Sie sind bunt. Die Kunstleitpfosten. Und sie werben für die Landesgartenschau. Erst die in Nagold (Baden-Württemberg) und jetzt die in Gießen (Hessen). Ob aber dabei nach dem Motto verfahren wurde „Ehre wem Ehre gebührt“, das sei dahingestellt.
Pfosten müssen nach Ende der Ausstellung wieder weg
Nach offizieller Lesart haben sich die Planer der Gießener Landesgartenschau auf der Suche nach einer geeigneten Werbemöglichkeit, die gleichzeitig auch noch das potentielle Publikum integriert, von dem Beispiel inspirieren lassen, das ihnen die Planer der baden-württembergischen Landesgartenschau 2012 in Nagold gegeben hatten. Diese, so heißt es auch auf den einschlägigen Infowebsites der Gießener Landesgartenschau, seien das Vorbild für die Aktion gewesen, mit der großflächig die Mittelhessen auf das blumige Ereignis in der Unistadt an der Lahn eingestimmt werden sollten. Was mit den Kunstleitpfosten nach dem Ende der Landesgartenschau passiert? Nun, in Baden-Württemberg hatte die zuständige Kreisverwaltung nach dem Ende der Landesgartenschau verboten, dass die Pfosten noch länger in der Öffentlichkeit stehen.
Sie seien verkehrsbehindernd. Der Schwarzwälder Bote hatte seinerzeit darüber berichtet, dass das Landratsamt in Calw die Genehmigung für die Pfosten nach dem Ende Landesgartenschau wieder zurückgezogen hatte und die jeweiligen Kommunen die Pfosten wieder entfernen mussten. Als Urheber der Pfosten-Aktion wurde ebenfalls im Schwarzwälder Boten damals der Hobbykünstler Wolf Gebhardt aus Vollmaringen genannt.
Auf Nachfrage, wie dies denn nun in Gießen gehandhabt werde und den umliegenden Landkreisgemeinden, verwies Kreissprecher Oliver Kessler auf die Zuständigkeit der Stadt und der Straßenverkehrsverwaltung, also HessenMobil. Der Tenor sowohl bei der Stadt wie HessenMobil geht in die gleiche Richtung: Nach dem Ende der Ausstellung sollen die Pfosten wieder entfernt werden.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Pfosten-Aktion hatten sich mittelhessische Hobby-Pfostenkünstler schon darüber beschwert, dass ihre Pfosten nach kurzer Zeit schon wieder demoliert gewesen seien. Auch hier gleichen sich die Erfahrungen mit denen der Baden-Württemberger.
Die eigentliche Pfosten-Urheberin: Eine Nordhessin, die in Mittelhessen einen Namen hat.
Etwas anderes gleicht sich indes auch: Wurde schon 2012 der Name der geistigen Urheberin der bemalten und gestalteten Holzpfosten von süddeutschen Laga-Planern geflissentlich nicht genannt, so entfällt dies in Gießen ebenfalls. Dabei, so berichtete dies dem Mittelhessenblog eine zuverlässige Quelle, habe sich Gießens Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz während eines Besuches bei ihrer Studienfreundin Carin Grudda von eben den Pfostenskulpturen inspirieren lassen, die den Weg zum Haus der Künstlerin im italienischen Lingueglietta säumen. Danach und nach der offiziellen Lesart der Stadt Gießen gefragt, sandte Stadtsprecherin Claudia Boje diese Antwort: „Es ist zwar wahr, dass die Künstlerin Studienkollegin der OB war und es ist auch wahr, dass Frau Grabe-Bolz während eines privaten Urlaubs auch das Atelier der Künstlerin besucht hat, jedoch war dies im Frühjahr letzten Jahres – da war die Idee der Kunstleitpfosten längst geboren. Die OB schätzt die Arbeiten der Künstlerin sehr, aber einen Zusammenhang mit der Initiative zur Schaffung der Kunstleitpfosten existiert nicht. Reiner Zufall! Ihr Informant befindet sich damit im Reich zwischen Dichtung und Wahrheit.“
Beschäftigung mit bemalten Holzflächen beginnt in den 90ern
Mit der Reaktion der Stadt konfrontiert bekräftigte unsere Quelle noch einmal die Feststellung, dass Grudda gegenwärtig einigermaßen verärgert sei. Allein schon vor dem Hintergrund, dass Grudda noch im vergangenen Jahr mit einem Gang durch die Gießener Innenstadt die Gießener Filiale der Galerie am Dom aus Wetzlar in der Plockstraße eröffnet hatte. Und zudem auch in der Galerie in Gießen Werke ausgestellt hatte. Grudda, so unsere Quelle, habe in Bezug auf die Pfosten ein „Alleinstellungsmerkmal“ entwickelt. Grudda hat ihr Kunstgeschichts- und Philosophiestudium in Gießen mit einer Arbeit über den Dadaismus und seine Verbindung zur Philosophie beendet. Ein Element des Dadaismus wiederum ist die Kunst, aus alten Gegenständen neues zu schaffen, sie ihres ursprüngliches Zwecks zu berauben. Diese Richtung wird Objektkunst (objets trouvés) genannt. Zu ihrem 60. Geburtstag stieß die Künstlerin in ihrem Geburtsort Gudensberg die Aktion „1000 Pfähle zur Kunst“ an. Das war 2013. Legt man dieses Datum zugrunde, war also wirklich alles reiner Zufall, wie Boje mitteilt? Legt man den Beginn der künstlerischen Arbeiten mit objet trouve zugrunde, beginnt die Argumentation der Stadt Gießen zu wackeln. Über sich selber schreibt Grudda auf ihrer Seite: In den späten 90er Jahren verändern sich die Bildträger.. Sie bemalt Holzflächen aller Art, objets trouvés aus allen möglichen ehemaligen Funktionen.“ Sowohl diese Eigenbeschreibung wie auch die nochmalige Bekräftigung der Aussage unserer Quelle lassen zumindest Zweifel zu an der Darstellung der offiziellen Lesart zum Hintergrund der Kunstleitpfosten zur Landesgartenschau 2014 in Gießen. Und aus diesem Grund sei Grudda gegenwärtig verärgert. Sie selber, so unsere Quelle, würde aber dies nicht weiter thematisieren.
Kommentiert
Für das Mittelhessenblog ist es unabhängig davon aber ein Aspekt, der durchaus in der Öffentlichkeit besprochen werden sollte: Ist es statthaft, für eine ohnehin weitestgehend privatwirtschaftlichen Interessen dienende Veranstaltung in großer Zahl Privatleute und Unternehmen zu animieren, sich der Idee einer Künstlerin zu bedienen ‑ohne diese wenigstens namentlich als Urheberin zu nennen? Ist dies sozusagen der ins reale Leben getragene billigend in Kauf genommene und praktizierte Urheberrechtsbruch aus den sozialen Medien? Hätte man Grudda gefragt, hätte diese sicher nicht nein gesagt. Anständiger wäre dies auf jeden Fall gewesen. Und wenn Grudda für die Verwendung ihrer Idee einen finanziellen Gegenwert hätte haben wollen, wäre dies auch in Ordnung. Schließlich handelt es sich um ihre Existenzgrundlage.
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