Früher hielten Könige Hof, heute sind es Bauern. Bauern, die sich angesichts der gegenwärtigen Agrarpolitik an die Wand gedrückt sehen, den Verbraucher gleich mit und deswegen für mehr Transparenz und bessere Einkommesbedingungen eintreten. Unter dem Motto „Bauer hält Hof“ macht gegenwärtig bundesweit die Vereinigung „Meine Landwirtschaft“ darauf aufmerksam. Vor dem Hintergrund, dass in Brüssel und Straßburg, dem Sitz von EU-Kommission und EU-Parlament, im laufenden Jahr 2011 die Karten für eine neue Agrarpolitik nach 2013 neu gemischt werden. Im mittelhessischen Oberbiel war es der Milchbauer Reiner Menz, der seinen Hof als Platz für eine Informationsrunde über eine andere Landwirtschaft zwischen kommunaler Politik, Verbrauchern und Landwirten zur Verfügung stellte.
Ein Thema, das in einschlägigen Talkrunden und Politmagazinen angesichts von Ehec, tatsächlichen oder vermeintlichen Dioxinskandalen und Berichten über fragwürdige Praxis in Großschlachtereien regelmäßig für Aufsehen sorgt, lockte auf den Menz’schen Hof allerdings eher eine überschaubare Zahl interessierter Gäste an – viele von ihnen selbst wieder Landwirte.
Weil aber mit Heike Habermann, Vorsitzende des Umweltausschusses im Gießener Kreistag und dem Ersten Beigeordneten des Lahn-Dill-Kreises, Wolfgang Hofmann Vertreter der Kommunalpolitik der beiden benachbarten mittelhessischen Landkreise erschienen waren, zudem mit Dr. Rudolf Müller, dem Leiter des Veterinäramts des Wetteraukreises, ein Vertreter einer wichtigen Kontrollinstanz im Zusammenspiel zwischen Landwirten, Lebensmittelmarkt und Verbrauchern erschienen waren, hegen die Veranstalter die Hoffnung, dass der öffentliche Druck „von der Basis“ auch in der Region noch stärker wird. Das erklärte zumindest Nadine Reichel. Die junge Frau, die in Gießen Landwirtschaft studiert, engagiert sich im Jugendverband des Bundes Deutscher Milchviehhalter (BDM-Young) und trat an diesem Tag als lokale Sprecherin des Bündnisses „Meine Landwirtschaft“ auf. Weil Vertreter anderer beteiligter Partnerorganisation an diesem Tag nicht hätten kommen können, hätten die lokalen BDM-Vertreter die Organisation übernommen, erklärte sie die BDM-Dominanz während der Veranstaltung.
Bei der Kritik an fehlgeleiteter Agrarpolitik wurde Blick in die Region ausgeklammert
So führte Stefan Mann, sonst stellvertretender Vorsitzender des BDM-Bundesverbands, in die komplexe Materie der internationalen Agrarwirtschaft ein, skizzierte die Entwicklungsschritte der europäischen Agrarpolitik über einen Zeitraum von rund 50 Jahren, dämpfte aber gleich die Hoffnung, dass lokale oder regionale Strukturen vorgestellt würden. Das, so Mann, sei aber gar nicht nötig, da letzten Endes die europäischen Bauern sowieso in einem Boot säßen – bezogen auf den Weltmarkt. Dafür liegen die Fragen auf der Hand, die gerade auch den regionalen Raum betreffen. So beklagten inzwischen verschiedene Landwirte gegenüber dem Mittelhessenblog, dass gerade etwa in der Heimat Manns, im Ebsdorfergrund, dort wo verstärkt in Biogasanlagen investiert würde, auch die Pachtpreise empfindlich anziehen würden. Weil es um die Konkurrenz zwischen Ackerfläche für die Nahrungsmittelerzeugung oder für die Biomasserzeugung für die Biogasanlagen gehe. Diese Einschätzung hatte auch Rolf Wrede, Landwirt aus Reimershausen, ebenfalls Landkreis Marburg-Biedenkopf, bereits während der Maiserntesaison bestätigt.
Ohne in diese regionalen Details zu gehen, riss Mann dieses Thema vor dem globalen Hintergrund doch an. Mann wies in Oberbiel vor dem Hintergrund auch auf die Folgen gegenwärtiger Handelspolitik am Beispiel von Geflügelfleisch hin. So würden die besten Teile auf dem europäischen Markt bleiben, während die minderwertigen Teile nach Afrika exportiert würden und den dortigen lokalen Bauern das Leben schwer machen würden. Die europäische Ware würde zu Kamfpreisen in den Markt gedrückt. Damit würde die dortige Landwirtschaft zerstört, was dort wieder für Probleme bishin zu den bekannten Hungersnöten führe. Zwar nicht mit Hungersnöten, aber letztlich ebenfalls mit diesen Folgen einer falschen Agrarpolitik hätten die Bauern in Deutschland zu kämpfen, was am Ende zum Höfesterben und damit geradewegs weg von der in der Politik immer wieder beschworenen Regionalität führe.
Mann sagte, es sei durchaus möglich, dass mit einer vorausschauenden Mengen- und Marktregelung sowohl für ein stabiles Einkommen der Landwirte wie auch bezahlbare Verbraucherpreise gesorgt werden könne.
Die Gießener Grünen-Politkerin Habermann meinte, ihnen als ehrenamtlichen Kommunalpolitikern bliebe ja nichts weiter, als immer wieder „schöne Papiere“ zu verabschieden. Sie müssten sich ansonsten ja auf das verlassen, was ihnen die Experten auf den Tisch legen würden. Habermann reagierte damit auf den aufgeregten Kommentar einer Landwirtsfrau aus dem Landkreis Gießen. Sie hatte sich darüber aufgeregt, dass die politische Verantwortung oft genug in Händen von Leuten läge, die „mal für Gesundheit, dann wieder für Wirtschaft und beim nächsten Mal für Landwirtschaft“ zuständig sind. Die Landwirtin zielte damit aber eher auf die Besetzung von Ministerposten in der Bundesregierung.
Habermann stellte außerdem noch fest , dass wenigstens durchgängig Einigkeit in der Gießener Kreistagspolitik herrsche, dass gentechnisch veränderte Organismen nicht auf den heimischen Äckern angebaut werden solle. Gleichzeitig kritisierte sie die Justus-Liebig-Universität, die es zulasse, dass unter anderem Namen in Mecklenburg-Vorpommern, weiter an gentechnisch veränderten Organismen für die Landwirtschaft geforscht werde.
Zu einem weiteres Reizthema lieferte der Wetterauer Veterinär Dr. Müller eine Neuigkeit, die die Zuhörer raunen ließ: „Wir haben jetzt in unserem Landkreis 50 Schlachtbetriebe zugelassen, nach den aktuellen EU-Richtlinien. Dafür konnten wir den Ermessensspielraum ausnutzen, um die Schlachtbetriebe zuzulassen“, so Müller. Kurz vorher hatte Mann noch auf die Misere auch in diesem Handwerk hingewiesen, das Hand in Hand mit dem Höfesterben gehe. Kleine regionale Schlachtereien gäbe es ja kaum noch.
Vorläufiger Höhepunkt der bundesweiten Aktionen des Bündnisses „Meine Landwirtschaft“ wird eine Demonstration mit dem Motto „Wir haben es satt“ während der Grünen Woche in Berlin am 21. Januar 2012 sein. Darin fordern die Bauern einmal mehr die Kehrtwende von einer Agrarindustrie wieder hin zu klassischen Bauernhöfen. „Hier in Hessen und gerade in Mittelhessen trifft uns dieser Zug ja noch nicht so stark“ erklärte Stefan Mann. Aber: „Inzwischen ist es auch der Bevölkerung im gesamten Bundesgebiet nicht mehr egal, dass ein Hof nach dem anderen wegstirbt“, meint Mann. Deswegen findet die Demonstration wieder wie bereits während der Grünen Woche 2011 statt.
Weiterführende Links:
Roger Burk meint
War ja gut und richtig, dass es endlich mal regnete. Glaube aber, dass ansonsten noch mehr Interessierte an dem Tag zum Hof gekommen wären.
Lena meint
Ich wusste doch das ich sie „irgend woher kenne!“
Wobei hier das einseitige erkennen begründet ist.
Die Familie und das persönliche Interesse begründen es wohl …
Mfg
Lena K.R.