Wenige Monate vor der Bundestagswahl macht sich nun mit der „Alternative für Deutschland“ eine neue Gruppierung auf den Weg, die Euro-Skeptikern und Euro-Rettungsgegnern eine politische Heimat geben will. Sie hat schnell auch namhafte Unterstützer in der mittelhessischen Region gewonnen. Ihre politischen Gegner sind im Grunde alle etablierten politischen Parteien. Das Mittelhessenblog hat „zwischen die Zeilen“ geguckt. Offiziell ist dieser Zusammenschluss als Wahlalternative 2013 seit 4. September 2012 im Internet.
Am Euro scheiden sich die Geister. Für die einen ist er das Symbol für die europäische Einheit (auch wenn nicht alle Länder der EU dazugehören), für die anderen ist er oder besser die Politik, ihn zu retten, der Grund eine Alternative zu finden. Es ist aber auf jeden Fall ein Streit von Wirtschaftsexperten und Unternehmern. Dieser Streit zielt bis in die mittelhessische Region. Insbesondere innerhalb der FDP kam es zu Debatten mit Dr. Hermann Otto Solms aus Gießen auf der einen Seite und Kritikern um Jörg Behlen aus Marburg-Biedenkopf auf der anderen Seite. Einfache Unterstützer der neuen „Alternative für Deutschland“ kommen aus den Landkreisen Gießen, Vogelsberg, Marburg-Biedenkopf , Lahn-Dill bisher. Diese neue Gruppe hat ihre Entstehung im wesentlichem dem Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Professor Bernd Lucke zu verdanken. Wir werfen einen Blick unter die Motorhaube, und werfen außer auf die Gründer auch ein Licht auf die mittelhessische Prominenz, die zu den Mitgründern gehört. Denn anders als andere Gruppierung, die in den letzten Jahren im konservativen Lager entstanden sind, wird vermutet, dass aufgrund der Beteiligung auch regional bekannter Köpfe diese Anti-Euro-Gruppe den etablierten Parteien gefährlich werden könnte.
Das Rumoren über die Unzufriedenheit der verschiedenen Strategien zum Ausweg aus der europäischen Währungs- und Wirtschaftskrise hält schon lange an. Vier Jahre mindestens. Im Mittelhessenblog hatte der Frankfurter Volkswirtschaftler Paul G. Schmidt schon vor drei Jahren vor einer falschen Politik gewarnt, die Europa aber auch Deutschland noch weiter an den Abgrund führen als davor retten könnte.
Die Debatten füllen inzwischen nicht nur die Schlagzeilen der Printmedien, sondern sorgen auch für ein heftiges Grundrauschen im Internet, in den diversen Social Media, allen voran Facebook und Twitter. Das Grundrauschen und die Schlagzeilen dürften mit der Gründung der „Alternative für Deutschland“ um ein oder zwei Taktraten erhöht werden.
Der Blick unter die Motorhaube
Wenige Monate vor der Bundestagswahl am 22. September wollen Bernd Lucke, der ehemalige FAZ-Redakteur Konrad Adam und die ehemalige rechte Hand des eher ehemaligen glücklosen hessischen CDU-Ministerpräsidenten Walter Wallmann, Alexander Gauland, sein damaliger Leiter der Staatskanzlei nun eine neue Partei ins Rennen schicken, die aber erst noch gegründet werden muss. Lucke selber ist schon länger als führender Kopf und Organisator gegen eine Euro-Politik über die Köpfe der normalen Wahlbürger bekannt. So hat er auch die Gruppe Bündnis Bürgerwille und das Plenum der Ökonomen zu verantworten.
Um zu wissen, in welchem Umfeld Gauland gearbeitet hatte, sollte man folgendes kennen : Wallmann hatte als Ministerpräsident zwar damals als Chef der ersten hessischen CDU-FDP-Koalition die freie Schulwahl wieder eingeführt, geriet aber wegen eines Biblis-Störfalls, der Finanzierung privater Haus- und Gartenarbeiten aus der Staatskasse in Schwierigkeiten. Gauland war Chef der Staatskanzlei damals dafür verantwortlich, ihm den Rücken frei zu halten. Auch wenn es bei der neuen noch zu gründenden Partei zunächst um eine reine wirtschaftspolitische Dimension geht, ist ein Aspekt interessant, den Gauland ins Spiel bringt: Er beklagt den Verlust des konservativen Profils in der CDU und sieht im Krieg durchaus eine Möglichkeit, Politik mit anderen Mitteln fortzusetzen. Den Deutschen wirft er in einem Artikel im Tagesspiegel vor, wegen Hitler und Wilhelm II eine gestörte Beziehung zum Einsatz militärischer Mittel zu haben. Er veweist auf Churchill und Charles de Gaulle als positives Beispiel. Natürlich ist es so, dass in dem bisherigen Profil der „Alternative für Deutschland“ ausschließlich nur auf den parteiübergreifenden Charakter verwiesen wird. Die Liste der Unterstützer liest sich in der Tat wie eine Querschau enttäuschter Bürger quer durch alle bekannten politischen Parteien. Gewerkschaftsmitglieder sind genauo darunter wie Wissenschafter, Handwerker, Unternehmer.
Wer ist aus Mittelhessen dabei?
Mit Professor Helga Seeger-Luckenbach und Professor Derk-Hayo Reimers sind zwei jeweils ausgewiesene Experten ihres Fachs aus Gießen bei den Gründungsmitgliedern der „Alternative für Deutschland“. Was sie unterscheidet, sind der Altersunterschied und die fachliche Ausrichtung: Seeger-Luckenbach hatte bis zu ihrer Emeritierung an der Justus-Liebig-Universität Volkwirtschaft gelehrt. Einer ihrer Schwerpunkte war unter anderem internationale Handels- und Währungspolitik. Heute lehrt die 1935 geborene Wissenschaftlerin an der Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie (VWA) Gießen. Außerdem gehört sie dem Steuer- und Finanzausschuss der Industrie- und Handelskammer Gießen-Friedberg an.
Reimers ist Jahrgang 1954 und lehrt an der Technischen Hochschule Mittelhessen Wirtschaftswissenschaften. Reimers ist außerdem Auslandsbeauftragter für Australien, Frankreich. Bevor er 1996 an die damalige Fachhochschule Gießen-Friedberg kam, war er zehn Jahre in leitender Position bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau unter anderem für die Koordination der Zusammenarbeit mit der französischen Entwicklungshilfe zuständig. Mit Norbert Stenzel aus Bad Nauheim, Thomas Lupp aus Nidda und Norbert Jäger aus Lauterbach gehören drei Praktiker aus der Wirtschaft zu Gründungsmitgliedern aus dem mittelhessischen und dem Wetterauer Raum. Stenzel ist wie Luckenbach im Steuer- und Finanzausschuss der IHK Gießen-Friedberg. Der promovierte Betriebswirtschaftler ist seit 1974 Geschäftsführer der Wetterauer Lieferbeton, einem mittelständischem Betrieb der Baubranche. Mit Thomas Lupp ist ein anderer Bauunternehmer im Boot, der ebenfalls ein Unternehmen der Baubranche repräsentiert, aber eines, das sich aus dem rein regionalen Geschäft, das als Handwerksbetrieb 1910 begonnen hatte, Ende der 70er Jahre ins internationale Baugeschäft einstieg. Lupp hat sich außerdem mit der Mitgründung des gemeinnützigen Vereins „Wir Hessen helfen Haiti“ einen Namen gemacht.
Mit Norbert Jäger schließlich ist außer einem Unternehmer der Verpackungsbranche ein weiteres Mitglied der IHK Gießen-Vogelsberg bei den Gründungsmitgliedern und Hauptunterzeichnern der „Alternative für Deutschland“ mit von der Partie. Jäger ist Vorstandsvorsitzender der Duroplast AG in Lauterbach und gehört zum Regionalausschuss Vogelsberg.
Auch einer der beiden hessischen Landesbeauftragten der „Alternative für Deutschland“ kommt aus Mittelhessen. Es ist der 1963 geborene Steuerberater Stefan Milkereit aus Biebertal.
Wo bleibt die überschwengliche Begeisterung?
Was bisher an dieser Liste auffällt ist folgendes: Vor kurzem erst gab es einen Zusammenschluss zwischen dem im Landkreis Gießen und Marburg starken medizinwirtschaftlichen Netzwerk Timm, an dem über 400 Unternehmen aus dem Bio-Hightech-Bereich hängen mit rund 70 Unternehmen aus dem Lahn-Dill-Kreis mit Schwerpunkt Wetzlar, die in der optischen und elektronischen Industrie zuhause sind. Darunter so genannte Big Player wie Leitz, Schneider oder Bender. Zum Teil Schwergewichte in der internationalen Hightech-Branche. Hinzukommt, dass die Logistikbranche im Lahn-Dill-Kreis mit Fachverbänden stark vertreten ist. Der Limburg-Weilburger Raum fehlt ebenfalls. Es sei denn, man zählt Diez dazu, das aber schon zu Rheinland-Pfalz gehört.
Alternative zu Euro-Europa: Die Egorepublik Deutschland?
Den Euro-Skeptikern geht es darum, die Notbremse zu ziehen. Die Frage ist, warum, wenn die Not so groß scheint, auf den Unterstützerlisten nicht jetzt schon mehr namhafte Köpfe aus der Region erscheinen, als dies der Fall ist. Möglicherweise teilen viele Unternehmen doch die Position des ehemaligen Daimler-Chefs Edzard Reuter. Der Sohn des Adenauer-Kontrahenten Ernst Reuter und Spitzenmannes der Nachkriegs-SPD war über lange Jahre einer der mächtigsten Männer der Automobilbranche. Jetzt hat Reuter, 85-jährig, ein Buch vorgelegt, in dem er genau diese Pläne kritisiert, die die Gründer der Wahlalternative 2013 skzizzieren. Während diese einen rein finanztechnischen Ansatz haben, sagt Reuter, dass die Finanzen nicht über die Politik gestellt werden dürften, um Europa wieder auf Kurs zu bringen. Seinen Blick auf die jetzige Lage hat Reuter in seinem Buch : „Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen“ zusammengefasst, das am 14. Februar erschienen ist.
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