Mitte 2013 bereits hatte ein Arbeitsrechtsstreit zwischen der Geschäftsführung der Oberhessischen Presse (OP) und seiner Schwerbehindertenvertreterin, Frau P., begonnen. Auslöser waren zwei Abmahnungen (wegen illoyalen Verhaltens und Arbeitszeitbetrugs), die die OP Frau P. erteilt hatte. Den Abmahnungen ließ der Verlag außerdem schnell eine fristlose Kündigung folgen, wiederum wegen Arbeitszeitbetrugs, nachdem Frau P. eine Woche lang überwacht worden war. Gegen die Abmahnungen klagte Frau P. mit Erfolg. Das Gießener Arbeitsgericht erklärte sie am 5. September 2013 für nicht gerechtfertigt und wurde in diesem Urteil am 1. April 2014 vom Landesarbeitsgericht in Frankfurt bestätigt. Diese Entscheidung ist letztinstanzlich und die Abmahnungen damit endgültig vom Tisch. Am Donnerstag, 10. April, wurde nun erneut eine Entscheidung zugunsten von Frau P. getroffen. Sie betrifft die fristlose Kündigung, über die bereits am 20. Februar 2014 verhandelt worden war.
Arbeitsrichter Michael Schneider hatte im Februar eine Beweisaufnahme für Donnerstag, 10. April, angeordnet. Mit Hilfe von Zeugen sollte aufgeklärt werden, ob Frau P. Zeiten als Arbeitszeit angegeben hat, zu denen sie gar nicht gearbeitet hatte. So lautete der Vorwurf der Geschäftsführung, die dafür zwei Zeugen benannte. Frau P. wiederum hatte angegeben, in den streitigen Zeiten ihrer Aufgabe als Schwerbehindertenvertreterin nachgegangen zu sein. Sie hatte dafür drei Zeugen.
Die Betriebsratsvorsitzende der OP bestätigte, in einer streitigen Stunde am 8. Juli 2013 mit Frau P. telefoniert zu haben, konnte sich aber nicht minutengenau erinnern. Die Vertreterin von Frau P. erinnerte sich exakt an den streitigen Arbeitszeitbeginn am 10. Juli 2013. Eine Tätigkeit, der Frau P. in der darauf folgenden Stunde nachgegangen sein will, konnte sie dagegen nicht bestätigen, weil sie nicht dabei gewesen war. Ein schwerbehinderter Kollege bestätigte einen Beratungstermin durch Frau P. am 11. Juli 2013 und gab bei der Dauer sogar noch eine Viertelstunde mehr an, als Frau P. in ihre Zeiterfassung eingetragen hatte.
Bei den Zeugen der Geschäftsführung ging es weniger um die streitigen Arbeitszeiten als um die Glaubwürdigkeit von Frau P. Sie waren von der Geschäftsführung benannt worden, um darüber auszusagen, was Frau P. am 12. Juli gesagt hatte, nachdem sie der zuständigen Sekretärin ihren Zettel mit der Arbeitzeiterfassung ausgehändigt hatte.
Diese Sekretärin war zuvor damit beauftragt worden, Frau P. eine Woche lang zu überwachen. Im Viertelstundentakt habe sie überprüft, wann Frau P. an ihrem Arbeitsplatz erschienen sei, beziehungsweise ihn verlassen habe, berichtete die Sekretärin im Gerichtssaal. Ihr Überwachungsprotokoll und die Angaben in Frau P.s Arbeitszeitnachweis hätten nicht übereingestimmt, das sei ihr sofort aufgefallen. Besonders ein Donnerstag sei auffällig gewesen. Auf Nachfrage habe Frau P. gesagt, da sei sie ihrer Arbeit als Schwerbehindertenvertreterin nachgegangen. Die anderen Zeiten würden jedoch stimmen.
Der Chefredakteur und Prokurist der OP, der zu dem Gespräch zwischen Frau P. und der Sekretärin dazugekommen war, erinnerte sich daran, dass die Sekretärin auch explizit nach den anderen Tagen gefragt hatte. Frau P. habe Schwerbehindertenarbeit an den anderen Tagen jedoch ausdrücklich verneint. Damit ging er nicht nur über die Aussage der Sekretärin hinaus, sondern sagte auch noch aus, dass Frau P. dies in einer am selben Abend abgehaltenen Telefonkonferenz, an der auch der Geschäftsführer beteiligt war, wiederholt habe.
Nach der Zeugenvernehmung hatten die Anwälte noch Gelegenheit zu einer abschließenden Stellungnahme und schätzten dabei unter anderem das präzise Erinnerungsvermögen der Zeugen der jeweiligen Gegenseite als Zeichen der Unglaubwürdigkeit ein.
Noch am selben Tag gab Arbeitsrichter Michael Schneider das Urteil bekannt. Es ist noch nicht rechtskräftig und auch die Urteilsbegründung wird noch ein wenig dauern, aber – die Kammer sieht den Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs als nicht erwiesen an.
Einen weiteren Etappensieg für die Schwerbehindertenvertreterin der Oberhessischen Presse könnte man es vielleicht nennen. Denn gegen dieses Urteil kann die Geschäftsführung der OP natürlich Revision einlegen. Verwunderlich wäre das nicht, denn auch am Donnerstag beantwortete der Anwalt der Geschäftsführung die übliche Frage von Richter Schneider nach gütlicher Einigung damit, dass die OP kein Interesse an einer Weiterbeschäftigung von Frau P. hat.
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