Des Deutschen beliebteste TV-Reihe sind die Tatortkrimis der ARD. Wenn ein neuer Fall gesendet wird, treten alle anderen aktuellen Themen in den Hintergrund und der Zuschauer nimmt regen Anteil am Krimi-Geschehen. So auch am vergangenen Sonntag, als der neueste Fall der niedersächsischen LKA-Ermittlerin „Charlotte Lindholm“ (Maria Furtwängler) ausgestrahlt wurde. Gelegenheit für einen Zwischenruf aus Mittelhessen. Von einem Mittelhessen, der viele Jahre in der Nähe von Hannover gelebt hat.
Was liegt da näher, als den letzten hessischen Tatort „Das Dorf“ mit Ulrich Tukur als Felix Murot und den aktuellen „Schwarze Tiger, weiße Löwen“ aus Niedersachsen zu vergleichen?
„Jaa“, werden nun sicherlich manche einwenden „Man kann doch nicht Äpfeln mit Birnen vergleichen“. Denn der Tatort „Das Dorf“ war kein gängiger Krimi, sondern ein Novum. Künstlerische Eleganz mit Anleihen bei Edgar Wallace und Alfred Hitchcock. Der Einsatz von stilistischen Stilmitteln, Zitaten aus Filmklassikern und die fast schon morbide zu nennende Atmosphäre eines Dorfes im Taunus. Züchtung einer besseren Menschenrasse und Organklau im Taunus ist schon monströs. Aber höchst fiktiv. Dieser Film ist ein außergewöhnliches Experiment, welches polarisieren sollte – und es auch getan hat. Die vielen tausend pro und contra Kommentare im Internet bestätigen dies.
Haben wir auf der hessischen Seite einen Ermittler der mit seinem Gehirntumor „Lilly“ eine innige Zwiesprache pflegt, so können wir die niedersächsische Ermittlerin bei den Irrungen und Wirrungen ihres Liebeslebens begleiten. Was davon amüsanter ist, mag jeder für sich selbst entscheiden.
Lustig waren die hormonell gesteuerten Emotionen von Frau Lindholm aber nicht – vor allem vor dem Hintergrund der Thematik des eigentlichen Falls, der sich erst nach quälenden 45 Minuten erschloss: Kindesentführung, Gefangenhaltung und sexueller Missbrauch. Offensichtlich stand der Fall Natascha Kampusch hier Pate. Ob den Drehbuchschreibern dies bewusst war, als sie Lindholms pupertäres Verhalten und leidenschaftliche Liebesszenen im Hotel einbauten? Dass Fuß-Fetischisten und Pencilskirt-Liebhaber („Bleistiftröcke“, red.Anmerkung) sich im Internet ob der ständig im Mittelpunkt stehenden (und abbrechenden) High Heels von Lindholms Kollegin begeistert äußern, vermag dann nur noch als dunkler Treppenwitz erscheinen. Ein wenig mehr Sensibilität angesichts dieser ernsten Problematik hätte dem Anspruch des Krimis sicherlich gut getan. So allerdings bleibt ein fader Nachgeschmack.
Dass der Tatort, komprimiert auf die tatorttypischen Handlungs- und Regiemuster, notfalls mit zwei Minuten und drei Sekunden (123 Sekunden) auskommen kann, führt ein Sender vor, von dem man diese Selbstironie mit dem eigenen Medium vielleicht am wenigsten erwartet hätte: Auf Tele 5 hat seit kurzem die Satiresendung „Walulis sieht fern“ gängige Fernsehformate im Visier, so auch den Tatort.
Beide Tatorte, der hessische und niedersächsische, bauen Klischees auf. Nämlich die vom tumben, unnahbaren Dörfler. Ist das angebracht? Sicherlich, Filme leben davon, Klischees zu bedienen. Manchmal ist das auch recht witzig. Aber man sollte es nicht übertreiben. Klar, der Menschenschlag im Norden ist etwas zurückhaltender als der hessische. Ebenso, dass es in beiden Landesteilen Dörfer gibt, wo ein Fremder erst mal misstrauisch beäugt wird. Aber dass man wie im hessischen Tatort in der Dorfwirtschaft von der Bedienung und den anderen Gästen derart rüde und abweisend behandelt wird, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Gut, in diesem Falle mag diese Darstellung noch entschuldbar sein, hatten die Protagonisten doch ihre unterirdische und natürlich illegale Organverpflanzungsklinik zu verbergen und zudem ging es sowieso nicht darum, Realität abzubilden.
Hat man jedoch real in einem niedersächsischen Dorf, wie hier die fiktive Charlotte Lindholm einen Autounfall, dann kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass nicht nur hinter den Gardinen hervorgeschaut, der Verunfallte als „Idiot“ dargestellt und ansonsten mit seinem Missgeschick allein gelassen wird. Dass der Einzige, der im Film seine Hilfe anbot, sich ausgerechnet als der Entführer und Kinderschänder entpuppte, setzt allem natürlich noch die Krone auf. Überhaupt fällt bei den Lindholm-Tatorten auf, dass niedersächsische Dorfbewohner immer wieder als eigenbrötlerische Sonderlinge dargestellt werden, die naturgemäß meist dunkle Geheimnisse zu verbergen haben.
Bei all der Klischeebildung/-pflege daher der Rat: Weniger ist mehr…
Wo ist er nun, der angekündigte Vergleich: Wer macht den besseren Tatort? Hessen oder Niedersachsen?
Entfällt… Warum? Weil ein jeder seine Vorzüge und Nachteile hat. Was besser ist, liegt im Auge des Betrachters. Und über Geschmack lässt sich nicht streiten. Höchstens über die handwerkliche Machart.
Und was die Dörfer betrifft: Kommen Sie einfach in Hessen als auch in Niedersachsen auf einen Sprung vorbei. Lernen Sie die Bewohner kennen… Verlassen Sie sich nicht auf das, was die ARD Ihnen hier suggeriert. Die Realität kann kein Film abbilden 🙂
Susanne meint
Vielen Dank, dass hier mal jemand eine Lanze fürs Dorf gebrochen hat. Das Bild vom tumben Dörfler, das der Tatort vermittelt, mag vor 40 Jahren noch gestimmt haben. Heute sind die Hälfte der Dorfbewohner – mindestens – Städter, die aufs Land gezogen sind. Die sogenannten B‑Plan-Leute (B‑Plan = Bebauungsplan). Die sind nicht nur anders als das Klischee vom Dorfbewohner, sondern auch die Alteingesessenen sind heute moderne, junge Leute. Zudem wird Hilfsbereitschaft auf dem Dorf noch groß geschrieben. Für die Tatorte ist es aus dramaturgischer Sicht natürlich viel reizvoller, den Kontrast zwischen weltläufigem Städter und schlicht gestricktem, misstrauischen Landbewohner zu zeigen. Also lassen wir die Autoren doch einfach machen und denken uns unseren Teil.
Martha meint
Ich gebe zu, dass ich den letzten Tatort am Sonntag noch nicht gesehen habe. Aber ich kann trotzdem vollkommen verstehen, wie man von den Klischees, die darin bedient werden genervt ist. Allerdings spielt doch jeder Tatort mit Klischees. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Berliner Tatort, in dem ein junger, aufstrebener Künstler ums Leben kam. Der war genauso dämlich platt. Letztendlich soll ja hier die Spannung m Vordergrund stehen, zu der beim Tatort ja meist eine recht düstere Stimmung gehört. So etwas klappt dann wohl bessere über graue Klischees und Stereotypen.
Letztendlich muss wohl jeder Zuschauer entscheiden, wie er die dargestellten Umstände auf dem Land einordnet. Ich glaube nicht, dass nun jeder gleich ein schlechtes Bild von ländlichen Gebieten in Niedersachsen hat.