Bereits der ehemalige Gießener Rechtssoziologe Thomas Raiser hatte in den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts festgestellt, dass die Zivilstreitigkeiten an den bundesdeutschen Gerichten exorbitant zunehmen, gar die damaligen Westdeutschen sozusagen Europameister sind, wenn es darum geht, jemanden zu verklagen. Raiser hatte, bevor er an die Humboldt-Universität nach Berlin wechselte, prophezeit, dass die zunehmende Prozesshanselei der Deutschen sich spürbar in den Alltag eingraben werden und dies zu einer fortschreitenden Verunsicherung der Vertreter des öffentlichen Lebens bei alltäglichen Entscheidungen führen würde. Jüngstes Beispiel hierfür ist ein Fall aus Biebertal im Gießener Westkreis.
In dessen Ortsteil Fellingshausen hatten sich vor kurzem einige Jugendliche gefunden, die aus Spaß am Mountainbikefahren sich einen seit rund zehn Jahren brach liegenden Erdhügel im Baugebiet Dreispitz hergerichtet hatten. Die Jugendlichen wohnen alle im Einzugsgebiet des Baugebiets. Deren Initiative findet sogar die Biebertaler Jugendpflegerin Nathalie Liebing bemerkenswert.
Dennoch fühlte sich „ein Politiker aus dem Ort“ wohl gestört und rief bei der Gemeinde an, wie Nachbarn berichteten. Daraufhin sei die Biebertalerin Ortspolizistin erschienen und habe die Jugendlich „recht robust“ zurechtgewiesen, sie hätten auf dem Hügel nichts verloren. Der gehöre der Gemeinde. Das wiederum rief die Eltern auf den Plan und führte zur Berichterstattung im Gießener Anzeiger. Unabhängig von der Berichterstattung habe man ohnehin vorgehabt, sich mit den Jugendlichen zu treffen, versicherte der Biebertaler Ordnungsamtsleiter Michael Thome während des anberaumten Ortstermins.
„Es geht uns nicht darum, den Jugendlichen den Spaß zu nehmen“, versicherte Biebertals Bürgermeister Thomas Bender. „Sie waren doch selber jung und haben draußen gespielt. Da hat sich doch auch niemand aufgeregt?“- diese Frage bejahten zwar sowohl der Bürgermeister, der Ordnungsamtsleiter und die Jugendpflegerin. „Aber etwas entscheidendes hat sich geändert: Heute klagt doch jeder schon bei der geringsten Kleinigkeit los. Was meinen Sie was los ist, wenn hier einem Kind etwa passiert. Dann sind wir doch sofort dran“, merkte Thomas Bender an.
Nun haben sich der Bürgermeister und die Jugendlichen sozusagen auf dem kurzen Dienstweg verständigt. Denn beide sind mit einer Alternative einverstanden, die den Jugendlichen ihren Spaß lässt und der Gemeinde die Sorge um die Sicherheit nimmt. Das einzige was nun noch passieren könnte, dass sich wieder ein Bedenkenträger fndet und abermals in die Suppe spuckt.
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