Mit einer „aktiven Mittagspause“ hatten Redakteure der Oberhessischen Presse ihren Kampf um einen Haustarifvertrag in der vergangenen Woche eröffnet. Nun setzten sie noch einen drauf und traten in den Warnstreik.
Wie die Ausgabe der Oberhessischen Presse (OP) am nächsten Tag aussehen würde, wussten die streikenden Redakteure selbst nicht so genau. Weiße Seiten würde es nicht geben, da waren sie sich sicher. Denn im Verlagsgebäude saßen die Redakteure mit den befristeten Arbeitsverträgen, dazu Volontäre, vielleicht auch ein paar Freie und Pauschalisten und was es sonst noch so an Beschäftigungsformen bei Zeitungen gibt. Und natürlich die Redakteure, die nicht streiken wollten. Sie würden schon irgendwie das „Blatt zumachen“, wie es im Zeitungsjargon heißt.
Die Redakteure, die am Mittwoch, 25. September um 14.30 Uhr in einen Streik traten, überließen ihren Kollegen auf den – zumindest überwiegend – wackligen Arbeitsplätzen also ihre Arbeit. Dass sie deren Arbeitsplätze auch grundsätzlich gefährdeten, vermittelte das Schreiben von Chefredakteur Christoph Linne, das während der Kundgebung vorgelesen wurde: Lohnerhöhungen seien nicht drin oder müssten woanders eingespart werden, falls sie durchgesetzt würden. Zum Beispiel bei den Kollegen mit den unsicheren Arbeitsplätzen.
Doch die Redakteure, die in orangefarbenen Jacken mit „Journalismus ist mehr wert“-Aufdruck auf dem Rücken vor dem Haupteingang des Verlagsgebäudes der OP standen, hatten sich das mit dem Streiken nicht leicht gemacht. Bereits vergangene Woche hatten sie einen kleinen „Warnschuss“ mit einer „aktiven Mittagspause“ abgegeben.
„Irgendwann ist jede Geduld zu Ende“, sagte Hans-Jürgen Sitt, der in seiner Funktion als ehrenamtlicher Verdi-Funktionär zu den Streikenden sprach. „Wir haben alle Register gezogen, um die Gesprächsbereitschaft der Geschäftsleitung herauszukitzeln. Die Antwort war Abweisung und Blockade.“ Er hoffe, dass man das Signal versteht. Sitt ist aber nicht nur Gewerkschafter, sondern auch selbst Mitarbeiter der OP, war lange Betriebsratsvorsitzender und hatte schon gekämpft, als der Verlag 2008 aus der Tarifbindung austrat.
Zweiklassentarife
Dieser Austritt war auch nach fünf Jahren der Anlass für den Ausstand. Von den 30 Redakteuren der OP werden 14 noch nach Tarif bezahlt, weil ihre Verträge auf die Zeit vor dem Tarifaustritt zurückgehen. Die anderen 16 Redakteure haben individuell ausgehandelte Gehälter, die deutlich unter dem ihrer älteren Kollegen liegen. Gemeinsam fordern sie einen Haustarifvertrag, der dieser Situation ein Ende schafft.
„Anerkennungstarifvertrag wäre einmalig“
Die Gewerkschaft Verdi und der Deutsche Journalisten Verband (DJV) beobachten den Kampf der OP-Redakteure mit Interesse. „Ein Anerkennungstarifvertrag wäre einmalig. Und deswegen bin ich gekommen“, sagte Michael Anger, stellvertretender Vorsitzender des Bundesvorstands des DJV. „Hinter euch stehen 70.000 Journalisten aus der ganzen Bundesrepublik und der Bundespräsident“, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu. Damit spielte er auf die Rede an, die Joachim Gauck beim diesjährigen Kongress des Zeitungsverlegerverbands gehalten hatte. Gauck hatte nicht nur auf die prekäre Beschäftigungssituation vieler Journalisten hingewiesen, sondern bei den Verlegern angemahnt, dass Qualitätsjournalismus und Gewinnorientierung keine Gegensätze sein dürften. Doch die wollen ihre Redakteure immer schlechter bezahlen, wie Gerda Theile von der DJV-Geschäftsstelle Bonn erläuterte. „Aus Sicht der Verleger muss es weniger werden“, sagte sie. „Da werden noch mehr Kollegen die Griffel fallen lassen müssen.“
Der Hessische Rundfunk berichtete ebenfalls über den Streik (Link zum Sendebeitrag unterhalb des Kommentars).
Kommentiert: Die Oberhessische Presse gehört zur Madsack-Gruppe. Welche Politik im Konzern insgesamt wie betrieben wird, wird in der Dr. Erich Madsack GmbH in Hannover entschieden. An dieser hält die SPD-eigene Medienholding Deutsche Druck-und Verlagsgesellschaft (ddvg) 26 Prozent, die Sperrminorität. In einem Kurzgucker hatte das Mittelhessenblog am 12. September öffentlich die Frage gestellt, inwieweit die ddvg von der „aktiven Gestaltung“ als Gesellschafter in der Verlagspolitik Gebrauch machen wird. Der Kurzgucker hatte sich damals auf die Vorgänge rund um die Schwerbehindertenvertretung der OP bezogen, die auch für die gesamte Konzerngruppe zuständig ist. Im Zusammenhang mit der Auflösung der Redaktion der Westfälischen Rundschau hatte die ddvg seinerzeit beklagt, nicht über die Vorgänge informiert gewesen zu sein, sonst hätten sie dem Mehrheitseigner, der WAZ- jetzt Funke-Gruppe, klar gemacht, dass sie dies nicht zulassen würden. Am Verlag der WR hielt die ddvg 13 Prozent. Auf die Fragen hatte das Mittelhessenblog am 20. September in einem Telefonat die ddvg noch einmal hingewiesen. Bislang gab es dazu keine Stellungnahme. (Autor: Christoph v.Gallera)
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* Sendebeitrag des Hessischen Rundfunks
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