UMWELT/POLITIK und WIRTSCHAFT
„Ich vermisse in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion vor allem Techniker, die die Materie tatsächlich kennen. Wir haben es mit Politikern und Wirtschaftsfachleuten zu tun“, kommentiert Professor Dr. Jürgen Kiefer die gegenwärtige Debatte nach den nuklearen Unglücksfällen im japanischen Fukushima. Dort hatte nach dem gewaltigen Erdbeben und dem anschließenden Tsnunami das Sicherheitsystem eines Atommeilers in Fukushima solche Schäden erlitten, dass es dabei zu einer Kernschmelze kam. Mit dem Mittelhessenblog sprach der emerierte Biophysiker, der bis 2002 für das Strahlenzentrum an der Gießener Justus-Liebig-Universität verantwortlich war. De jure gibt es das Zentrum zwar noch. Faktisch wurde es 2002 nach seiner Emeritierung geschlossen. Kiefer selber ist bis heute beratend auf internationaler und nationaler Ebene tätig, wenn es um Strahlenschutz geht. Zuletzt gehörte Kiefer 2006 der Strahlenschutzkommission des Bundes an.
„Als Privatmann und Bürger dieses Landes kann ich die Haltung der deutschen Bundeskanzlerin zur Zeit nicht verstehen“, sagt Kiefer, der die aktuelle politische Debatte als Naturwissenschaftler nicht kommentieren möchte, sondern hierfür ausschließlich auf seine Position als Privatmann verweist. Der promovierte und habilitierte Physiker ist der Ansicht, dass die ebenfalls promovierte Physikerin Angela Merkel eigentlich unter dem Eindruck der Ereignisse in Japan eine klare Haltung habe sollte, auch wenn sie nicht wie er Expertin in Fragen des Strahlenschutzes sei.
Gleichzeitig hat der Naturwissenschaftler und Strahlenexperte Kiefer aber eine klare Stellung zur deutschen Debatte über die Gefahren der Atomkraft, wenn er etwa an den 2007 abgeschalteten Reaktor Krümmel denkt. Dieser war nach einem Trafobrand vom Netz genommen worden und ist seitdem eines der Argumente in der Liga der Atomkraftgegner. „Dieser Trafobrand hatte zur keiner Zeit irgend etwas mit einer radioaktiven Gefährdung zu tun. Die Situation war eigentlich vergleichbar mit einem Trafobrand in einem Wohngebiet, etwas bei mir um die Ecke. Wenn hier einen Trafobrand gibt, rückt die Feuerwehr an, löscht den Brand. Hinterher finden dann garantiert Diskussionen über die Sicherheitslage an, sprich, wie ein solcher Brand künftig verhindert werden kann. Die Lage war seinerzeit in Krümmel genauso, nur die Tatsache, dass es sich um einen Trafobrand in einem Atomkraftwerk handelte, hatte die Debatte angeheizt“, kennzeichnet Kiefer seine Position, dass in der Debatte um das Für und Wider der Atomkraft es eigentlich doch eher auf die nüchternen Fakten ankäme als auf Emotionen.
Im Gegenzug hält er aber manche Sicherheitskonzepte deutscher Atomkraftwerke dennoch für fragwürdig. So seien die Reaktoren manches Atomkraftwerks anders als in Fukushima nicht mit einem Betonmantel umgeben sondern einem Stahlmantel. „Wenn es dann zu einer Kernschmelze kommt, schmilzt dieser Schutz einfach weg“, sagt der Strahlenphysiker.“ Eine Kernschmelze entstehe dann, wenn das Kühlsystem der Reaktoren versage. Dabei entstünden Temperaturen um 1000 Grad. Um einen Vergleich zu haben: Wenn Stahl hergestellt wird, wird in Konvertern mit Temperaturen zwischen 1250 und 1600 Grad gearbeitet. Durch die hohen Temperaturen käme dann zu einer Reaktion wie bei einem Knallgasversuch. Genauso dies sei in Fukushima geschehen. Bei einer Knallgasreaktion werden Wasserstoff und Sauerstoff explosionsartig verbrannt.
„Mir war, als ich die ersten Nachrichten hörte, gleich der Unfall von Three-Miles-Island in Harrisburg eingefallen“. 1979 war es in dem Atomkraftwerk im US-Bundesstaat Pennsylvania ebenfalls zu einer Kernschmelze gekommen, die Folgen seien aber aus radiologischer Sicht weit weniger gefährlich gewesen als dies nun in Japan zu befürchten sei. Dafür habe sich das Ereignis wie später Tschernobyl ins Gedächtnis der Menschen eingebrannt. „Die Folgen waren eher psychologischer und politischer Art“, sagt Kiefer und zieht damit Vergleiche zur aktuellen Lage in Deutschland. „Ich denke nicht, dass wir in irgendeiner Weise radiologisch von den Folgen des Unglücks in Japan betroffen sind. Das ist ausgeschlossen. Dafür haben wir es aber mit enormen psychologischen Folgen zu tun, die sich wieder auf die Politik auswirken werden.“ sagt der Wissenschaftler Für die Diskussion, die jetzt folge, wünsche er sich eigentlich, „dass mehr tatsächlich die Fakten auf den Tisch gelegt werden und dafür braucht es Leute, die von der Sache etwas verstehen“. Er ist aber skeptisch, ob ein sofortiger Ausstieg aus Atomkraft allein in Deutschland so sinnvoll sei. „15 Prozent unseres Stromes importieren wir aus Frankreich und der kommt aus Kernkraftwerken.“ Gegenwärtig, am heutigen Montag, ist Kiefer zu Beratungen nach Berlin gefahren.
In dem Zusammenhang ein Veranstaltungshinweis der Mittelhessenblog-Redaktion: Am 22. März wird Professor Kiefer über „Strahlen und Gesundheit“ sprechen. Kiefer hält den Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihen der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde im Hörsaal des Strahlenzentrums im Leihgesterner Weg 217 um 17 Uhr (c.t). Der Vortrag war allerdings geplant worden, als an die aktuelle Atomkatastrophe in Japan nicht zu denken war. Durch die Ereignisse erhält der Vortrag ungeahnte Aktualiät. Nähere Informationen zum Vortrag gibt es auf der Website der OHGN
Amartholion meint
„15 Prozent unseres Stromes importieren wir aus Frankreich und der kommt aus Kernkraftwerken.“
Das ist auch nur eine Seite der Medaille. Schließlich wird in Deutschland mehr Strom exportiert als importiert. Rein rechnerisch müssten wir hier also derzeit gar keinen Strom importieren. Wobei es logisch ist, dass es in der Nähe der frz. Grenze billiger ist den Strom von dort zu holen, anstatt z.B. aus Ostdeutschland.