Rund 150 Kilometer hat Mittelhessen in seiner West-Ost-Ausdehnung. Mindestens zwei zentrale Autobahnen, mehrere zentrale Bundesstraßen. Rund eine Million Einwohner, von denen viele aufs Pendeln angewiesen sind. Weil sie auf dem Land wohnen und in einer der Städte in der näheren Umgebung zur Arbeit fahren müssen. Eine Zwangslage, die von den Mineralölgesellschaften ausgenutzt wird. Die Behauptung, dass es eine Mineralöl-Mafia gibt ist sicherlich aus der Luft gegriffen. Oder doch nicht? In den nächsten Wochen wird dies ein Recherchethema im Mittelhessenblog sein. Mit offen zugänglichen Fakten geht es los. Einem Preischeck quer durch Mittelhessen. Für die beiden Stichtage 26. Juni 2013 ab 20 Uhr und 27. Juni ab 8 Uhr gab es eine Preisdifferenz von 12 Cent. Die günstigste Tankstelle war dabei im Südwesten der Region Mittelhessen. In Limburg. Mit 1,31 Euro. Die zweitgünstigste war fast am anderen Ende Mittelhessens, in Alsfeld. Und dazwischen Tankstellen mit bis zu rund 1,45 Euro. In der Mitte Mittelhessens.
„Freie können durchaus noch die Preise gestalten“
Das Mittelhessenblog will dieser Sache auf den Grund gehen. Offen zugängliche Fakten sammeln, weniger offene Fakten ebenfalls. Es wird ein Recherchethema der nächsten Wochen werden. Informanten, die sich kürzlich an das Mittelhessenblog gewandt haben, werden Einblicke in ein sonst eher gut gehütetes Geheimnis gewähren: Die Methode der Preisgestaltung. Ohne zuviel zu verraten: Die Preisgestaltung wird offiziell nicht „von ganz oben“ vorgegeben. Zumindest nicht bei denen, die dem Namen nach noch freie, also unabhängige Tankstellen sind. Das verriet mindestens ein interner Kenner des Tankstellengewerbes dem Mittelhessenblog. Er wird, anonymisiert, in den nächsten 14 Tagen im Mittelhessenblog zu Wort kommen und tiefe Einblicke gewähren. Wie er sagt, haben die Tankstellenbetreiber durchaus die Möglichkeit, ihre Preise noch selber zu gestalten. Aber: Wenn sie sich nicht an gewisse „Empfehlungen“ halten, könnte ihnen der Entzug von Ware drohen („weil sie die Preise zerstören“). Bevor diese Geschichte gebracht wird, kommt aber diese Preisstichprobe. Sie setzt sich zusammen aus Internetrecherche und zusätzlichem Abfahren der Tankstellen in Nacht zwischen dem 26. und 27. Juni.
Ohne Mithilfe geht es nicht – Autofahrer melden Spritpreise
„Wir haben da keinen Einfluss drauf. Wir kriegen nur den Frust der Autofahrer mit“, sind Antworten, die Tankwarte in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder geben. Wenn sie denn überhaupt selber sprechen dürfen und nicht gleich an die jeweilige Pressestelle der beliefernden Mineralölgesellschaft verweisen.
Sicherlich kann man nicht gleichzeitig an allen Stellen sein, um zu wissen, um welche Uhrzeit wo welche Tankstelle gerade welchen Preis anbietet. Nur, dafür gibt es Portale wie clever-tanken.de oder tankcheck.de, die aber ohne die Mithilfe von Autofahrern und Tankstellenbetreibern dumm dastehen würden. Ihnen würden einfach die Daten fehlen, um ihr Informationen unters Tankvolk zu bringen. Allerdings: Was die Aktualität angeht, so scheint clever-tanken besser zu sein. Zumindest weisen die Tagesdaten unter den jeweiligen Preisen in der Regel immer den aktuellen Tag aus. Das hängt aber eben davon ab, ob Autofahrer und Tankwarte ihre jeweiligen Preisdaten übermitteln. Je mehr aus den verschiedenen Orten es sind, umso besser. Dieses Datennetz hat sich das Mittelhessenblog bei seiner ersten Recherche zunutze gemacht, die dann durch eine wenige Stunden später stattfindende nächtliche Recherchefahrt noch einmal zusätzlich überprüft wurde. Aus den festgestellten Preisen lässt sich zumindest dies ableiten: Wer seinen Wagen günstig betanken will, sollte bis in die Abendstunden warten oder sich noch einmal zu später Abendstunde oder nachts auf den Weg machen, um von den Preisen in dieser Zeit zu profitieren.
Wer zufällig abends in Limburg unterwegs war und tanken musste, landete mit etwas Glück beim HEM. Dort kostete der Diesel nach 20 Uhr 1,319 Euro. HEM ‑das steht für Hamburg Eggert Mineralölhandelsgesellschaft mbH, eine Gesellschaft, deren Wurzeln zwar in Hamburg liegen, die aber seit 1991 durch einen Kooperationsvertrag faktisch in libyschen Besitz ist. Die Betreibergesellschaft heißt heute Deutsche Tamoil Gmbh, gehört zur libyschen Oilinvest, die zumindest bis 2011 vom Umfeld Gaddafis kontrolliert wurde. Reuters-Korrespondent Aaron Gray-Block berichtete vor knapp drei Jahren (24. August 2011) darüber, dass die in den Niederlanden gemeldete Gesellschaft unter dem Druck der damaligen Ereignisse ihre Verbindung zu Gaddafi gekappt hatte. Heute wird der Gesellschaft nachgesagt, dass sie mit einem schlanken Personalkonzept auf Expansionskurs in Deutschland ist. Am heutigen 27. Juni lag der Preis für den Liter Diesel in Limburg bei 1,369 Euro. Die anderen Gesellschaften wie etwa Aral oder Shell hatten ihre Preise dagegen nur geringfügig oder gar nicht angehoben, wenngleich sie um einige Cent über HEM lagen (siehe dazu die eingeblendeten Bildschirmkopien). Die Differenz zwischen den Preisen des Vortags liegt bei HEM bei 5 Cent, bei Total bei drei Cent, bei Shell bei einem Cent.
Um eine direkte Vergleichbarkeit auch innerhalb des Angebots einer Kette haben zu können, haben wir uns Total angesehen. So kostete der Liter Diesel in Alsfeld am 26. Juni 1,429. Uhrzeit 10:22. Am gleichen Tag, nur etwa eine halbe Stunde früher kostete der gleiche Liter Diesel von der gleichen Kette in Limburg 1,399. Einen Tag später, also am 27. Juni waren die 1,429 aus Alsfeld um 9.24 Uhr in Limburg gelandet. Dafür wollte Total in Alsfeld am 27. Juni um 8.27 Uhr 1,449 für den Liter haben. Man muss allerdings berücksichtigen, dass es sich in Alsfeld um eine Autobahntankstelle handelt – nur, rechtfertigt die Lage an der Autobahn, dass der gleiche Liter Diesel dort teurer gehandelt wird?
Zum Glück gibt es noch eine weitere Gesellschaft, die sowohl in Limburg wie in Alsfeld Tankstellen hat. Und die liegen nicht an der Autobahn. Die Rede ist von Shell. Am 26. Juni kostete der Liter Diesel in Limburg um 13:23 Uhr 1,389 Euro, am gleichen Tag müssen die Kunden in Alsfeld knapp eine Stunde später 1,399 Euro für den Liter Diesel bezahlen. Am anderen Tag, am 27. Juni kostet der Liter Shell-Diesel in Limburg um 10:38 Uhr 1,399 Euro während er rund 40 Minuten früher in Alsfeld 1,409 kostet. Mit anderen Worten: Eine flächendeckende Erhöhung vorausgesetzt, wäre der Preis bei Shell um einen Cent gestiegen – im Osten allerdings mehr als im Westen. Insgesamt aber liegen sechs Cent zwischen diesen Preisschwankungen allein in Limburg und nimmt man das West-Ostgefälle dazu, ist zwischen dem billigsten Anbieter im Westen und den Preisen im Osten eine Differnz von acht Cent je Liter – immer berücksichtigt, dass es sich um Momentaufnahmen von Autofahrern und Tankwarten handelt.
Wie sieht es nun in der Mitte aus? Zur Orientierung dient wieder Shell, dieses Mal in Gießen. Vergleichbare Beobachtungen gelten für Marburg und Wetzlar.
Wer in Gießen am 26. Juni um 14. 25 Uhr seinen Tank mit Shell-Diesel füllte, musste einen Cent mehr als in Alsfeld bezahlen, am 27. Juni kostete der Liter um 13.12 Uhr dann sogar 1,459 Euro. Wer in der Kernregion Mittelhessen tanken will, muss bei den Markentankstellen wie Shell und Aral ebenfalls rund 1,459 Euro je Liter einkalkulieren. Und erreicht damit preisliche Spitzenwerte.
Ungebrochener Niedrigstpreis im Südwesten ‑Preisunterschiede von 14 Cent
Nach den Informationen, die Clever-Tanken bereithält ist es aber auch wieder die Limburger HEM-Tankstelle, die bei diesen Stichproben den Niedrigpreisrekord hält: Um 19:50 Uhr meldete Clever-Tanken einen Preis von 1,329 Euro, einen Cent über dem Vortagespreis. Mit diesem Preis liegt die Limburger Tankstelle noch unter den Preisen von mancher freien Tankstelle. Diese haben sich im mittelhessischen Kerngebiet etwa um Positionen um 1,369 und 1,399 Euro bewegt.
Insgesamt brachte die Stichprobe Preisunterschiede von bis zu 14 Cent zwischen den drei mittelhessischen Teilregionen West, Mitte und Ost hervor, zum Teil auch erhebliche Unterschiede innerhalb einer Mineralölgesellschaft. Ob das alles tatsächlich nach dem Zufallsprinzip geschieht, der Rohölpreis oder die Währungsschwankungen eine Rolle spielen – darüber wird es in den nächsten Wochen im Mittelhessenblog gehen.
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