Wenn in oder vor Island sich die Erde auftut und mit einem Vulkan neues Land geboren wird, ist das ein spektakulärer Prozess, der weltweit wahrgenommen wird, vor allem, wenn Aschewolken den Flugverkehr lahmlegen. Dahinter stehen meistens zeitliche Dimensionen, in denen historisch gesehen, ganze Staaten und Kulturen entstehen und wieder untergehen. Wird ein Region geboren und beginnt sich zu formieren, spielt dies erdgeschichtlich keine Rolle. Da kein Rauch Flugzeuge in ihren Bahnen stört, gibt es auch zunächst kein weltweites Medieninteresse. Geht es um historische Zeitbegriffe, so können 30 Jahre und acht Jahre allerdings eine große Rolle spielen, genauso neun Jahre. Die Zahlen 30, 8 und 9 spielten denn beim 1. Mittelhessenabend im Hessischen Landtag auch eine Rolle rund um den Prozess einer Region, die sich immer mehr herausbildet: Mittelhessen. Dass dabei allerdings nicht unbedingt immer alle Räder eines Zahnwerks sauber ineinandergreifen, wie von den geistigen Schöpfern und Förderern der Region Mittelhessen erwartet, wurde trotz eines beeindruckenden Programms genauso deutlich – in den Kommentaren, Wortfetzen und Gesprächen während des und nach dem Ende des offiziellen Programms.
Zu der Veranstaltung hatte der Verein MitteHessen eingeladen, erschienen waren annähernd 200 geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einschließlich der Botschafter der Region Mittelhessen. Mit dabei der Gießener Regierungspräsident Dr. Lars Witteck, allerdings eher in der Rolle eines Beobachters. Diejenigen, die offiziell etwas zu Mittelhessen zu sagen hatten, waren der hessische Landtagspräsident Norbert Kartmann als Hausherr (ein bekennender Mittelhesse trotz oder gerade wegen seiner Butzbacher Herkunft), der ehemalige Gießener Regierungspräsident Wilfried Schmied in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins MitteHessen, ein waschechter Mittelhesse aus Treis, einem Ortsteil der Gießener Nordkreiskommune Staufenberg und als Festredner der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), der als geborener Gießener ebenfalls ein eingefleischter Mittelhesse ist.
Bis auf Kartmann haben alle genannten mit eben den Zahlen 30, 8 und 9 zu tun: Witteck als jetziger Kopf des Gießener Regierungspräsidiums steht für die Instanz, die vur kurzem ihr 30-jähriges Bestehen feierte, Schmied steht für die acht Jahre, die es nun den Verein MitteHessen schon gibt und für die Zahl 9 stehen sowohl Schmied wie Bouffier: Denn Schmied stellte auf dem Mittelhessenabend das Leitbild vor, das sich die Region für die Ziele gegeben hat, die sie bis 2020 erreichen will. Bouffier wiederum warf einen mitunter kritischen Istzustand auf die Region und die Widerstände, die auf dem Weg zu den gesteckten Zielen überwunden werden sollten ‑wenngleich die Kritik mit freundlichem Gesicht daherkam.
Was Mittelhessen zu bieten hat, womit es in die Schlagzeilen im positiven wie im negativen Sinne gerät, ist allein durch die Namen belegt. Schon die politischen Köpfe, die auf Landesebene und Bundesebene spielen, stehen dafür: Bouffier selber, der Roland Koch als Ministerpräsident abgelöst hat, sein politischer Gegenspieler bei der SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, der dank der Ypsilanti-Affäre zum Shooting-Star der Hessen-SPD wurde, heute deren Vorsitzender ist und Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei ist. Bei der hessischen FDP sind es ihr ehemaliger Vorsitzender Wolfgang Gerhardt, der Ulrichstein im heutigen Vogelsbergkreis stammt und Dr. Hermann Otto Solms , ebenfalls FDP.
Welche Ziele Mittelhessen erreichen sollte, wurde kompakt in vier Punkten formuliert: Mittelhessen soll Deutschlands stärkster Wirtschafts- und Industriestandort werden, das Wachstum der Hochschulen soll gefördert werden – in einem internationalen lebenswerten Umfeld. Weiter soll Mittelhessen die Region mit der geringsten Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland werden und nicht zuletzt soll Mittelhessen, in diesem vierten Punkt, nicht unbedingt Deutschlands dafür aber Hessens attraktivste Region werden. Unterstützend hierzu, um Mittelhessen exportwirksam in Szene zu setzen, wurde ein Werbefilm vorgestellt, der genau diese angestrebten Ziele in Szene setzt. Akteure des Films waren die Botschafter der Region Mittelhessen, von Professor Albrecht Beutelspacher, dem Begründer des weltweit ersten Mitmachmuseums für Mathematik in Gießen, über Geräteturnweltmeister Fabian Hambüchen aus Wetzlar etwa bis zum geborenen Marburger Willi-wills-wissen-Fernsehreporter Willi Weitzel.
Allerdings, während der Film vorgestellt wurde, war es im Publikum mitunter etwa unruhig. Diese Beobachtung erläuterte der jetzige Gießener Regierungspräsident mit Reaktionen darauf, dass der Werbefilm sich sehr auf die mittelhessische Kernregion um die drei Oberzentren Gießen, Marburg und Wetzlar konzentriere, während etwa der Alsfelder Raum und der Limburg-Weilburger Raum höchstens am Rande vorgekommen seien. Insbesondere zu Limburg-Weilburg, dem südwestlichsten Kreis in der mittelhessischen Fünferrunde, stellte Witteck fest, dass dessen Landrat nicht gekommen war. Dass der Kreis im Gesamtkonzept Mittelhessen ein wenig das Sorgenkind, zumindest was die Mitgliedschaft im Verein MitteHessen betrifft und seiner generellen Grundeinstellung zur Zugehörigkeit zu Mittelhessen klang in den Gesprächen am Rande durch. Auf der anderen Seite stellte etwa Manuel Heinrich, der für die Öffentlichkeitarbeit des Vereins zuständig ist, auf Nachfrage des Mittelhessenblog fest, dass etwa die Stadt Limburg ein zuverlässiger Partner in der gemeinsamen Sache sei, wenngleich an diesem Abend niemand den Weg nach Wiesbaden gefunden habe. Dafür sei aber auch der Landkreis Gießen, der ebenfalls Mitglied ist,ebenfalls nicht vertreten gewesen. Dafür sei die Wirtschaft des Limburger Raums stark vertreteen gewesen.
Dass Mittelhessen allerdings mehr sei, als nur ein gemeinsamer Wirtschaftsverbund, hatte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier deutlich herausgestellt. Er verwies auf die Versuche der Region Starkenburg, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, was letztlich an den immer wieder aufeinander prallenden Einzelinteressen gescheitert sei. Der Ministerpräsident sprach einerseits von den historischen Unterschieden zwischen den Gebieten des ehemaligen Großherzogtums Hessen und den Gebieten des Königreichs Preußen, die sich in den Köpfen teilweise bis heute halten. So gehörten etwa die Städte wie Grünberg im heutigen Landkreis Gießen und die damals namensgebende Gemeinde Vöhl im Kreis Vöhl im 19. Jahrhundert zur damaligen Provinz Oberhessen, die ein Teil des Großherzogtums war. Vöhl gehört heute zum Landkreis Waldeck-Frankenberg, damit zum Regierungsbezirk Kassel. Der Begriff Oberhessen ist dort mittlerweile Geschichte. Vor dem Hintergrund gewinnen die Worte und Ziele, die in Wiesbaden anlässlich des ersten Mittelhessenabends formuliert wurden, sicherlich ein anderes Gewicht.
Schreibe einen Kommentar