„Nein, Etiketten dürfen wir da nicht aufkleben. Und verkaufen dürfen wir den Wein auch nicht“ wehrt Peter Westrich jeden Gedanken ab, dass der Wein, der da dunkelrötlich in seinem Glas schimmert, in absehbarer Zeit zum regionalen Verkaufsschlager werden könnte. Westrich ist Mitglied der Wein AG, einer der Arbeitsgruppen im Freundeskreis Gailscher Park in Biebertal. Und probierte gemeinsam mit seinen Mitstreitern den allerersten Jahrgang, der auf dem kleinen Weinberg mitten in Rodheim, im Hauptortsteil Biebertals, geerntet werden konnte.
Die Villa, in der sich die Weinfreunde im Park treffen, ist eines der Schmuckstücke in der Gemeinde. Und hat das Glück, anders als andere architektonische Zeitzeugen in der rund 10000 Einwohner zählenden [1,2]Landgemeinde im Gießener Westkreis, mitsamt ihrem Park, noch gut erhalten zu sein. Villa und Park verdanken ihre Entstehung dem Gießener Industriellen Wilhelm Gail. Gail lässt in den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, auf dem Gelände, dass sein Großvater Georg Philipp Gail für den Bau einer Zigarrenmanufaktur erworben hatte, einen Landschaftsgarten und Sommersitz für seine Frau und sich bauen. Heute ist die Villa seit der Vermietung durch die Gemeinde Biebertal 2011 an den Lahnauer Unternehmer Dr. Wolfgang Lust einerseits privates Wohnhaus und beherbergt andererseits die Räumlichkeiten des Freundeskreises Gailscher Park. Zu einer der neuen Aufgaben des Freundeskreises gehört inzwischen die Rekultivierung eines Weinberges. Denn bereits 1886 war im Park ein Weinberg angelegt worden.
Regent auf 50 Quadratmetern
Mit der Neuanlage hatte die Wein AG 2011 auf rund 50 Quadratmetern begonnen. Dort wuchs in den vergangenen drei Jahren eine Sorte heran, die Irene Reh ausgesucht hatte: Regent. „Ohne Irene wäre das alles nichts. Da hätten wir vermutlich gar keinen Wein“, mutmaßt ein anderer Weinfreund. „Sie ist ganz klar unsere Chefin“, weist er auf das Spezialwissen der Önologin hin. Reh hat zumindest durch ihre Herkunft „Wein im Blut“. Als geborene und aufgewachsene Fränkin. Und mit ihrem Fachwissen deswegen ein Glücksgriff für die Wein AG. „Ohne sie hätten wir die Trauben wahrscheinlich gar nicht soweit gebracht“, meint an dem Abend noch ein weiteres Mitglied. Und dass die Ernte erst 2013 möglich war, liege einfach daran, dass junger Wein erst einmal Zeit brauche, sich zu entwickeln.
70 Grad Öchsle
Die Önologie ist ein Studienbereich in der Weinproduktion. Verrät das Onlinenachschlagewerk Wikipedia. Das Lexikon verrät noch etwas anderes: „Es ist die Aufgabe des Önologen, Weine von einer Qualität zu bereiten, welche den Anforderungen des Marktes entsprechen.“ Dieses Ziel scheinen die Biebertal Neuwinzer unter Anleitung Rehs auf Anhieb erreicht zu haben. Wie hoch der Alkoholgehalt sei, sei zwar noch nicht gemessen worden. Das solle jetzt nachgeholt werden, meinte Reh auf Nachfrage. Aber der Wein habe ein Öchslegewicht von rund 70 Grad. Beim Öchslegewicht handelt es sich um die Messung des Mostgewichts. Eine Zahl, die dem Winzer Aufschluss über Schwebstoffe und Zucker im Traubensaft (Most) gibt, Grundlage für die spätere Weinherstellung. Auch wenn die Wein AG im Freundeskreis die Bestimmung des Alkoholgehalts noch nachholen muss, einen offiziellen Anhaltspunkt gibt es zumindest: In der Anlage 8 der deutschen Weinverordnung von 1995 gibt es eine Tabelle, nach der über den Öchslegrad der natürliche Alkoholgehalt bestimmt werden kann. Und gemessen daran hat der Erstling des Freundeskreises einen Alkoholgehalt von 9, 1 Prozent.
Haustrunk-Methode
„Der Wein riecht aber schon ein bißchen merkwürdig“ waren die ersten Reaktionen bei der allerersten Weinprobe. „Das ist Luft. Für nächste Mal wissen wir, was wir besser machen müssen“, sagt Reh. Aber, wirft Peter Westrich am Rande ein, so wie der Wein schmeckt, müsse er vermutlich vor dem Einzug moderner Kelter- und Hygienetechniken schon zu Zeiten der Römer geschmeckt haben. Heute, so erklärt Reh während einer Exkursion durch modernes Winzereiwesen, werde darauf geachtet, dass der Wein unter sterilen Bedingungen lagere. „Oxidation, also Kontakt mit dem natürlichen Sauerstoff, der in der Luft vorkommt, soll vermieden werden“. Nur, wenn man eben mit den Mitteln, die für die Herstellung eines „Haustrunks“ zur Verfügung stehen, keltere, könne es eben bei den ersten Versuchen geschehen.
Um einen Vergleich mit einem Wein von der gleichen Rebart zu haben, nur eben von einem professionellen Winzer hergestellt, testeten die Weinfreunde einen Rheinhessenwein von 2012. Der schimmerte zwar leicht violett und weniger trübe im Glas, hatte einen Alkoholgehalt von 11,5 Prozent. Dafür habe er aber mehr Restsüße, sei also nicht vollständig durchgegoren. Nach der Tabelle der Weinverordnung muss der Most für diesen Wein einen Öchslegrad zwischen 85 und 86 gehabt haben. „Unserer ist aber nicht gar so schwer, der ist eher leicht. Das ist gut“, kam dann eine andere Stimme.
Offiziell darf laut EU-Recht nur der Lahnwein aus Rheinland-Pfalz verkauft werden.
Nur, auch wenn der Erstling nach der allgemeinen Einschätzung auf Anhieb gut gelungen war, ein regionaler Verkaufsschlager kann er nach Einschätzung der Weinfreunde nicht werden. Warum das nicht? Dagegen stehen die rechtlichen Auflagen entgegen und die Tatsache, dass als Lahnwein offiziell bisher nur die Weine verkauft werden dürfen, die im rheinland-pfälzischen Teil der Lahn angebaut werden.
Ganz eindeutig ist die Frage in einer EU-Vorschrift aus dem Jahr 2008 geregelt. Dort steht im Artikel 60 Abschnitt 7 der Verordnung 555:
„Die Vermarktung von Wein oder Weinbauerzeugnissen von den in Absatz 6 genannten Flächen ist verboten“. Und in diesem Abschnitt 6 steht, dass bei „Flächen, deren Wein oder Weinbauerzeugnisse ausschließlich zum Verbrauch im Haushalt des Erzeugers bestimmt sind.….die auf den einzelnen Erzeuger entfallende Fläche eine von dem betreffenden Mitgliedstaat festzusetzende Höchstfläche, die in keinem Fall größer als 0,1 Hektar sein darf, nicht übersteigt und b) der betreffende Erzeuger die Weinerzeugung nicht gewerbsmäßig ausübt.
Im Klartext: Die Fläche, die Hobbywinzer für ihren eigenen Verbrauch anpflanzen, darf nicht größer als 100 Quadratmeter sein. Mit ihren 50 Quadratmetern liegen die Biebertaler Weinfreunde klar darunter. Aber verkaufen dürfen sie ihren Wein nach diesen Regeln nicht. Nur verschenken. „Die Regelung dienen ganz offensichtlich dem Schutz der professionellen Weinbauer“, vermutete während der ersten eigenen Weinprobe ein Mitglied. Der Titel der EU-Verordnung gibt ihm Recht:
„Verordnung (EG) Nr. 555/2008 der Kommission vom 27. Juni 2008 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Wein hinsichtlich der Stützungsprogramme, des Handels mit Drittländern, des Produktionspotenzials und der Kontrollen im Weinsektor“
lautet der vollständige Titel im EU-Deutsch. Das Produktionspotenzial und die Kontrollen im Weinsektor greifen demnach durch bis in die Lagen im Einzugsbereich der Lahn.
Weinbau im mittleren Lahntal bis Marburg
In einer Bibliographie zum Weinbau an der Lahn, die die vor etwas mehr als einem Jahr verstorbene Bibliothekarin Renate Schoene gemeinsam mit Gottfried Pahl vom Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz in Koblenz erstellt hatte, ist allerdings davon die Rede, dass der Weinanbau im heutigen mittelhessischen Kerngebiet schon im 13. und 14. Jahrhundert bis in den Marburger Raum bekannt gewesen ist. Die Bibliothekarin gilt, was Information und Übersicht rund um die Geschichte des Weinbaus in Deutschland betrifft, als führend. Sie hatte 1976 mit diesem Übersichtswerk begonnen und es bis kurz vor ihrem Tod fortgeführt. Über die Adresse http://weinbaugeschichte.bmelv.de/ kann die komplette Bibliographie mit allen gängigen stationären und mobilen internetfähigen Geräten abgerufen werden.
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