Liebe Mittelhessenblogleser: In den USA laufen gerade Forschungen aus Kohlendioxid Diesel für Autos zu gewinnen. In Deutschland wetteifert man seit geraumer Zeit aus Biomasse Kohle zu machen. Im SPIEGEL und bei 3SAT liefen seit 2006 mehrfach Berichte über das Verfahren, an dem im Potsdamer Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung der Chemiker Markus Antonietti vor allem am Einsatz feuchter Biomasse forscht. Von der selben Idee, der aus Grünzeug Biokohle machen zu können, war auch der Tüftler Rainer Schlitt aus dem oberhessischen Kirtorf überzeugt und suchte seinerseits eine Methode, fand diese, überzeugte Wissenschaftler an der FH Gießen-Friedberg und gründete vor etwas mehr als zwei Jahren die Hydro Carb Gmbh. Inzwischen ist die Produktion im Pilotverfahren angelaufen. Einen Blick hinter die Kulissen der im positiven Sinn manchmal hemdsärmelig-robusten Pionierarbeit wagte im September 2009 das Mittelhessenblog – das es selbst in dieser Form zu dieser Zeit eigentlich auch nur als Testprojekt gab. Kurz danach war das ZDF bei Schlitt zu Gast.
Aus Gartenlaub und Stroh Kohle machen? Die Idee hat Rainer Schlitt aus dem oberhessischen Kirtorf so fasziniert, dass er eigens hierfür Mitstreiter gesucht, an der Fachhochschule Gießen-Friedberg gefunden und für diesen Zweck vor zwei Jahren die Hydrocarb GmbH&Co KG gegründet hatte.
Gefördert mit Mitteln der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und wissenschaftlich von Diplomingenieur Reinhold Altensen und Professor Dr-Ing. Marcus Rehm begleitet, und auf der Suche nach dem besten Verfahren in den vergangenen zwei Jahren läuft seit kurzem die erste Pilotanlage: Das Ziel: Marktreife Biokohlereaktoren.
Den Grundstein für diese Technik hatte der deutsche Chemiker Friedrich Bergius bereits 1913 gelegt, der für seine Verdienste unter anderem 1928 mit der Liebig-Denkmünze ausgezeichnet worden war. Inzwischen war vor kurzem das ZDF bei der Anlage gewesen, um dort einen Beitrag für ZDF-Umweltmagazin zu drehen.
Kohle baut man entweder tief unter der Erde als Steinkohle oder im Tagebau ab, wenn es sich im Braunkohle handelt. Dass Kohle unter großen Drücken vor Millionen Jahren aus Pflanzenresten entstanden ist, ist eine Tatsache, die spätestens im Fach Chemie vermittelt wird. Es sollte bis 1912 dauern, dass der deutsche Chemiker Friedrich Bergius in seiner Habilitationsschrift ein Verfahren beschrieb, mit dem genau diese Drücke nachempfunden werden sollten, um so aus Torf, Cellulose oder Holz Kohle zu machen. 1913 wurde Bergius dafür und für die anschließende Kohleverflüssigung, um daraus Kraftstoff zu gewinnen, das Patent erteilt. Bergius musste seine Patente verkaufen, da Inflation und Bankenkrise in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts ihm einen Strich durch den Aufbau einer Firma machten. 1949 starb der Chemiker, der unter anderem 1928 mit der Liebig-Münze ausgezeichnet wurde, verarmt in Berlin.
Heute, 60 Jahre nach seinem Tod, hat sich Rainer Schlitt, gemeinsam mit Altensen in den Kopf gesetzt, mit diesem Verfahren Biokohle zu produzieren. Zur Zeit laufen die Forschungen an der Pilotanlage auf Hochtouren, um das Verfahren zur Marktreife zu bringen.
„Sie dürfen sich nicht wundern, dass ich hier den Rindenmulch sackweise raufschleppe“, erklärt Schlitt den bunten Sack auf seinen Schultern, aus dem Augenblicke später Mulch in das gut zehn Meter hohe Gebilde rieseln, um dann unter hohem Druck später als Kohle wieder entnommen zu werden. Das Gebilde hat einen Namen: Reaktor. Die dicken Nieten und der zentimeterdicke Stahlmantel zeugen von dem ungeheuren Druck, der während des Inkohlungsprozesses im Inneren herrscht.
Im kleinen ist der Reaktor auf einem Tisch nachgebaut, an dem Diplomingenieurin Anke Spantig immer wieder neue Materialien auf ihre Tauglichkeit testet, ob sie sich den eignen, in Biokohle verwandelt zu werden. „Hier, das sind Zuckerrübenschnitzel “, zeigt sie auf eine kleine Schüssel. Währenddessen holt sie aus dem Laborreaktor eine schwarze Masse, die in ihrer Struktur an die weißen Schnitzel in der Schüssel erinnern. „Das sind auch Schnitzel, nur eben jetzt in Kohle verwandelt“, erklärt die junge Frau, die immer zwischen ihrer Laborecke in der großen Werkshalle und ihrem Rechner im Büro wechselt, eingespannt zwischen Telefonaten mit Zulieferern und dem Auswerten der neuesten Testreihen. „Ich hab gewusst, worauf ich mich einlasse“ lacht sie. Denn bevor sie ihre Stelle im Februar 2008 als Leiterin der Forschungs- und Entwicklungsabteilung als frisch gebackene Diplomingenieurin angetreten hatte, absolvierte sie ein Praktikum in dem Betrieb.
Rund 300 Versuche wurden bisher in dem Reaktor gefahren, auf der Suche nach der besten Zusammensetzung. Stroh, Laub, Rindenmulch sind nur einige der Stoffe, die auf ihre Tauglichkeit in die Verwandlung von Biokohle verwendet wurde. „Es ist im Grunde so, als ob man einen Riesenschnellkochtopf nimmt und Gemüse darin kocht: Unter dem hohen Druck, der dabei entsteht, verwandelt sich das Gemüse in unserem Kochtopf dann eben in Kohle“, umschreibt Schlitt das Verfahren. In dem großen Reaktor dagegen, dessen Zusammenbau und Funktionieren die Rößner Maschinenbau GmbH in Alsfeld als weiterer Projektpartner überwacht, wurden bisher nur Rindenmulch und Zuckerrübenschnitzel in Kohle verwandelt. Die Kohle, in dem Reaktor als lose Masse anfällt, wird anschließend in kleine und große Briketts gepresst. Inzwischen sind mehrere Tonnen dieser Biokohle zu einem Kohlekraftwerk der Stadtwerke Flensburg transportiert worden, um dort verbrannt zu werden. Wie Schlitt sagt, lassen sich die Kohlebriketts außerdem auch als Bodenverbesser einsetzen.
Wo könnten solche Biokohlereaktoren stehen? ?Überall dort, wo im großen Stil Bioabfälle anfassen: Brauereien etwa oder für die Verwertung von Grünabfällen im großen Stil?, nennt Schlitt mögliche Abnehmer.
Inzwischen seien die DBU-Fördergelder ausgelaufen und es gehe darum, Partner in der freien Wirtschaft zu finden. Noch etwas anderes schwebt Schlitt mit diesem Projekt im Sinn: „Unsere Region blutet immer mehr aus. Junge Leute, die ihr Studium absolviert haben, zieht es in die Ferne. Es wäre schön, wenn es mir damit gelänge, unsere Region wieder interessant zu machen“, sagt Schlitt, der selber einmal in Marburg Jura studierte , bevor er den elterlichen Betrieb übernommen hatte.
Redaktionelle Anmerkung:
Das mittelhessische Projekt ist selber als Teilprojekt 5 eingebunden in ein Gesamtprojekt, dessen Fäden am Institut für Zuckerübenforschung in Göttingen zusammenlaufen. Das Projekt, das noch bis 2012 läuft, heißt „Landbauliche Verwertung von HTC-Produkten aus Bioabfall (HTC-Biokohle)“
klaus meint
Ein sehr interessanter Beitrag und ein reizvoller Gedanke aus dem reichlich vorhandenen Grünabfällen nutzbare Brennstoffe zu gewinnen.