POLITIK und WIRTSCHAFT/COMPUTER und INTERNET
Vor etwas mehr als einem Jahr gab es Backpfeifen aus Mittelhessen für die Breitbandpolitik des Bundes. In Landkreis Marburg-Biedenkopf machte im Lohraer Ortsteil Kirchvers eine aus einer bürgerschaftlichen Initiative heraus entstandene Funk-DSL-Lösung von sich reden. Die Grundlagen hierfür waren 2005 gelegt worden. Weil die Deutsche Telekom es für unwirtschaftlich hielt, auch entlegene Ortschaften mit der modernen DSL-Technik zu versorgen, griffen die Kirchverser zur Eigeninitiative und suchten mit den Stadtwerken Marburg eine Lösung. Frust gab es auch in den Höhenlagen des Vogelsbergkreises. Dort suchte man ebenfalls nach Lösungen und wurde mit Funkstrecken fündig. Im Landkreis Gießen schließlich wurde die Idee zu einer Breitband Gießen GmbH geboren. Das war im Frühjahr 2011 der Fall. Nun wurde ein Netzmietvertrag zwischen eben jener GmbH und der Deutschen Telekom unterschrieben.
Der Clou, weswegen nun alle gespannt in die Mitte Deutschlands gucken: Hier vermietet zum ersten Mal ein Konstrukt aus privaten und öffentlichen Partnern ein gemeinsam betriebenes Kommunikationsnetz an einen privaten Carrier, sprich Telefongesellschaft. Die GmbH besteht zu 51 Prozent aus einer ebenfalls wiederum privatrechtlichen GmbH mit zwei echten Partnern aus der Wirtschaft, der Lück-Gruppe aus dem Licher Ortsteil Langsdorf und der Firmengruppe Weimer aus Lahnau im Lahn-Dill-Kreis. Die GmbH der Beiden heißt WL Netztechnik. Die anderen 49 Prozent sollen sich nun mit der Zeit aus den Kommunen des Landkreises Gießen rekrutieren. Mit der Zeit sollen mit eigenen GmbH dann auch Kommunen aus anderen Landkreise dazu stoßen. So jedenfalls der Plan. Die Hoffnung ist, dass so die Lücken, die jetzt noch in der Breitbandversorgung bestehen, mit einem modernen Glasfasernetz möglichst bald geschlossen werden. Im Landkreis Gießen war die ausschlaggebende Stadt Lich mit dem Ortsteil Langsdorf gewesen. Dort, so lautete Ende Mai die Botschaft der Telekom, hätten sowohl die Breitband Gießen GmbH wie auch die WL Netztechnik das gemeinsame Projekt ohne Schwierigkeiten schultern könnten. Der Eschborner Telekomniderlassungsleiter Frank Bothe, der eigens zur Vertragsunterzeichung nach Gießen gekommen war, sprach von einer für Deutschland bisher einzigartigen Konstruktion, weswegen nun die Aufmerksamkeit auf der mittelhessischen Kernregion liege.
Mit welcher Konstruktion hat man hat es mit nun zu tun, die zu 51 Prozent aus privaten Geldern getragen wird und zu 49 Prozent aus öffentlichen Geldern. In der Regel verbergen sich hinter öffentlichen Geldern Steuereinnahmen. Zwar gibt es die Offenlegungspflicht auch für GmbH, wenn es keine natürlichen Personen als persönlich haftenden Gesellschafter gibt. Diese Offenlegungspflicht gilt dann aber für Geschäftspartner, Angestellte und Anteilseigner. Ob dieses Unternehmen es dann für sinnvoll hält, auch die sonstige Öffentlichkeit zu informieren, liegt im Ermessen der Unternehmensleitung. Wie aber, wenn es sich um eine Mischung handelt? Wenn das Konstrukt aus einem privaten Partner aus der freien Wirtschaft und einem Partner besteht, der sich aus öffentlichen Organisationen, Institutionen, Körperschaften des öffentlichen Rechts oder anderen öffentlichen Einrichtungen zusammensetzt, dann tritt der Fall der sogenannten öffentlich-privaten Partnerschaft ein , kurz ÖPP (im Englischen als private-public-partnership bekannt , „ppp“ ). Sofern es um öffentliche Haushalte geht, unterliegen die der öffentlichen Kontrolle durch die Parlamente, die Rechnungshöfe, Steuerzahlerbund wachen jeweils über tatsächliche oder vermeintlich sinnvolle oder unsinnige Ausgaben. was passiert bei einer ÖPP? Verschwindet das Recht der Öffentlichkeit, über Einsatz und Verwendung öffentlicher Gelder im Nirwana, im Nichts? Geht es nach den Vorgaben der Europäischen Kommission, sollte dies nicht so sein. Es gibt allerdings einen kleinen Unterschied zu dem jetzigen Modell: Wurden ÖPP in der Regel eingegangen, weil Kommunen klamm waren und sich deswegen private Finanziers draußen suchten, so ist es nun anders herum: Die gemischte Breitband Gießen GmbH tritt als Vermieter auf, kassiert dafür Geld von der Telefongesellschaft, hat aber die Pflicht sich um den Erhalt der Technik zu kümmern. Darf der öffentliche Partner in dieser Konstruktion tatsächlich an den Einkünften aus der Vermietung beteiligt werden. Diese Frage taucht in anderem Zusammenhang gerne auf. Nämlich dann, wenn es darum geht, dass sich Gemeinden in verschiedener Form wirtschaftlich betätigen. Was Hessen betrifft, sind diese Fälle in §121 Hessische Gemeindeordnung geregelt. Grundsätzlich wird diese Eigenständigkeit in den verschiedenen Rechtsformen (kommunale Eigenbetriebe, GmbH etc als zeitgemäße flexible Organisationsform angesehen. Die Kritik an diesem System richtet sich aber gegen den Entzug der politischen Kontrolle. Wie nun die Kontrolle der Breitband Gießen GmbH funktionieren wird? Einen kleines Streiflicht bot die Frage- und Antwortrunde rund um die Vertragsunterzeichnung in Gießen. Dort wich WL-Geschäftsführer Martin Bender den Journalistenfragen nach den geplanten Investitionssummen für den Ausbau des Breitbandnetzes in den Gießener Landkreiskommunen erst aus. Konfrontiert mit der Feststellung, dass der Ausbau am Pilotort Langsdorf rund 500000 Euro gekostet habe, stellte Bender fest, dass der Gesamtausbau zumindest eher um die 30 Millionen Euro als denn 40 Millionen kosten würde. Die Gießener Landrätin Anita Schneider wies dann darauf hin, dass ohnehin im Rahmen eines größeren Termins auf diese Fragen dann eingegangen würde. Ihre Position umriss sie dann genauso wie der ursprüngliche Ideengeber, der Licher Bürgermeister Bernd Klein. Beide bezeichneten den Breitbandausbau als überlebensnotwendigen Akt für die ländlichen Gegenden Mittelhessens und als Teil der „öffentlichen Daseinsfürsorge“.
Dass es auf dem Weg zu dieser Partnerschaft etliche Hindernisse und Holprigkeiten aus dem Weg zu räumen galt, bedeutete der Licher Bürgermeister, ohne darauf an diesem Tag näher eingehen zu wollen.
Vor einem Jahr gab es im Landkreis Marburg-Biedenkopf ebenfalls den Startschuß für ein Pilotprojekt in Sachen DSL. Hier allerdings zunächst nur mit hessischem Anspruch. Dort freute sich Landrat Rober Fischbach im Juni 2010 darüber, dass das Land den Kreis als Pilotlandkreis für den Ausbau im Rahmen des Projektes „Mehr Breitband für Hessen“ ausgesucht hatte. Fischbach hatte damals darauf hingewiesen, dass der Kreis schon durch die Initiative der Stadtwerke Marburg eine DSL-Grundversorgung mit W‑DSL (Funk-DSL) in den vergangenen Jahren erreichen konnte. Nun will man bis Ende 2011 erreichen, dass eine „Grundversorgung mit 2 Megabit/Sekunde“ erreicht werden kann. Im Landkreis Gießen ist dagegen von 16 Megabit/Sekunde die Rede.
Schreibe einen Kommentar