POLITIK und WIRTSCHAFT/KOMMENTAR
Es ist merkwürdig, welches Mosaikbild hier entsteht: Der Privatsender n‑tv berichtete als erster unter den deutschen Massenmedien (Fernsehsender, Onlineportale der führenden deutschen politischen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine) unter Verwendung einer Meldung von Agence France Press (AFP) von einer Geheimbotschaft der israelischen Regierung an die führenden westlichen Staaten. Die Quelle der Nachrichtenagentur ist wiederum die israelische Tageszeitung „Haaretz“. Geheimbotschaften gab es früher allerdings auch schon.
In Erinnerung kommen mit israelischen Geheimbotschaften die Nachricht des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert an Syrien über den Rückzug aus den von den Israelis besetzten Gebieten (2007) und kürzlich die Geheimbotschaften des Palästinensers Abbas an Israel über Verzichte der Palästinenser in Jerusalem zugunsten einer Friedensordnung, wie Al Jazeera berichtet hatte. Der Palästinenserpräsident hatte diese Nachrichten allerdings als „Lüge“ abqualifiziert. Die neuerliche Geheimnote nun soll die westlichen Staaten dazu auffordern, sich von einer öffentlichen Kritik an Ägyptens Mubarak zurückzuhalten, weil dessen Regime als stabilisierender Faktor in der Region gebraucht werde. Der Text der Nachrichtenagentur wird mehr oder minder abgewandelt in den jeweiligen Medien gebracht. Israel soll demzufolge einerseits auf die drei Jahrzehnte stabilisierende Wirkung Ägyptens in der Region gerade mit Bezug auf den ägyptisch-israelischen Frieden hingewiesen haben und andererseits an die Diplomaten der angesprochenen westlichen Staaten die Empfehlung ausgegeben haben, in der Öffentlichkeit immer wieder auf die wichtige Bedeutung Ägyptens hinzuweisen. Es ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen, dass Ägypten eine wichtige Rolle gespielt haben mag, was den Frieden zwischen den beiden Ländern bedeutet. War es doch der 1981 durch islamische Fanatiker ermordete Präsident Anwar el Sadat gewesen, der sich für einen Friedensvertrag mit Israel eingesetzt hatte, gleichzeitig aber immer auf das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat hingewiesen hatte.
Inwieweit Israels Hoffnung auf einen darüber hinausgehenden Einfluss Ägyptens auch 30 Jahre nach der Ermordung Sadats berechtigt sein mag, dass sei dahingestellt. Immerhin legten die arabischen Staaten eher Zurückhaltung an den Tag, was ihre Position zu Ägypten betrifft. Dass Israel selber zum Erhalt eines Regimes aufruft, das nun von seiner eigenen Bevölkerung entmachtet wird, weil sich viele Menschen mehr Demokratie wünschen, ist befremdlich, aber angesichts der offiziellen israelischen Politik nicht weiter verwunderlich.
Dass Ägypten die modernen Kommunikationsdienste abklemmt, ist aus Sicht der Regierung Mubarak auch verständlich, wer sägt schon gerne am eigenen Ast, auf dem er sitzt. Nur dass Mubarak übersieht, dass jener Ast, wenn überhaupt, höchstens noch an einigen Rindenfetzen am Hauptstamm hängt. Da die Rinde aber bekanntlich die zentrale Rolle bei der Versorgung eines Baumes mit Nährstoffen spielt, könnten die Versuche Mubaraks, das Volk mit Ankündigung von Reformen zu beruhigen, der Tatsache geschuldet sein, eben jenen Ast zu bandagieren – in der Hoffnung, dass der Rindenfetzen noch genug Kraft hat, alles wieder zu heilen.
Das in der Internetszene von Bloggern beobachtete Schweigen oder das spärliche Hintergrund-Berichten in den deutschen Mainstream-Medien ist indes verwunderlich. Anders als der arabische Sender Al Jazeera, der mit einem offiziellen Sendeverbot belegt wird und nun auf die Mithilfe der äygptischen Bevölkerung setzt, aus dem Land berichten zu können und Hintergründe zu liefern, herrscht hierzulande ein Schweigen, als gäbe es keinen Zugang zu diversen Nahost-Instituten, die die Lage analysieren und helfen könnten, die Situation einzuordnen.
Ein Versuch könnte dies sein: Nachdem die Tunesier ihre Regierung zum Teufel geschickt haben, ist der Funke in die Mittelmeeranliegerstaaten bis in den Nahen Osten übergeschwappt. Spannend dürfte sein, ob sich dort eine neue Gesellschaftsform herausbildet, die die Vorzüge westlicher Demokratien mit den Vorzügen eigener gewachsener kultureller Traditionen zu verbinden weiß. Vielleicht erklärt dies die Sprachlosigkeit, weil man Augen- und Ohrenzeuge eines Umbruchs wird, der sich gerade in den Ländern entlang der nordafrikanischen Mittelmeerküste abzuzeichnen beginnt. Es wird eine Frage der Zeit sein, dass auch das System Gaddafi zu schwanken beginnt.
Welche Rolle Europa dabei spielen wird, welche die USA, wird man sehen. Eines dürfte aber sicher sein, die ohnehin unruhigen Tage für Israel dürften angesichts der neuen Lage noch etwas unruhiger werden. Es geht um mehr als „nur“ eine neue oder eine stabilisierte Regierung in Ägypten. Vor dem Hintergrund, dass der heute existierende Staat Israel seine Existenz einem Eingriff der UN 1947 unter britischem Schutz durch die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat zu verdanken hat, dass nach dem Abzug der Briten 1948 Israel sich 78 Prozent des ehemals ungeteilten Palästinas statt der durch die UN zugestandenen 57 Prozent angeeignet hatte und damit in unmittelbaren Konflikt mit seinen arabischen Nachbarstaaten lag, gewinnt die aktuelle Lage in der Tat eine besondere Note. Es könnte sein, dass Israel in den Sog dieser Ereignisse ob es will oder nicht, stärker hineingezogen werden wird, als beabsichtigt oder gedacht. Vielleicht ist dies alles der Grund für die Zurückhaltung der deutschen Medien.
ebook leser meint
Ägyptens Armee wird keine Gewalt gegen die Bevölkerung einsetzen, sie hält die Forderungen der Opposition für legitim. Dies gab ein Militärsprecher am Montagabend bekannt. Für heute planen die Regimegener einen „Marsch der Millionen“. Das gibt ja grosse Hoffnung, dass alles relativ friedlich zu Ende geht.