Stellen Sie sich vor, Sie gehen am Montag zur Arbeit und erfahren: „Wir freuen uns über jeden Tag, an dem Sie sich für unser Unternehmen einsetzen. Und Sie sind wichtig für uns“ – Schön, denken Sie. Das ist fein. Und planen im Geiste schon mal die Anschaffung einer neuen Waschmaschine, oder Geschenke für Ostern. Und dann hören Sie Ihren Personalchef sagen: „Aber wir wissen momentan selber noch nicht so genau, wo und wie Sie morgen für uns arbeiten“.
Diese Atmosphäre begleitet inzwischen Schleckermitarbeiterinnen in Mittelhessen – von Schlitz bis Haiger, von Wetter bis Hungen, Langgöns und Hüttenberg- in überwiegender Zahl sind es Frauen, die eine der Filialen der Drogeriekette Schlecker leiten, Frauen, die Regale einräumen, die die Kasse machen, Waren sortieren.
In den großen Medien wird die Nachricht verbreitet: Eines sei sicher: Die Liste der Märkte, die das angeschlagene, in der Insolvenz stehende Familienunternehmen abstoßen will. Näheres herauszubekommen, von der Unternehmensführung, ist auch für Journalisten, wenn sie nicht zu einem der so genannten Ankermedien gehören, schwierig. Was ist mit den Logistiklagern? Bleiben die nun bestehen, so wie das Logistiklager in Garbenteich. Wie etwa Schleckersprecher Frederic Bollhorst vor wenigen Tagen zitiert wird. Vom zuständigen mittelhessischen Verdi-Sekretär, Joachim Haucke, ist zu hören, dass er selber nicht weiß, was in diesem Lager eigentlich los sei. Keiner da, und wenn, dann Leiharbeiter. Stimmt das? Ist der Eindruck richtig? Die Nummer des auf der Schleckerwebsite angegebenen Pressesprechers, Patrick Hacker, ist seit zwei, seit drei Stunden blockiert. Kein Durchkommen. Gut, die Information bekommt man anders. Schließlich will man ja wenigstens etwas Klarheit in diese Nebelsuppe sich widersprechender Informationen bringen. Immerhin hat die Agentur, die Schlecker seit 2010 in der Pressearbeit betreut, einen Ruf. Doch die freundliche Mitarbeiterin der Agentur kann nur versprechen, die Notiz mit der dringenden Information direkt weiterzuleiten. Mit der Bitte um dringenden Rückruf. Durch Patrick Hacker, durch Frederic Bollhorst, am Ende durch den Chef selber, Prof.Dr. Alexander Güttler. „Sie können sich nicht vorstellen, was bei uns los ist“, sagt die junge Kollegin. Die Hoffnung, vielleicht via Twitter eine kleine Kurznachricht zu erhaschen, einen der drei Männer, die gerade für Schlecker die Krisen-PR managen, läuft ins Leere: Schlecker ist Fehlanzeige in den Tweets.
Aber immerhin: Im Kleinen funktioniert der Informationsfluss. Was macht diese Wackelsituation der vergangenen Wochen mit den Mitarbeitern? Darüber, wieviele Märkte geschlossen wurden, werden, war nun schon genug gesagt worden. Aber hinter jeder Zahl steht ein Mensch. Je 40 bis 60 Menschen soll es im Schnitt treffen – rechnet Verdi-Mann Haucke hoch. In den drei von Verdi Mittelhessen betreuten Landkreisen Gießen, Marburg und Lahn-Dill. Limburg-Weilburg und der Vogelsbergkreis sind schon wieder andere Bezirke.
„Für mich ist Schlecker hier wie mein zweites Zuhause geworden“, sagt Lucyna Dwaronat in Rechtenbach. Die 1960 geborene Frau ist seit 22 Jahren Mitarbeiterin, seit rund fünf Jahren Leiterin des Marktes, der direkt an der Frankfurter Straße liegt. Der Hauptdurchgangsstraße des Ortsteils mit Rathaussitz der Gemeinde Hüttenberg. In der Frankfurter geht es Richtung Wetzlar und Butzbach. In direkter Nachbarschaft auf der gleichen Straßenseite ist ein Eiscafe. „Mir tun die alten Leute leid“, sagt die Noch-Filialleiterin. Denn sie weiß seit dem 13. März, dass ihre Filiale auch zu denen gehört, die schließen und deswegen alle Ware in eineim Räumungsverkauf bis zum 25. März draußen sein muss. „Ich kann jetzt unmöglich nachhause gehen“, sagt sie. Mit Leuten reden, ihren Kunden. „Das ist schlimm, wenn Ihr nicht mehr da seid, was sollen wir dann machen“, fragt eine langjährige Stammkundin- Für sie, wie für viele andere alte Rechtenbacher Schleckerkunden ist die gestandene Filialleiterin nur „unsere kleine Lucy“ – Klein deswegen, weil sie ihre ersten beruflichen Schritte in der Filiale von Beginn an miterlebt hatten.
Für ihre Kollegin, Elke Meis, ist trotz „zwölf schöner Jahre“ bei Schlecker jetzt so einiges nicht schön: Die Ungewissheit, das Rätselraten, ob nun die Kündigung kommt oder nicht. „Ich kann mir eigentlich nichts anderes mehr vorstellen.“. Ihr eigener Markt ist seit 12. Januar geschlossen. Er war in Pohlheim-Holzheim, im benachbarten Landkreis Gießen. Mit ihren 57 Jahren müsse sie froh sein, wenn sie noch jemand anstellen wolle. Das sei der Fall. Zumindest bestehe die Chance. Am Montag sei das Vorstellungsgespräch. Aber solange sie nicht wisse, wie es denn nun weitergehe, mit ihr und Schlecker, solange wolle sie nicht einfach von sich aus kündigen. „Das wäre doch dumm“. Wie Meis sagt, arbeite sie seit der Schließung ihres Marktes als Springerin. Die weiteste Einsatztour habe sie in die Nähe Friedbergs geführt.
Obwohl beide Frauen nun von der Schließung ihrer Märkte betroffen sind, wollen beide nichts auf ihren Nocharbeitgeber kommen lassen. Die Bezahlung sei gut gewesen, die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, ebenfalls. Ganz anders reagieren andere Marktleitungen im mittelhessischen Raum. Sie wollen entweder gar nicht erst von sich aus mit der Mittelhessenblog-Redaktion reden, sondern verweisen direkt auf die Zentrale ‑oder sie zeigen wenigstens Mitgefühl für die betroffenen Kolleginnen und bestätigen den Eindruck des Verdi-Sekretärs: Eines ist sicher, dass die Begleitumstände rund um die Schleckermarkt-Schließung alles andere als geordnet sind. „Sie sind chaotisch.“
Diese 24 Märkte in Mittelhessen sollen laut offizieller Schleckerliste vom 14. März in Mittelhessen geschlossen werden:
Bad Endbach, Am Kurpark 2,
Diethölztal, Hauptstraße 85
Ebsdorfergrund, Dreihäuserstraße 15
Gießen, Gießener Straße 75,
Gladenbach, Marktstraße 7
Greifenstein, Herborner Straße 47
Hadamar, Gymnasiumstraße 11, Mainzer Landstraße 17
Haiger, Bachstraße 23
Herborn, Marburger Straße 52
Hüttenberg, Frankfurter Straße 20
Laubach, Marktplatz 2
Limburg, Westerwaldstraße 111–113, Untergasse 3
Linden, Bahnhofstraße 85
Löhnberg, Auf dem Kalk 2
Marburg (Schloßberg), Universitätsstraße 15
Mengerskirchen, Zum Sportplatz 6
Schlitz, Günthergasse 29–31
Solms, Braunfelser Straße 19
Stadtallendorf, Im Tal 3a
Waldsolms, Tränkwasser 3
Wetter, Alter Graben 3
Wetzlar, Alte Straße 1
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