder schulinternen Gerichten, um über Vergehen von Mitschülern zu beraten. „Natürlich liegt die endgültige Entscheidung bei der Schulleitung“, sagte Bueb. Aber auf diese Weise würden die Schülern lernen, sich selber in die Pflicht zu nehmen. Das sei ein Teil der Selbstdiszplin, die ihnen dann später helfe, die Herausforderung in ihrem eigenen Leben zu meistern. Der Essenskapitän wache über das Tischbenehmen seiner Mitschüler. Wer gegen die Regeln verstoße, müsse in der Küche helfen. „Natürlich hofft das Küchenpersonal darauf, dass dann doch einige gegen die Regeln verstoßen“, sorgte Bueb für weitere Lacher.
Für Lehrer, die in Schloss Salem arbeiten, sehe der Arbeitsalltag deswegen anders als an vielen anderen Schulen aus: Sie sind gleichzeitig Lehrer und Erzieher. Und das wiederum sei mit besonderen Ansprüchen auch an das eigene Familienleben verbunden. Fünf Jahre dauere etwas der Einsatz als so genannter Mentor. In dieser Zeit sei der Lehrer nicht nur Lehrer sondern zentraler Ansprechpartner für die ihm anvertrauten Schülern.
„Was hat das eigentlich für Sie persönlich bedeutet. Kam es da nicht zur Eifersucht in der eigenen Familie“, wollte Karina Fricke wissen. Die Lehrerin der Herderschule hatte Bueb im Auftrag des Veranstalternetzwerks nach Gießen eingeladen. Bueb räumte ein, dass dieser intensive Einsatz natürlich bei den eigenen Kindern durchaus das Gefühl auslösen könnte, selber plötzlich eine Nebenrolle zu spielen, vor allem dann, wenn ein Mentor seine Schützlinge dann in sein eigenes privates Zuhause lasse. „Deswegen begrenzen wir die Mentorenzeit und ziehen, wenn es Probleme deswegen in der Familie des Lehrers gibt, die Notbremse“, erklärte Bueb.
Buebs Vortrag in Gießen war Teil einer Veranstaltungsreihe zu unterschiedlichen Sichtweisen darauf, wie Lernen gelingen kann, die im November 2015 begonnen hatte und noch bis zum 11. Mai dauert.
Träger sind das staatliche Schulamt Gießen/Vogelsberg , die Aliceschule Gießen, die Gesamtschulen Gießen-Ost und Ricarda-Huch-Schule, die Gymnasien Herder- und Liebigschule und das Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Gießen. Als Gastgeber hatte ihn Herderschulleiter Stefan Tross begrüßt. Bueb gab den anwesenden Lehrern zum Schluss mit auf den Weg, ihre Freiheit als Beamten dafür zu nutzen, sich zum Wohle ihrer Schüler einzusetzen. „Sie ahnen gar nicht, welche sichere Position Sie gerade dafür als Beamter haben.“
Bueb hatte seinen Besuch auch dafür genutzt, auch für das Konzept der Ganztagsschule zu werben. Allerdings nicht für eine, in der von morgens bis abends gelernt wird, sondern eine, in der außer Unterricht auch Hausaufgaben erledigt werden oder Schüler gemeinsam mit Lehrern oder auch untereinander gemeinsame Projekte miteinander veranstalten.
Ein Blick in die diversen Schulprofile, gerade der beteiligten Gießener Schulen dieser Veranstaltungsreihe, zeigt, dass hier schon einiges auf den Weg gebracht wurde.
clash royale cheats meint
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