POLITIK und WIRTSCHAFT/UMWELT
„Ich würde mir die Pfifferlinge verkneifen“, zweifelt der Gießener Pilzkenner Wolfgang Schößler das übliche Warenangebot in Supermärkten oder Märkten an. Schößler ist in der Pilzszene kein Unbekannter. Seine bald 77 Jahre merkt man dem Mann nicht an, wenn er anfängt in die Details der Welt der Fungi abzutauchen und einem die Biologie der Pilze erklärt. Nicht akademisch, sondern handfest und praktisch – mit Ansichtsexemplaren.
„In der Regel kommen die Pfifferlinge aus Russland oder Polen. Sicherlich werden sie dort frisch gesammelt. Dann muss man allerdings noch den Transport und die Zeit hinzurechnen, wann sie auf dem deutschen Markt und am Ende in der Warenauslage landen. Wer mit offenen Augen einkaufen geht, wird erkennen, dass diese Pilze dann häufig schon schlechte Stellen haben“, sagt Schößler. Aus dem Grunde habe er, obwohl er selber auch gerne Pilz esse, auf den Einkauf von Pfifferlingen verzichtet. Geht es ums Pilze sammeln im Wald, steht Schößler mit Rat zur Verfügung – wenn man gewisse Regeln beachtet:
Mit Waschkörben voller Pilze ankommen und dann erwarten, dass diese vom Fachmann durchsortiert werden? Beim Gedanken an diese Vorstellung verfinstert sich Wolfgang Schößlers Blick. In seiner Wohnung hat der über die Gießener und mittelhessische Region hinaus bekannte Pilzkenner auf dem Wohnzimmertisch eine Reihe von Vertretern aus der Welt der Fungi bereitgelegt. Fungi ist die wissenschaftliche Bezeichnung für Pilze. Wer den Rat des heute 76-jährigen Mannes sucht, sollte etwas mitbringen, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: Respekt vor dem, was die Natur erzeugt und zu Verfügung stellt. Dazu, so Schößler, gehöre eigentlich auch die Rücksicht, nur sovielPilze mitzubringen, die nötig sind, um sie zu bestimmen.
„Ich erinnere mich tatsächlich an einen Fall: Da ist jemand gekommen, hatte vorher angerufen. Und dann bringt er einen Waschkorb voll mit fein
sortierten Pilzen vorbei, säuberlich die verschiedenen Arten mit Zeitungspapier von einander getrennt. Die stellte er mir dann auf den Tisch. Mit der Bitte, doch einmal nachzusehen, welche denn nun wirklich essbar wären.“ Er habe dies dann zwar erledigt. Hinterher sei aber der größte Teil der Pilze dann nur noch ein Fall für die Ökotonne gewesen. „So geht es eigentlich nicht. Denn der Pilz braucht, um sich vermehren zu können, die Fruchtkörper. Wenn die weg sind, hat er keine Chance. Das ist wie mit einem Apfelbaum: Man kann meinetwegen den ganzen Baum umhauen. Wer sich dann aber keinen Samen aufhebt, verliert diesen Baum dann tatsächlich, weil nämlich nichts mehr da ist, was dafür sorgt, dass ein neuer Baum wächst“, zieht Schößler einen Vergleich. Wie Schößler sagt, kündigt sich mit Verspätung in der mittelhessischen Region nun die Pilzsaison an. Zumindest für Steinpilze und andere, die in der Regel jetzt herauskommen. Im Grunde sei das ganze Jahr über Pilzsaison, sagt Schößler, der sein Wissen auch an der Volkshochschule in Gießen in Kursen weitergibt. Allerdings stehen für Schößler andere Dinge im Vordergrund als bei denen, die „in die Pilze gehen.“ Schößler geht es darum, das Wissen um Pilze zu erweitern, dabei auch neue Arten zu finden. Genau dies war ihm im vergangenen Jahr gelungen. Mit demBleibraunen Täubling „Russula plumbeobrunnea“. Mit seinen Kursen will Schößler ein wenig dazu beitragen, dass die, die „in die Pilze gehen“, um ein paar leckere Exemplare für eine Mahlzeit zusammenzubekommen, nicht nur ein Gefühl für die kulinarische Bedeutung bekommen, sondern für die Funktion, die Pilze im Ökosystem erfüllen. Zum einen gibt es Vertreter wie den Champignon, die Mist oder altes Holz zersetzen, zum anderen Pilze wie den Steinpilze, die eine Symbiose mit einer Pflanze eingehen und dieser wertvolle Mineralien erschließen, die diese braucht. Die dritte Variante seien allerdings reine Schädlinge, Parasiten, die sich etwa wie der Zunder in Bäumen einnisten und diese mit der Zeit langsam zerstören. Wie der Gießener Pilzexperte sagt, stünden rund 80 Prozent der Pflanzen in einer symbiotischen Beziehung zu einem Pilz.
Die Aussicht auf üppige Pilzmahlzeiten in diesem Jahr dämpft Schößler allerdings mit Blick auf die bisherige Wetterlage seit November 2010: „Die
durchgängige Trockenheit, die wir bis Juni hatten, bietet nicht die besten Voraussetzungen für ein gutes Pilzjahr. Wer also mit der Hoffung auf einen gut gefüllten Korb in den Wald zieht, könnte unter Umständen enttäuscht werden. Wer sich aber für die vielfältigen Erscheinungsformen der unzähligen Pilzarten interessiert, dürfte dennoch auf seine Kosten kommen. Und wenn es ein unscheinbar wirkender Pilz auf einem Pferdeapfel ist: „Den habe ich vor kurzen auf diesem Pferdeapfel als kleinen Punkt gesehen und mitgenommen“, öffnet Schößler eine Plastikkiste. Darin liegt der Pferdeapfel mit einem roggenkorngroßen kleinen Pilz, der erst unter der Lupe oder dem Makroobjektiv seine Schönheit zeigt. „Das ist der Rostkörnige Tintling“, erklärt Schößler. Ihn zu finden, sei eine große Freude für ihn gewesen. Ausgewachsen wird der jetzt korngroße Pilz wenige Zentimeter hoch sein.
Für ratsuchende Pilzsammler, die sich an ihn wenden wollen, hält Schößler dennoch einige Tipps bereit: Wer anruft, soll beschreiben, wo der Pilz gefunden wurde, welche Bäume in der Umgebung wachsen. Genauso sollte am besten ein komplette Generation aus jungen, erwachsenem und alten Pilz mitgebracht werden. Denn in jedem Alter sähe der gleiche Pilz anders aus. Telefonisch kann Schößler von 9 bis 20 Uhr unter 0641/34599 erreicht werden.
Schreibe einen Kommentar