Was hat das hessische Glauberg mit Schloss Bellevue, dem Sitz des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, zu tun? Auf den ersten Blick nichts! Auf den zweiten Blick alles. Denn hier wie in Bellevue spielt ein Medium eine Rolle, das eher Politik macht, als dass es sie beschreibt oder kommentiert. Die Rede ist von der Bildzeitung. Die Rede ist aber genauso vom Umgang der Medien mit Politikern, ob in der alten Bonner Republik oder der jetzigen Berliner Republik. Einiges scheint sich seit 50 Jahren nicht geändert zu haben.
In Glauberg diente ein fingierter Neonaziskandal dazu, eine versierte Museumsleiterin um ihre Stellung zu bringen, in Bellevue ist es nun der Bundespräsident, der von der Boulevardzeitung angeschossen wurde. Ob mit den richtigen Methoden oder auf die richtige Art, das zweifeln indes immer mehr Medien an. Fraglich ist aber auch, ob nicht viele der Medien schon vor Wulffs Wahl zum Bundespräsidenten sich nicht zu einseitig mit der Frage befasst haben, wer denn nun der vom Volk eher bevorzugte Kandidat sei, Wulff oder Gauck. Dass nun die Bildzeitung als erste über Wulffs Verwicklungen berichtet und seinen Versuch, diese Berichterstattung zu verhindern, ist nur ein Mosaikstein eines höchst eigenen Weges öffentlicher Meinungsbildung.
Von Cäsar bis Wulff
„Lieber der erste Mann in der Provinz als der zweite Mann in Rom“ – dieser Ausspruch wird Julius Cäsar zugeschrieben, als er 61 vor Christus auf seinem Weg nach Spanien befand, um dort sein Amt als Statthalter anzutreten. 2073 Jahre später gibt es einen Mann, der mit dem römischen Feldherrn, Konsuln und Imperator in Verbindung gebracht wird. Wie Cäsar erster Mann im Staate, ebenfalls einer Republik. Nur bei weitem nicht dieser Machtfülle, mit der Cäsar ausgestattet war. Am 15. März 44 v. Christus fiel der mächtigste Mann Roms durch die Dolche seiner Widersacher, darunter Brutus, der wie ein Sohn war. Wie es aussieht, werden gegenwärtig wieder die Messer gewetzt, um den ersten Mann im Staate zu entmachten. Zu entmachten? Eigentlich nicht. Denn er hatte nie wirklich Macht. Die Macht, die er als Präsident hätte entwickeln können, wäre ihm mit dem einzig möglichen Mittel gegeben gewesen, das ein deutscher Bundespräsident hat: Die Macht des Wortes. Doch dafür bedarf es eines gewissen Formats. Und dieses Format hätte er sich in seiner Zeit als Landespolitiker erwerben können.
Format mit Fehlern?
Doch Format setzt die Bereitschaft voraus, zu begangenen Fehlern zu stehen. Jener Christian Wulff hatte schon vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten genügend „Leichen im Keller“. Bekannt waren diese auch vor seiner Wahl. Nur, dass diese Leichen eher landespolitischen, im Grunde eigentlich regionalpolitischen Charakter hatten. Wirklich aufgeregt hatte dies niemanden. Auch nicht die Tatsache, dass Wulff zu Fehlern je von sich aus Stellung genommen hätte. Niemanden von den Wahlmännern und Wahlfrauen der Bundesversammlung. Am Ende bekam Wulff im dritten (!) Wahlgang 625 Stimmen und siegte gegen Joachim Gauck.
Wer sich die Mühe macht und mit einer der gängigen Suchmaschinen nach Begriffen wie „Präsidentschaftskandidat Wulff“ oder nach „Wulff Gauck 2011“ sucht, wird in der Regel schnell mit den Schlagzeilen der deutschen Leitmedien konfrontiert. In diesen Schlagzeilen und den dazugehörenden Artikeln wird Wulff ein ums andere Mal mit Gauck verglichen. Dennoch fühlt er sich von den Medien ignoriert. Ein Stimmungsbild des Junis 2010 liefert die Zeit in ihren Online-Ausgaben vom 22. und 26. Juni 2010. Darin übt Wulff erst einmal Medienschelte und geht dann wenige Tage später auf dem kleinen Parteitag der CSU in Nürnberg in die Defensive, sprich Verteidigung. Etwas anderes hat Wulff im aktuellen Fall eigentlich auch nicht gemacht, nur auf einem etwas anderen Niveau: Im Juni 2010 handelte er noch als Kandidat, jetzt als Präsident. Was sich nicht geändert hat, ist der Mensch Wulff. Was sich ebenfalls nicht geändert hat, ist Wulffs Beziehung zu Merkel. Wulff war 2010 ihr Kandidat. Ob aus reinem machttaktischem Interesse Merkels oder aus tiefer Überzeugung sei dahin gestellt. Glaubt man dem Stern, war Wulffs Konkurrent Gauck 2010 auch Merkels heimlicher Liebling,
Medien„lieblinge“ Lübke und Wulff
In der langen Liste der Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gibt es nur einen, der ein ähnliches Schicksal wie Wulff erlebt hat, was den Umgang mit den Medien betrifft: Bundespräsident Heinrich Lübke. Auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung heißt es zu Lübke: „Gegen Ende der zweiten Amtszeit startete die DDR eine Kampagne gegen ihn, in der sie ihn wegen seiner Tätigkeit für das Architekturbüro Schlempp als „KZ-Baumeister“ diffamierte. Diese Kampagne, die auch in der Bundesrepublik Deutschland aufgegriffen wurde, schadete dem Ruf Lübkes. Ein sofortiger Rücktritt verbot sich, da er als Schuldeingeständnis gedeutet worden wäre, ebenso wie ein langwieriges gerichtliches Vorgehen gegen die Verleumder, unter dem der Ruf des Amtes ebenfalls gelitten hätte. Diese Kampagne und der Verfall seiner Gesundheit brachten Lübke zu dem Entschluss, sein Amt zehn Wochen vor Ablauf der Amtszeit 1969 niederzulegen.“ Auf dem Portal „Deutsche Bundespräsidenten“ wird auf die Lübke zugeschriebenen verbalen Ausrutscher eingegangen und bei Wikipedia heißt es zur Beziehung Lübkes und den Medien, dass viele der Lübke in den Mund gelegten Zitate damals vom Spiegel erfunden worden seien. Das hatte der heutige konkret-Herausgeber und damalige Spiegel-Mitarbeiter Hermann L. Gremliza 2006 bekannt.
Nun kommt das System „Bild“ ins Spiel. Erinnern wir uns: Im Jahr 2011 erschien eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die das Boulevard-Blatt aus dem Hause Springer nicht als Zeitung sondern als gefährlich für Deutschland markierte – sicherlich erfolgreich im eigenen Sinn als wirtschaftlich erfolgreiches Produkt, aber eher im Sinne einer fortlaufenden PR-Kampagne (Link zur Bild-Studie). Jetzt im Fortgang der aktuellen Wulff-Berichterstattung bezeichnete der ehemalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny Bild allerdings als Nachfolge-Medium des Spiegels (im Gespräch mit Phoenix am 3. Januar, Youtubevideo, ab Minute 2.34) als „Themen-Setter“
Unterm Strich kommt ein seltsames Bild heraus: Auf der einen Seite wird beklagt, dass der höchste Mann im Staat nicht den hehren Ansprüchen gerecht wird, die von den Verfassungsvätern und ‑müttern mit diesem Amt verbunden wurden. Auf der anderen Seite scheinen die gängigen Leitmedien dieser Republik , gleich ob Spiegel in den 60-er Jahren, oder wie Nowottny es für die Gegenwart formuliert hat, die Bildzeitung und andere zum Springer-Verlag gehörende Blätter, es, wenn es um (eine) auflagenstarke Geschichte(n) geht, nicht immer genau mit der Frage nach der Eignung zu nehmen. Vor allem dann nicht, wenn es um Personen geht, die augenscheinlich nicht in das politische Profil einer sich eigentlich als p0litisch überparteilich und unabhängig bezeichnenden Presse passen. Wie man es dreht und wendet: Ob ein Politiker sich tatsächlich etwas hat zuschulden kommen lassen ist das eine. Darüber zu entscheiden, ob er oder sie deswegen für ein Amt tragbar ist oder nicht, ist am Ende die Frage demokratischer Entscheidungsprozesse und falls eine rechtliche Verfehlung vorliegt, die entsprechende Würdigung durch die Justiz. Die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt zu stellen, sollte die Aufgabe der Journalisten sein. Dieser Zeitpunkt bestand vor der Wahl Wulffs zum Bundespräsidenten und nicht jetzt. Jetzt sieht es eher nach dem mehr oder minder herbei gesehnten Sturz eines ungeliebten Präsidenten aus.
Ob Wulff sich hält, hängt nun von dessen mentaler Stärke ab. Ob Wulff aus rechtlichen Gründen sein Amt verlieren könnte, ist fraglich. Dazu müsste sein Versuch, die Bildredaktion oder eine andere Redaktion unter Druck gesetzt zu haben, als Zensur gewertet werden. Denn das wäre ein klarer Verfassungsbruch. Und dies wiederum wäre die Grundlage für eine Präsidentenanklage nach Art 61. Ob Wulff einen Verfassungsbruch begangen haben könnte, ist allerdings nur von einer Institution festzustellen: Dem Bundesverfassungsgericht. Dass die Richter einen Zensurversuch allerdings als Verfassungsbruch werten, ist unwahrscheinlich.
Schreibe einen Kommentar