Das Thema Demographie ist ein Dauerbrenner. Das Thema Altenpflege inzwischen auch. In vielen Facetten. Eine dieser Facetten ist beklagter Fachkräftemangel. Dem will ein Projekt aus Mittelhessen nun Abhilfe verschaffen. Etwas zumindest. Sein Name ist „ANQUA“. Im Kreishaus von Wetzlar stellten die beteiligten Partner das Konzept vor, von dem sie hoffen, das es den Fachkräftemangel etwas reduziert. Für die Region Mittelhessen gedacht, soll es nun inzwischen sogar auf Bundesebene Aufmerksamkeit erregt haben. Die Kosten für das Projekt liegen bei rund 607000 Euro. Geht es um die Verdienstmöglichkeiten für Altenpfleger, liegen die beiden zentralen mittelhessischen Landkreise im Mittelhessenvergleich aber am Ende der Tabelle, auch im Landesdurchschnitt.
Hintergrund
Demographie heißt schlichtweg: Beschreibung der Entwicklung eines Volkes. Im engeren Sinn meinen die Politiker und mit dem Thema befasste Experten damit aber die schleichende Alterung der Bevölkerung, sprich die älteren Jahrgänge nehmen zu, ohne dass genug junge Menschen nachfolgen – in der Regel, weil zu wenig Kinder geboren werden. Neben Leerständen, der Frage, wie jüngere Generationen künftig noch die Renten der älteren mitfinanzieren sollen (Stichwort Generationenvertrag), gibt es allerdings noch ein handfestes, alltägliches Problem: Wer kümmert sich um die älteren Menschen, wenn deren eigene Verwandtschaft selber dazu nicht in der Lage oder dazu bereit ist – aus finanziellen, Platz- oder schlichtweg rein egoistischen Gründen? Oder weil im Grunde niemand da ist, weil die älter gewordenen Menschen selber keine Verwandtschaft (mehr) haben, die sich um sie kümmern könnte, wenn sie ihren Alltag nicht mehr selber in den Griff bekommen können, weil ihre körperliche Verfassung sie daran hindert? In den beiden mittelhessischen Landkreisen Gießen und Lahn-Dill würden bis 2015 wegen der demographischen Entwicklung 64 zusätzliche Altenpfleger/-innen gebraucht, hieß es nun in Wetzlar.
ANQUA soll helfen
Vor diesem Hintergrund hat der Beruf des Altenpflegers immer mehr an Bedeutung gewonnen – als privates Geschäftsmodell vor allem. Trotz der Nachfrage würden die einschlägigen Anbieter über Fachkräftemangel klagen – erklärten nun Hella Geist und Ulrike König in Wetzlar. Geist ist Leiterin der Altenpflegeschule in Wettenberg, König leitet die Altenpflegeschule des Lahn-Dill-Kreises in Haiger. Hinter der Wettenberger Schule steht der Verein für Geragogik, der 1986 gegründet wurde und Mitglied im hessischen Landesverband des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ist, Träger der Schule im Lahn-Dill-Kreis ist der Kreis selber.
Beide Schulen sind Partner des in Gießen ansässigen gemeinnützigen Zentrums für Arbeit und Umwelt Gießen, kurz ZAUG bei einem Projekt, das in der Kurzform ANQUA heißt. Das Kürzel steht für „Arbeitsintegrierte Nachqualifizierung in der Altenpflege, Gießen – Lahn-Dill“. Was sich nach Bürokratendeutsch anhört, übersetzte ZAUG-Geschäftsführerin Monika Neumaier in Wetzlar in Normaldeutsch: „Viele Einrichtungen arbeiten ja schon mit Helfern, die aber nicht den Abschluss haben. Die können nun an diesem Projekt teilnehmen, behalten ihre Arbeit und können gleichzeitig noch ihren Abschluss nachholen.“ Für König und Geist eine insofern neue Lage: „Wir haben es ja bisher mit jungen Menschen tun, die in erster Linie in die Schule gehen und dann in der Praxis die Arbeit lernen. Jetzt wird es umgekehrt sein. Aber wir wollen diese Herausforderung annehmen.“ Am Ende, so Neumaier, sollen die Teilnehmer ein Argument haben, auch ihre Lohnsituation verbessern zu können. Der Abschluss, der über ANQUA erreicht werden kann, ist der des Altenpflegehelfer. In einem weiteren zweijährigen Ausbildungsabschnitt kann dann das endgültige Ziel, der Abschluss als staatlich anerkannter Altenpfleger erreicht werden. Die Gesamtdauer liegt bei zwei Jahren. Sprich, wer im Mai 2013 beginnt, wäre im April 2016 mit der gesamten Nachqualifizierung durch.
Im Mittelhessenblogclip über Anqua hoffen die Gießener Landrätin Anita Schneider und Projektleiterin Nicole Brinkmann, dass davon weitere Impulse ausgehen:
Projektkosten: 607000 Euro – Rund 2000 potentielle Teilnehmer in beiden Landkreisen
Nicole Brinkmann, Projektleiterin des ebenfalls mit ZAUG zusammenarbeitenden Netzwerkes Nachqualifizierung Gießen Lahn-Dill sagte während der Vorstellung dieses neuen Projektes, dass sich einerseits je Landkreis bereits 20 Teilnehmer angemeldet hätten, andererseits sei dieses Modell zur Gewinnung neuer regulär ausgebildeter Fachkräfte inzwischen auch beim Bund aufgefallen – so, dass es wohl auch bundesweit zu vergleichbaren Projekten kommen könnte.
Die Tatsache, dass in der mittelhessischen Region ausgebildete Altenpfleger dennoch Arbeit suchen würden, aber keine Anstellung bekämen, konterten die Gießener Landrätin Anita Schneider und Brinkmann mit dem Hinweis, dass es sich um Menschen handele, die unter anderem wegen fehlender Mobilität nicht in Frage kämen oder weil sie auf der Suche nach Teilzeitbeschäftigungen wären. „Ich kenne diese Fälle auch, wir sprechen da von rund 50 in der Region“, sagte Brinkmann. Schneider meinte, es käme immer darauf an, welche Statistiken man zu Rate zöge. In den beiden mittelhessischen Landkreisen jedenfalls soll es rund 2000 Menschen geben, die entweder als an- oder ungelernte Kräfte bereits jetzt in den stationären Pflegeeinrichtungen arbeiten. Hinzu kämen die Mitarbeiter der ambulanten Pflegedienste.
In ANQUA jedenfalls, das mit 298000 Euro aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert wird und mit weiteren 309000 Euro von den Teilnehmern, sehen die beteiligten Projektpartner ein probates Mittel mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: Die Altenpfleger, die sich so nachträglich ihren Berufsabschluss holen, haben einen qualifizierten Nachweis in Händen, die Branche gewinnt so vielleicht das Personal, das sie sucht und außerdem können auf diese Weise vielleicht auch Einwanderer eine Chance bekommen, besser in den deutschen Arbeitsmarkt integriert zu werden. Torsten Roth, bei Zaug Ansprechpartner für Anqua und für die Anmeldung zuständig, spricht denn auch davon, dass es sich um einen vorwiegend weiblich besetzten Beruf handele. „Rund 80 Prozent sind Frauen. Dabei wäre es gut, wenn auch Männer dazu kämen“, so Roth. Denn die Arbeit sei oft auch körperlich hart.
Wer darf teilnehmen und was steht am Ende?
„Eine Voraussetzung ist natürlich, dass Interessenten schon als Altenpfleger arbeiten, mindestens mit einem Vertrag über 31 Stunden in der Woche, das am besten schon mehrere Jahre. Einen Hauptschulabschluss sollten sie auch haben“, erklärt Brinkmann. Um zu lernen, würden die Teilnehmer Netbooks mit bereit definierten Aufgaben für den Theorieunterricht bekommen. Von ihrem Arbeitgeber müssen die Teilnehmer für 34 Stunden im Monat freigestellt werden, um in den Altenpflegeschulen und in Lerngruppen lernen zu können, weitere zehn Stunden müssen die Teilnehmer monatlich von ihrer Freizeit nehmen. Außerdem würden die Lernorte bereitgestellt. Am Ende der Ausbildung steht nach rund zwei Jahren schließlich die Prüfung zum staatlich anerkannten Altenpfleger. Vorbedingung ist der erfolgreiche Abschluss als Altenpflegehelfer.
Wie sieht es mit den Verdienstmöglichkeiten aus?
In den fünf mittelhessischen Landkreisen werden nach den Angaben des Internetportals Meinchef.de derzeit diese Bruttogehälter gezahlt:
- Gießen : 2038 Euro
- Lahn-Dill: 1950 Euro
- Limburg-Weilburg: 2058 Euro
- Marburg-Biedenkopf: 2167 Euro
- Vogelsbergkreis: 2136 Euro
- Durchschnitt: 2069.8 Euro
Zu den Verdienstmöglichkeiten merkte Hella Geist an, dass gegenwärtig sich Altenpflegeschüler im Grunde keine Sorgen machen müssten, eine Anstellung zu bekommen. „Wenn ich unsere Kandidaten, die zur Prüfung anstehen, darauf hinweise, sie müssten sich um einen Arbeitsplatz nach dem Ende ihrer Ausbildung bemühen, bekomme ich in der Regel nur ein Lächeln: ‚Das haben wir schon längst unter Dach und Fach‘ “ sei dann die Antwort. Es sei inzwischen sogar so, dass sich Arbeitgeber schon die Lehrlinge versuchen würden, abzuwerben, erst recht die aktuellen Abgänge. In der Regel müsse sie dann derzeit vertrösten.
KOMMENTAR:
Diese Anstrengungen sind löblich. Aber vielleicht liegt es am Ende doch an der Knickrigkeit der Arbeitgeber, die den so dringend gesuchten Kräften nicht bereit sind, mehr als unbedingt nötig für einen Job zu zahlen, der , so kürzlich Bundeskanzlerin Angela Merkel, von den „echten Leistungsträgern“ der Gesellschaft erledigt wird? Vielleicht wäre es interessant, einmal nachzusehen, welche Arbeitgeber ihre Arbeitskräfte am besten bezahlen und diese dann nach ihren Motiven zu fragen, warum sie dies denn tun. Vielleicht, weil sie gute Leute halten wollen. Nur unterm Strich: Für einen Knochenjob 2506 Euro Brutto zu zahlen, ist auch noch zu wenig. Soviel wird in der hessischen Landeshauptstadt gezahlt. Und das ist laut meinchef.de der Spitzensatz, der in Hessen für Altenpfleger gezahlt wird. Der Landesschnitt liegt danach bei 2100. Diesen Schnitt übertreffen in Mittelhessen Marburg-Biedenkopf und der Vogelsbergkreis. Vielleicht ist das ja der tiefere Grund für den Fachkräftemangel: Die unattraktive Bezahlung. So werden öffentliche Gelder an einer Stelle ausgegeben, die man anders vielleicht entlasten könnte: Je höher das Einkommen, desto höher in der Regel auch wieder die daraus resultierenden Lohn- und Einkommenssteuern. Nur, daran scheint sich seit acht Jahren nicht viel geändert zu haben. Denn damals berichtete bereits der Stern über die dauerhaft niedrigen Gehälter. In Hessen waren es vor acht Jahren im Schnitt rund 29100 Euro. In Mittelhessen hat sich da nicht viel geändert: Im Lahn-Dill-Kreis sind es jährlich 23400 Euro, am oberen Tabellenende 26400 Euro in Marburg-Biedenkopf. Auch der mittelhessische Durchschnitt sieht nicht besser aus: 24837,60 Euro landen als Jahresbruttolohn auf dem Konto. Nicht wirklich viel.
Weiterführende Links:
Nachqualifizierung Gießen- Lahn-Dill, Altenpflegeschule Lahn-Dill-Kreis, Altenpflegeschule Wettenberg, ZAUG Gießen, Meinchef.de,
Janina meint
Im Hintergrund bei der Bewertung der Bezahlung von Pflegepersonal, sollte man auf jeden Fall behalten, welche körperlichen Strapazen in der Pflege anfallen und welche Verantwortung auf den einzelnen Pflegern und Pflegerinnen lastet. Natürlich ist die Arbeit nicht hochgradig kompliziert, aber die genannten Eigenschaften von Pflegeberufen sollten auf keinen Fall vernachlässigt werden. Hinzu kommen noch die alles andere als optimalen Arbeitszeiten, die zu einem Pflegeberuf in der Regel dazu gehören.
24 Stunden Pfleger meint
Ein sehr interessanter Artikel! Fachkräftemangel ist tatsächlich zu einem Problem geworden. Es ist mittlerweile schwer geworden gut ausgebiltete Mitarbeiter zu finden. Nachqualifizierung und Gehaltsniveau sollten definitiv als Teil einer grösseren Lösung angenommen werden!
Erwin C meint
Das Problem des Fachkräftemangels ist ja importiert. man braucht bei höhrer Bevölkerungszahl auch mehr krankenpfleger etc.
Michelle meint
Danke für diesen ziemlich informativen Artikel über Altenpflege. Der Artikel hat viele meiner Fachfragen beantwortet. Ich wünsche https://www.mittelhessenblog.de/ weiterhin viel Erfolg.