Am 20. Februar 2013 soll vor dem sechsten Senat des Bundesverwaltungsgerichts der Fall eines Kollegen verhandelt werden, bei dem es vordergründig nur um eine einfache Auskunft in einer bestimmten Geschichte geht: Der Kollege will vom BND etwas über die NS-Vergangenheit von BND-Mitarbeitern wissen. Der BND hatte sich dagegen gewehrt und vertritt die Position, er müsse keine Auskunft geben. Tatsächlich geht es aber um mehr, nämlich darum, ob Bundesbehörden künftig nach Belieben erzählen, was ihnen passt oder ob sie Auskunft geben müssen. Der Ausgang dieses Verfahrens ist auch für unsere regionale Arbeit wichtig. Warum?
Direkte Dependanzen von Bundesbehörden haben in Mittelhessen direkt eher Seltenheitswert. Dafür konzentrieren sich einige davon in Gießen. Genauer gesagt im Dunstbereich des Gießener Bahnhofs. Also dort, wo schnell Menschen ankommen können. Und mit dem Frankfurter Flughafen vor der Nase (knapp 45 Minuten mit der Bahn ab Gießen) auch schnell aus weiterer Entfernung erreichbar.
Abgesehen von der Tatsache, dass der BND auch in Gießen ein Kontaktbüro unterhält, sitzt auch eine Außenstelle des BAMF in Gießen. Des was? Des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Das sitzt mit seiner Außenstelle M9 am Meisenbornweg 11. Jene Außenstelle 9 gehört zur Abteilung 5 des BAMF, die für Ayslverfahren, die regionale Koordination von Intergration und andere Aufgaben rund um Einwanderung zuständig ist. Ingesamt gibt es 22 dieser Außenstellen und einigen von ihnen sind getarnte Dienststellen des BND zugeordnet, die offiziell anders heißen und im Organisationsplan des Bamf nicht auftauchen.
Das BamF hieß bis 2004 seit seiner Gründung 1953 „Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge“. Dort war auch der Sitz des Zentralen Aufnahmelagers des Landes Hessen. Das war es seit dem 1. Mai 1986. Bis dahin hieß das Lager „Bundesnotaufnahmelager“. Ab 1993 wurde daraus die „Erstaufnahmestelle des Landes Hessen für Ayslbewerber“. Was die Adresse betrifft, lautet diese: Land Hessen, Regierungspräsidium Gießen, Dezernat 61, Meisenbornweg 13. Das Dezernat 61 gehört zur Abteilung VI, Soziales, des Regierungspräsidiums. Worum kümmert sich das Dezernat? Unter anderem eben auch um die Betreuung von Flüchtlingen. Soweit alles in Ordnung.
Dies sollte man aber noch wissen. Die Information darüber ist nichts Geheimes. Sie steht allerdings (bis zum Zeitpunkt der Recherche zu diesem Artikel) auf einer der tiefer versteckten Seiten des Bundesinnenministeriums. Und nicht dort wo man diese Angabe eigentlich vermutet hätte, etwas auf einer der Seiten des hessischen Innenministeriums. Mag sein, dass dies seit der Föderalismusreform des Bundes, die begann 2006, eben einfach irgendwie vergessen wurde. Die Seite mit den Informationen über die Gießener Erstaufnahmestelle steht hier. Das Datum dieser Seite weist auf den 27. Mai 2005 hin. Also ein Jahr vor dem Beginn der Reform.
Warum dieses Datum so wichtig ist? Zum einen arbeitete während dieser Zeit der Jurist Jan Hecker als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesinnenministerium und schrieb damals einen Aufsatz, in dem er begründete, wieso der Bund eigentlich keine Auskunftspflicht gegenüber der Presse haben müsse. Das könne nach Ermessen entschieden werden. Und heute sitzt Jan Hecker als Richter im VI Senat des Bundesverwaltungsgerichts, um am 20. Februar 2013 über die Klage eines Journalisten zu entscheiden, der etwas vom BND über die NS-Vergangenheit seiner Mitarbeiter wissen will. Dieses Ansinnen will der BND abwehren. Nur darum geht es vordergründig. Diese Fragestellung geht nach Einschätzung etwa der Juristen des Deutschen Journalistenverbands (DJV) noch weiter. Stellt sich das Gericht tatsächlich auf die Position des EX-BMI-Mitarbeiters und jetzigen Kollegen Heckers, dann könnte aus dem Urteilsspruch tatsächlich ein Umkehr werden. Dann hätte der Bund tatsächlich ein Auskunftsrecht und keine Pflicht zur Auskunft. In Praxis würde dies bedeuten, wenn etwa sich etwas am Aufnahmelager in Gießen ändern sollte, ob es schließt, ausgebaut wird oder ob von dort möglicherweise Spione zum Einsatz in ihren Herkunftsländern geworben werden, das alles wären Fragen, bei denen man auf den guten Willen des Pressesprechers angewiesen wäre. Die Tatsache dass der BND überhaupt außer an seinen offiziellen Dienstsitzen im Inland Dienststellen unterhält, ist zumindest in einem rechtlichen Graubereich. Denn laut Grundgesetz darf der BND, der eigentlich ein Auslandsnachrichtendienst ist, nicht auch auf deutschem Boden geheimdienstlich tätig werden. Das ist dem Grundgesetz nach Sache des Verfassungsschutzes. Dort hatte Hecker übrigens auch während seiner Zeit beim BMI zwei Jahre lang gearbeitet.
Woher wir das wissen, dass der BND in Gießen am Meisenbornweg eine Außenstelle unterhält? Auch das ist im Grunde kein Geheimnis. Die Grünen hatten dazu im Bundestag eine Anfrage gestellt, auf die die Bundesregierung antwortete (Anfrage der Grünen). Den Rest lieferten Wikipedia
und weitere Quellen, die allerdings den Informantenschutz der Mittelhessenblog-Redaktion genießen. Nach diesen Informationen gilt es als sicher, dass der BND im Aufnahmelager in Gießen eine seiner getarnten Dienststellen unterhält. Nach den uns vorliegenden Informationen ist es möglich, dass diese Stelle offiziell dem BAMF als „interne Kontrollstelle für Ausländerfragen“ zugeordnet ist. Offizielle Führungsstelle dafür wiederum ist die Hauptstelle für Befragungswesen.
Soweit die Zusammenhänge, die von Berlin und Leipzig direkt nach Gießen führen. Unabhängig davon dürfte ein Spruch im Sinne der Erwartungshaltung des Bundesinnenministeriums dazu führen, dass künftig Bundesbehörden Anfragen, die von öffentlichem Interesse sind, zu einem Lotteriespiel machen. Bereits jetzt scheitert manche Rechercheanfrage daran, dass Gebühren verlangt werden oder die Einsicht nur direkt am Standort der Behörde oder des jeweiligen Bundesamtes gewährt wird. Das ist eine Praxis, die der auf der anderen Seite verlangten Transparenz und Bürgerbeteiligung weitestgehend widerspricht.
Die Aktion Pro Pressefreiheit
Vor dem Hintergrund des aktuellen Verfahrens zur Auskunftspflicht des Bundes haben wir bei Facebook die Seite Pro Pressefreiheit eingerichtet, die sich künftig mit allen Fragen rund um Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Gedankenfreiheit befassen wird. Über Twitter kann der Aktion über den Account @presseistfrei folgen. Diese Seite wurde am 14. Februar ins Leben gerufen und hat bisher rund 146 Likes (Gefällt mir-Angaben) erhalten. Gegenwärtig wird die Seite rund 220 mal an anderen Stellen zitiert. Wir würden uns über eine kräftige Unterstützung und Beteiligung freuen. Im Sinne eines der zentralen Güter unserer Demokratie. Hier im Mittelhessenblog werden wir dafür ebenfalls eine Projektseite einrichten. Die möglicherweise vorliegende Befangenheit Heckers hatte die Mittelhessenblog-Redaktion bereits am 14. Februar in dieser neuen Seite beleuchtet. Spiegel Online und Wikipedia hatten diesen Faden wenig später aufgegriffen.
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